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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Monumentale Sculptur in Italien.

Von dem alten Philosophen Empedokles erzählte die Sage, er habe es
verstanden, die Passatwinde in Eselshäuten aufzufangen, und sich in solcher
Art Unterthan zu machen. Daß die Künstler mit den Geschmacksströmungen
bisher nicht in gleicher Weise zu verfahren wußten, ist für sie und für uns
ein Glück und zugleich der Grund, warum jeder Tag sein Neues verlangt.
Da modelliren, zirkeln, meißeln und Poliren sie von früh bis spat; Thon¬
ladungen strömen von der einen, Marmorsuhren von der andern Seite der
ewigen Stadt zu, unzählige Kisten mit Gypsformen passiren die Ausgangs-
dogana, um in der Jsarmetropole dem flüssigen Metall zur Gestaltung zu ver¬
helfen, und nur der pontificale Tarator der ausgeführten Kunstgegenstände
vermöchte zu sagen, wie hoch sich die Gesammtsumme dieser Kostbarkeiten im
Laufe deS Jahres zu erheben pflegt.

Es wäre in auteur- und kunstgeschichtlicher Beziehung ungemein interessant,
wenn Rom über diesen Theil seiner Thätigkeit statistische Jahrbücher führte.
Wo bleibt all dieser, Kunstwerk gewordene Stein? wohin geht er jetzt und
wohin ging er vor 10, 30, 100 Jahren? dient er dem religiösen Cultus oder
dem der häuslichen Laren? und handelt sichs im Wesentlichen um religiöse,
historische, genrehafte Stoffe?

Man ist im Ministerium der heiligen Stadt auf manche Einfülle schon
im Laufe der Zeiten verfallen -- z. B. die Laien für untauglich als Finanz-,
Kriegs-, Wegebauminisler :c. zu erklären -- aber niemand ersann noch einen
Weg, um über den Kunstbetrieb, diesen Lebensnerv Roms, in einer Weise
Buch zu führen, daß obigen Zwecken annähernd Genüge geschähe. War¬
um läßt sich die Ausfuhrbehörde nicht über jedes selbstständige Sculpturwerk,
das Roms Weichbild verläßt, einen kurzen Nachweis sammt einer Photogra¬
phie einliefern, und veröffentlicht diese Sammlung an jedem Jahresschlusse?

Einstweilen hat sich die Oeffentlichkeit dieser Thätigkeit noch wenig be¬
mächtigt, und wenn man am Ende einer Menge Kunstwanderungcn steht, so
hat man wol ein ungeheures Detail nach und nach an seinem Blick vorüber¬
gleiten sehen, aber zu einem Gesammtüberblick ist man dennoch nicht gelangt.

Ein kleines Büchlein, das uns in Rom unter die Augen kam, bestrebt
sich, dem Fremden, namentlich dem Engländer, als Führer in den verschiedenen
Ateliers zu dienen. ES bringt indessen nur solche Adressen und Nachweise,
ZU welchen die Künstler selbst dem Herausgeber verhalfen, hat also ungefähr
den Charakter einer tausendköpfigen Reclame im französischen oder englischen
Geschmack und macht auf keinerlei Vollständigkeit Anspruch. Dennoch zählt es,
außer den vielen Malern, Steinschnitzern und Mosaikkünstlern, nicht weniger
als 56 Bild Hauernamen.


Monumentale Sculptur in Italien.

Von dem alten Philosophen Empedokles erzählte die Sage, er habe es
verstanden, die Passatwinde in Eselshäuten aufzufangen, und sich in solcher
Art Unterthan zu machen. Daß die Künstler mit den Geschmacksströmungen
bisher nicht in gleicher Weise zu verfahren wußten, ist für sie und für uns
ein Glück und zugleich der Grund, warum jeder Tag sein Neues verlangt.
Da modelliren, zirkeln, meißeln und Poliren sie von früh bis spat; Thon¬
ladungen strömen von der einen, Marmorsuhren von der andern Seite der
ewigen Stadt zu, unzählige Kisten mit Gypsformen passiren die Ausgangs-
dogana, um in der Jsarmetropole dem flüssigen Metall zur Gestaltung zu ver¬
helfen, und nur der pontificale Tarator der ausgeführten Kunstgegenstände
vermöchte zu sagen, wie hoch sich die Gesammtsumme dieser Kostbarkeiten im
Laufe deS Jahres zu erheben pflegt.

Es wäre in auteur- und kunstgeschichtlicher Beziehung ungemein interessant,
wenn Rom über diesen Theil seiner Thätigkeit statistische Jahrbücher führte.
Wo bleibt all dieser, Kunstwerk gewordene Stein? wohin geht er jetzt und
wohin ging er vor 10, 30, 100 Jahren? dient er dem religiösen Cultus oder
dem der häuslichen Laren? und handelt sichs im Wesentlichen um religiöse,
historische, genrehafte Stoffe?

Man ist im Ministerium der heiligen Stadt auf manche Einfülle schon
im Laufe der Zeiten verfallen — z. B. die Laien für untauglich als Finanz-,
Kriegs-, Wegebauminisler :c. zu erklären — aber niemand ersann noch einen
Weg, um über den Kunstbetrieb, diesen Lebensnerv Roms, in einer Weise
Buch zu führen, daß obigen Zwecken annähernd Genüge geschähe. War¬
um läßt sich die Ausfuhrbehörde nicht über jedes selbstständige Sculpturwerk,
das Roms Weichbild verläßt, einen kurzen Nachweis sammt einer Photogra¬
phie einliefern, und veröffentlicht diese Sammlung an jedem Jahresschlusse?

Einstweilen hat sich die Oeffentlichkeit dieser Thätigkeit noch wenig be¬
mächtigt, und wenn man am Ende einer Menge Kunstwanderungcn steht, so
hat man wol ein ungeheures Detail nach und nach an seinem Blick vorüber¬
gleiten sehen, aber zu einem Gesammtüberblick ist man dennoch nicht gelangt.

Ein kleines Büchlein, das uns in Rom unter die Augen kam, bestrebt
sich, dem Fremden, namentlich dem Engländer, als Führer in den verschiedenen
Ateliers zu dienen. ES bringt indessen nur solche Adressen und Nachweise,
ZU welchen die Künstler selbst dem Herausgeber verhalfen, hat also ungefähr
den Charakter einer tausendköpfigen Reclame im französischen oder englischen
Geschmack und macht auf keinerlei Vollständigkeit Anspruch. Dennoch zählt es,
außer den vielen Malern, Steinschnitzern und Mosaikkünstlern, nicht weniger
als 56 Bild Hauernamen.


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[0103] Monumentale Sculptur in Italien. Von dem alten Philosophen Empedokles erzählte die Sage, er habe es verstanden, die Passatwinde in Eselshäuten aufzufangen, und sich in solcher Art Unterthan zu machen. Daß die Künstler mit den Geschmacksströmungen bisher nicht in gleicher Weise zu verfahren wußten, ist für sie und für uns ein Glück und zugleich der Grund, warum jeder Tag sein Neues verlangt. Da modelliren, zirkeln, meißeln und Poliren sie von früh bis spat; Thon¬ ladungen strömen von der einen, Marmorsuhren von der andern Seite der ewigen Stadt zu, unzählige Kisten mit Gypsformen passiren die Ausgangs- dogana, um in der Jsarmetropole dem flüssigen Metall zur Gestaltung zu ver¬ helfen, und nur der pontificale Tarator der ausgeführten Kunstgegenstände vermöchte zu sagen, wie hoch sich die Gesammtsumme dieser Kostbarkeiten im Laufe deS Jahres zu erheben pflegt. Es wäre in auteur- und kunstgeschichtlicher Beziehung ungemein interessant, wenn Rom über diesen Theil seiner Thätigkeit statistische Jahrbücher führte. Wo bleibt all dieser, Kunstwerk gewordene Stein? wohin geht er jetzt und wohin ging er vor 10, 30, 100 Jahren? dient er dem religiösen Cultus oder dem der häuslichen Laren? und handelt sichs im Wesentlichen um religiöse, historische, genrehafte Stoffe? Man ist im Ministerium der heiligen Stadt auf manche Einfülle schon im Laufe der Zeiten verfallen — z. B. die Laien für untauglich als Finanz-, Kriegs-, Wegebauminisler :c. zu erklären — aber niemand ersann noch einen Weg, um über den Kunstbetrieb, diesen Lebensnerv Roms, in einer Weise Buch zu führen, daß obigen Zwecken annähernd Genüge geschähe. War¬ um läßt sich die Ausfuhrbehörde nicht über jedes selbstständige Sculpturwerk, das Roms Weichbild verläßt, einen kurzen Nachweis sammt einer Photogra¬ phie einliefern, und veröffentlicht diese Sammlung an jedem Jahresschlusse? Einstweilen hat sich die Oeffentlichkeit dieser Thätigkeit noch wenig be¬ mächtigt, und wenn man am Ende einer Menge Kunstwanderungcn steht, so hat man wol ein ungeheures Detail nach und nach an seinem Blick vorüber¬ gleiten sehen, aber zu einem Gesammtüberblick ist man dennoch nicht gelangt. Ein kleines Büchlein, das uns in Rom unter die Augen kam, bestrebt sich, dem Fremden, namentlich dem Engländer, als Führer in den verschiedenen Ateliers zu dienen. ES bringt indessen nur solche Adressen und Nachweise, ZU welchen die Künstler selbst dem Herausgeber verhalfen, hat also ungefähr den Charakter einer tausendköpfigen Reclame im französischen oder englischen Geschmack und macht auf keinerlei Vollständigkeit Anspruch. Dennoch zählt es, außer den vielen Malern, Steinschnitzern und Mosaikkünstlern, nicht weniger als 56 Bild Hauernamen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/103>, abgerufen am 04.05.2024.