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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Die Schlesier und ihr toller Herzog Heinrich.
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So arm die schlesische Geschichte an großen Ereignissen ist, bei welchen
das ganze Volk in kräftiger Handlung und starkem politischem Fortschritt erscheint,
ebenso reich ist sie an originalen Persönlichkeiten, in denen sich schlesisches
Wesen charakteristisch darstellt. Vor allem merkwürdig ist das Geschlecht der
Piaster selbst. Neben einigen bedeutenden und mehren verständigen Regenten
zeigt es eine Reihe wilder und verschrobener Gesellen mit großen Ansprüchen
und kleinen Kräften, ein Gemisch von slawischer Unbändigkeit und deutschem
Frevelmuth.

Die wilde Nachbarschaft, die isolirte Lage, die vielen Theilungen des
Landes in kleine Fürstenthümer vermögen die sittliche Entartung so vieler
Herzöge zu erklären, außerdem aber bleibt auffallend ein vielen gemeinsamer
Zug, ein unstetes, zerfahrenes, unpraktisches Wesen, tyrannische Gelüste und
mitten darin wieder einzelne Blitze von Geist und guter Laune, vor allem eine
Lebenskraft, welche den Untergang dieser Entarteten viel länger aufhält, als bei
andern Sterblichen möglich wäre. Schon im Mittelalter macht wüste Verschwen¬
dung mehre schlesische Herzöge zu Bettlern, ein Herzog von Oppeln wurde von
den Ständen des Landes sogar hingerichtet, Hans von Sagan starb im Elend.
Im Jahrhundert der Reformation wurde die äußere Lage der schlesischen
Fürsten noch schlechter; die meisten Häuser der Piaster vergehen, die übrigen
vermögen nur mühsam sich in die neue Zeit zu schicken.

Eine der auffallendsten Gestalten unter ihnen ist Heinrich XI. von Liegnitz;
der bodenlos liederliche Sohn eines Vaters, der nicht besser war. Als sein Vater
Herzog Friedrich III. im Jahre 15S9 von kaiserlichen Commissarien abgesetzt
und als gemeinschädlich in Arrest gehalten wurde, erhielt der 20jährige Sohn
die Negierung des Fürstenthums. Nach zehn Jahren einer unbändigen Ne¬
gierung geriech Heinrich mit seinem Bruder Friedrich und seinem Adel in
Zwist und ließ in einer despotischen Laune seine ganze Landschaft gefangen
setzen. Während die Empörten ihn beim Kaiser verklagten, unternahm er
selbst einen abenteuerlichen Zug durch Deutschland, eine Rund- und Bettelreise
zu zahlreichen Höfen und Städten, wobei ihn Geldmangel aus einer Ver¬
legenheit in die andere stürzte und zu jeder Art von Unwürdigkeiten brachte.'
Unterdeß wurde er suspendirt, und sein Bruder, der wenig besser war, als
Administrator eingesetzt. Heinrich, klagte, querelirte, unternahm eine neue
Bittreise an deutsche Fürstenhöfe, sollicitirte endlich in Prag beim Kaiser,
immer in den drückendsten Geldverlegenheiten, und setzte endlich durch, daß er
sein Herzogthum zurückerhielt. Jetzt folgten neue Zügellosigkeiten und offner


Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Die Schlesier und ihr toller Herzog Heinrich.
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So arm die schlesische Geschichte an großen Ereignissen ist, bei welchen
das ganze Volk in kräftiger Handlung und starkem politischem Fortschritt erscheint,
ebenso reich ist sie an originalen Persönlichkeiten, in denen sich schlesisches
Wesen charakteristisch darstellt. Vor allem merkwürdig ist das Geschlecht der
Piaster selbst. Neben einigen bedeutenden und mehren verständigen Regenten
zeigt es eine Reihe wilder und verschrobener Gesellen mit großen Ansprüchen
und kleinen Kräften, ein Gemisch von slawischer Unbändigkeit und deutschem
Frevelmuth.

Die wilde Nachbarschaft, die isolirte Lage, die vielen Theilungen des
Landes in kleine Fürstenthümer vermögen die sittliche Entartung so vieler
Herzöge zu erklären, außerdem aber bleibt auffallend ein vielen gemeinsamer
Zug, ein unstetes, zerfahrenes, unpraktisches Wesen, tyrannische Gelüste und
mitten darin wieder einzelne Blitze von Geist und guter Laune, vor allem eine
Lebenskraft, welche den Untergang dieser Entarteten viel länger aufhält, als bei
andern Sterblichen möglich wäre. Schon im Mittelalter macht wüste Verschwen¬
dung mehre schlesische Herzöge zu Bettlern, ein Herzog von Oppeln wurde von
den Ständen des Landes sogar hingerichtet, Hans von Sagan starb im Elend.
Im Jahrhundert der Reformation wurde die äußere Lage der schlesischen
Fürsten noch schlechter; die meisten Häuser der Piaster vergehen, die übrigen
vermögen nur mühsam sich in die neue Zeit zu schicken.

Eine der auffallendsten Gestalten unter ihnen ist Heinrich XI. von Liegnitz;
der bodenlos liederliche Sohn eines Vaters, der nicht besser war. Als sein Vater
Herzog Friedrich III. im Jahre 15S9 von kaiserlichen Commissarien abgesetzt
und als gemeinschädlich in Arrest gehalten wurde, erhielt der 20jährige Sohn
die Negierung des Fürstenthums. Nach zehn Jahren einer unbändigen Ne¬
gierung geriech Heinrich mit seinem Bruder Friedrich und seinem Adel in
Zwist und ließ in einer despotischen Laune seine ganze Landschaft gefangen
setzen. Während die Empörten ihn beim Kaiser verklagten, unternahm er
selbst einen abenteuerlichen Zug durch Deutschland, eine Rund- und Bettelreise
zu zahlreichen Höfen und Städten, wobei ihn Geldmangel aus einer Ver¬
legenheit in die andere stürzte und zu jeder Art von Unwürdigkeiten brachte.'
Unterdeß wurde er suspendirt, und sein Bruder, der wenig besser war, als
Administrator eingesetzt. Heinrich, klagte, querelirte, unternahm eine neue
Bittreise an deutsche Fürstenhöfe, sollicitirte endlich in Prag beim Kaiser,
immer in den drückendsten Geldverlegenheiten, und setzte endlich durch, daß er
sein Herzogthum zurückerhielt. Jetzt folgten neue Zügellosigkeiten und offner


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[0114] Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Die Schlesier und ihr toller Herzog Heinrich. - 2- - So arm die schlesische Geschichte an großen Ereignissen ist, bei welchen das ganze Volk in kräftiger Handlung und starkem politischem Fortschritt erscheint, ebenso reich ist sie an originalen Persönlichkeiten, in denen sich schlesisches Wesen charakteristisch darstellt. Vor allem merkwürdig ist das Geschlecht der Piaster selbst. Neben einigen bedeutenden und mehren verständigen Regenten zeigt es eine Reihe wilder und verschrobener Gesellen mit großen Ansprüchen und kleinen Kräften, ein Gemisch von slawischer Unbändigkeit und deutschem Frevelmuth. Die wilde Nachbarschaft, die isolirte Lage, die vielen Theilungen des Landes in kleine Fürstenthümer vermögen die sittliche Entartung so vieler Herzöge zu erklären, außerdem aber bleibt auffallend ein vielen gemeinsamer Zug, ein unstetes, zerfahrenes, unpraktisches Wesen, tyrannische Gelüste und mitten darin wieder einzelne Blitze von Geist und guter Laune, vor allem eine Lebenskraft, welche den Untergang dieser Entarteten viel länger aufhält, als bei andern Sterblichen möglich wäre. Schon im Mittelalter macht wüste Verschwen¬ dung mehre schlesische Herzöge zu Bettlern, ein Herzog von Oppeln wurde von den Ständen des Landes sogar hingerichtet, Hans von Sagan starb im Elend. Im Jahrhundert der Reformation wurde die äußere Lage der schlesischen Fürsten noch schlechter; die meisten Häuser der Piaster vergehen, die übrigen vermögen nur mühsam sich in die neue Zeit zu schicken. Eine der auffallendsten Gestalten unter ihnen ist Heinrich XI. von Liegnitz; der bodenlos liederliche Sohn eines Vaters, der nicht besser war. Als sein Vater Herzog Friedrich III. im Jahre 15S9 von kaiserlichen Commissarien abgesetzt und als gemeinschädlich in Arrest gehalten wurde, erhielt der 20jährige Sohn die Negierung des Fürstenthums. Nach zehn Jahren einer unbändigen Ne¬ gierung geriech Heinrich mit seinem Bruder Friedrich und seinem Adel in Zwist und ließ in einer despotischen Laune seine ganze Landschaft gefangen setzen. Während die Empörten ihn beim Kaiser verklagten, unternahm er selbst einen abenteuerlichen Zug durch Deutschland, eine Rund- und Bettelreise zu zahlreichen Höfen und Städten, wobei ihn Geldmangel aus einer Ver¬ legenheit in die andere stürzte und zu jeder Art von Unwürdigkeiten brachte.' Unterdeß wurde er suspendirt, und sein Bruder, der wenig besser war, als Administrator eingesetzt. Heinrich, klagte, querelirte, unternahm eine neue Bittreise an deutsche Fürstenhöfe, sollicitirte endlich in Prag beim Kaiser, immer in den drückendsten Geldverlegenheiten, und setzte endlich durch, daß er sein Herzogthum zurückerhielt. Jetzt folgten neue Zügellosigkeiten und offner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/114>, abgerufen am 04.05.2024.