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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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maßen mit einem Schleier. Seine besten Kräfte und Säfte können daher
zweckmäßig der Armee und dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten
zugewendet werden, welche es wie zwei mächtige Arme über Europa ausstreckt.
Diese Superiorität wird auch von allen Höfen willig anerkannt, und unter
den europäischen Regentenfamilien nimmt die russische unbestritten den ersten
Rang ein. Könnte darüber ein Zweifel bei Ihnen entstehen, so bedenken Sie
nur, daß russische Prinzessinnen, wenn sie gleich zur Verbindung mit fremden
Regentenhäusern sich herablassen, ihrem Titel als Großfürstinnen (wie das
sonst nur bei Mesalliancen fürstlicher Damen zu geschehen pflegte) und die
griechische Religion und den griechischen Kalender beibehalten, um Europa nach
und nach daran zu gewöhnen. -- Die Erzherzoginnen von Oestreich und die
preußischen Prinzessinnen würden gewiß solche Ansprüche nicht machen. --

Ich bin nun zu Ende, lieber Vetter; doch kann ich nicht umhin, Ihnen
in Rußland einige Vorsicht beim Spiel anzuempfehlen, da man auch in den
höchsten Enkeln Leute findet, welche eine große Geschicklichkeit besitzen, dem
Glück im Spiele nachzuhelfen.

Wenn Sie in allen Glucken meinen wohlgemeinten Rath befolgen, so
zweifle ich nicht, daß Sie eine brillante Carriere machen und bald der Stolz
Ihrer Familie sein werden, so wie


Ihres ergebenen Vetters N. N.


Regierung und Volk von Neapel.
2.: Die letzte Revolution und ihre Folgen.

Wohl war im Jahre 18i7 zu Neapel gegründete Ursache zur Unzufrieden¬
heit. T)le zahlreichen Suppliken, welche dem König zugestellt wurden, hatten
wenig Erfolg, da sie an die Minister gelangten und in deren Papier¬
körben vergraben wurden. Ein gleiches Schicksal hatten die meisten frü¬
hern Rath- und Vorschläge gehabt. Die Trockenlegung der sumpfigen Land¬
striche wurde immer wieder empfohlen, ohne daß ein Spaten deshalb angerührt
wurde. So nahm die Uria Cattiva denn auf erschreckende Weise zu, und in
manchen solcher Gegenden sank der Ernteertrag unter den Stand des Steuer¬
satzes, so daß man auf dem graben Wege war, sich des täglichen Brotes
zu berauben. Brach eine Hungersnot!) aus, so ließ man dasselbe Korn,
das man kurz vorher nach Aegypten ausgeführt hatte, mit großem Verlust
zurückkaufen, um die Anona (die Staatsvorrathskammer) zu versorgen, wie
das z. B. -I8L6 und i7 geschah.


maßen mit einem Schleier. Seine besten Kräfte und Säfte können daher
zweckmäßig der Armee und dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten
zugewendet werden, welche es wie zwei mächtige Arme über Europa ausstreckt.
Diese Superiorität wird auch von allen Höfen willig anerkannt, und unter
den europäischen Regentenfamilien nimmt die russische unbestritten den ersten
Rang ein. Könnte darüber ein Zweifel bei Ihnen entstehen, so bedenken Sie
nur, daß russische Prinzessinnen, wenn sie gleich zur Verbindung mit fremden
Regentenhäusern sich herablassen, ihrem Titel als Großfürstinnen (wie das
sonst nur bei Mesalliancen fürstlicher Damen zu geschehen pflegte) und die
griechische Religion und den griechischen Kalender beibehalten, um Europa nach
und nach daran zu gewöhnen. — Die Erzherzoginnen von Oestreich und die
preußischen Prinzessinnen würden gewiß solche Ansprüche nicht machen. —

Ich bin nun zu Ende, lieber Vetter; doch kann ich nicht umhin, Ihnen
in Rußland einige Vorsicht beim Spiel anzuempfehlen, da man auch in den
höchsten Enkeln Leute findet, welche eine große Geschicklichkeit besitzen, dem
Glück im Spiele nachzuhelfen.

Wenn Sie in allen Glucken meinen wohlgemeinten Rath befolgen, so
zweifle ich nicht, daß Sie eine brillante Carriere machen und bald der Stolz
Ihrer Familie sein werden, so wie


Ihres ergebenen Vetters N. N.


Regierung und Volk von Neapel.
2.: Die letzte Revolution und ihre Folgen.

Wohl war im Jahre 18i7 zu Neapel gegründete Ursache zur Unzufrieden¬
heit. T)le zahlreichen Suppliken, welche dem König zugestellt wurden, hatten
wenig Erfolg, da sie an die Minister gelangten und in deren Papier¬
körben vergraben wurden. Ein gleiches Schicksal hatten die meisten frü¬
hern Rath- und Vorschläge gehabt. Die Trockenlegung der sumpfigen Land¬
striche wurde immer wieder empfohlen, ohne daß ein Spaten deshalb angerührt
wurde. So nahm die Uria Cattiva denn auf erschreckende Weise zu, und in
manchen solcher Gegenden sank der Ernteertrag unter den Stand des Steuer¬
satzes, so daß man auf dem graben Wege war, sich des täglichen Brotes
zu berauben. Brach eine Hungersnot!) aus, so ließ man dasselbe Korn,
das man kurz vorher nach Aegypten ausgeführt hatte, mit großem Verlust
zurückkaufen, um die Anona (die Staatsvorrathskammer) zu versorgen, wie
das z. B. -I8L6 und i7 geschah.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/276>, abgerufen am 04.05.2024.