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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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müssen aber dies Mal leider hinzusetzen, daß sie keine Fortschritte gemacht hat.
Der gegenwärtige Roman, der die Zeit Mazarins behandelt, ist eine un¬
mittelbare Fortsetzung des zunächst vorhergehenden, und man sollte annehmen,
daß sich die Verfasserin durch unausgesetztes Studium der Quellen jener Zeit
den Ton und die Farbe derselben würde angeeignet haben. Das ist aber
nicht geschehen. Die Personen reden noch grade wie früher in der Sprache
einer Philosophie des 19. Jahrhunderts; ihr Denken, ihr Empfinden und
ihre Handelsweise widerspricht auf das schreiendste allen Vorstellungen, die
wir aus der Quelle jener Zeit geschöpft haben. Auch die zuweilen höchst
romantischen Ereignisse sind nicht im Charakter jener Periode, wenigstens nicht
Von der Art, daß sie jene Periode charakterisiren. Die Verfasserin sollte mit
ihrer Production eine Zeitlang inne halten und gründliche Studien über die
Zeit machen, die sie beschreiben will; denn sociale Romane kann man aus der
Phantasie schreiben, historische nicht. Aber wenn ihre Studien ein fruchtbares
Resultat haben sollen, so muß sie dieselben nicht auf die Geschichtschreiber be¬
schränken, am wenigsten auf die philosophischen Geschichtschreiber, sondern sie
muß die Quellen selbst zur Hand nehmen, denn nur aus ihnen lernt sie
sinnlich darzustellen, wie man in jener Zeit empfunden, gesprochen und ge¬
handelt hat. --


Historische Novellen von Carl Wei esset b an mer. 3. Bde. Nürnberg, von
Evnersche Buchhandlung. --

Die drei Bände enthalten die Novellen: Oswald der Törnnger, der.
Prinzenzwist, und der Schloßhauptmann von Kuffstein. Der Verfasser gehörte,
so viel wir uns erinnern, früher zu den beliebten Romanschriftstellern. Er
schildert die historischen Begebenheiten nach der Anleitung eines Handbuchs,
im Ganzen mit gutem Willen, aber ohne erhebliche Kenntniß und ohne alle
Plastische Kraft. --


Sophie Charlotte, die philosophische Königin. Historischer Roman in
drei Bänden, von Julius Bacher. Berlin, A. Duncker. --

Im Anfang macht dieser Roman, der in Berlin spielt, und zwar in der
Zeit, da Preußen zum Königthum erhoben wurde, einen recht guten Eindruck;
eS treten einige kräftig gezeichnete Gestalten auf, und man erwartet ein Sitten
gemalte in der Art von Wilibald Aleris. Indeß der weitere Verlauf recht¬
fertigt diese Erwartungen nicht ganz. Die Geschichte zieht sich zuletzt in einer
Reihe französischer Liebesabenteuer zusammen, die freilich am Hof Friedrichs I.
auch vorkamen, die aber für die Zeit und das Land nicht grade charakteristisch
sind. Der Verfasser, dessen Talent für den historischen Roman nicht zu ver¬
kennen ist, muß bei einem künftigen Versuch mehr auf die Quellen zurück-


müssen aber dies Mal leider hinzusetzen, daß sie keine Fortschritte gemacht hat.
Der gegenwärtige Roman, der die Zeit Mazarins behandelt, ist eine un¬
mittelbare Fortsetzung des zunächst vorhergehenden, und man sollte annehmen,
daß sich die Verfasserin durch unausgesetztes Studium der Quellen jener Zeit
den Ton und die Farbe derselben würde angeeignet haben. Das ist aber
nicht geschehen. Die Personen reden noch grade wie früher in der Sprache
einer Philosophie des 19. Jahrhunderts; ihr Denken, ihr Empfinden und
ihre Handelsweise widerspricht auf das schreiendste allen Vorstellungen, die
wir aus der Quelle jener Zeit geschöpft haben. Auch die zuweilen höchst
romantischen Ereignisse sind nicht im Charakter jener Periode, wenigstens nicht
Von der Art, daß sie jene Periode charakterisiren. Die Verfasserin sollte mit
ihrer Production eine Zeitlang inne halten und gründliche Studien über die
Zeit machen, die sie beschreiben will; denn sociale Romane kann man aus der
Phantasie schreiben, historische nicht. Aber wenn ihre Studien ein fruchtbares
Resultat haben sollen, so muß sie dieselben nicht auf die Geschichtschreiber be¬
schränken, am wenigsten auf die philosophischen Geschichtschreiber, sondern sie
muß die Quellen selbst zur Hand nehmen, denn nur aus ihnen lernt sie
sinnlich darzustellen, wie man in jener Zeit empfunden, gesprochen und ge¬
handelt hat. —


Historische Novellen von Carl Wei esset b an mer. 3. Bde. Nürnberg, von
Evnersche Buchhandlung. —

Die drei Bände enthalten die Novellen: Oswald der Törnnger, der.
Prinzenzwist, und der Schloßhauptmann von Kuffstein. Der Verfasser gehörte,
so viel wir uns erinnern, früher zu den beliebten Romanschriftstellern. Er
schildert die historischen Begebenheiten nach der Anleitung eines Handbuchs,
im Ganzen mit gutem Willen, aber ohne erhebliche Kenntniß und ohne alle
Plastische Kraft. —


Sophie Charlotte, die philosophische Königin. Historischer Roman in
drei Bänden, von Julius Bacher. Berlin, A. Duncker. —

Im Anfang macht dieser Roman, der in Berlin spielt, und zwar in der
Zeit, da Preußen zum Königthum erhoben wurde, einen recht guten Eindruck;
eS treten einige kräftig gezeichnete Gestalten auf, und man erwartet ein Sitten
gemalte in der Art von Wilibald Aleris. Indeß der weitere Verlauf recht¬
fertigt diese Erwartungen nicht ganz. Die Geschichte zieht sich zuletzt in einer
Reihe französischer Liebesabenteuer zusammen, die freilich am Hof Friedrichs I.
auch vorkamen, die aber für die Zeit und das Land nicht grade charakteristisch
sind. Der Verfasser, dessen Talent für den historischen Roman nicht zu ver¬
kennen ist, muß bei einem künftigen Versuch mehr auf die Quellen zurück-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/141>, abgerufen am 27.04.2024.