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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Geschichte der deutschen Kaiserzeit.

Von Wilhelm Giesebrecht. Zweiter Band. Erste Lieferung. Geschichte Hein¬
richs II. und Konrads II. Braunschweig, Schwetschke und Sohn.--

Der Verfasser dieses Werks hat in der letzten Zeit die durch DrumannS
Rücktritt erledigte Professur der Geschichte in Königsberg erhalten. In wieweit
er die Fächer der alten Geschichte und der Culturgeschichte, um die sich Dru-
mann seiner Zeit ein so eigenthümliches Perdienst erworben hat, ausfüllen wird,
muß die Zeit lehren. Wenn aber das Verdienst des Geschichtforschers haupt¬
sächlich im gründlichen, gewissenhaften und allseitigen Quellenstudium beruht,
so dürften wol wenige so geeignet sein, der Universität den ehrenvollen Ruf
zu erhalten, den der Verfasser der römischen Geschichte sich und seiner Stelle
erworben hat. Die deutsche Kaisergeschichte, von der uns gegenwärtig schon
ein sehr umfangreicher Theil vorliegt, läßt in Bezug auf die Gediegenheit der
Forschung nichts zu wünschen übrig. Wenn der Verfasser fortfährt, daS un¬
geheure Gebiet der deutschen Geschichte in einer ähnlichen monographischen
Weise zu behandeln, so wird das Werk in dieser Beziehung ohne Gleichen
dastehen, und wir werden endlich für die umfangreichen Vorarbeiten, die jetzt
schon über ein Menschenalter hinaus nicht blos mit der ganzen Energie deS
deutschen Fleißes, sondern auch mit dem eindringenden Verständniß einer
systematischen Schule fortgesetzt werden, einen würdigen Abschluß finden.

Freilich geht der Geschichtschreiber nicht ganz in den Geschichtforscher auf,
und hier haben wir schon bei der Anzeige des ersten Bandes auf einige Be¬
denken hingedeutet, die auch durch diese neue Lieferung nicht ganz beseitigt
sind. Versinnlichen wir uns zunächst den Zweck des Werks, so kann kein
Zweifel darüber obwalten, daß es nicht blos für die Gelehrten, sondern für
das größere Publicum bestimmt ist; und in der That, welcher Stoff könnte
würdiger sein, die fortdauernde Theilnahme der Nation sich zu erwerben, als
ihre eigne Geschichte. Freilich wird man voraussetzen müssen, daß der Umfang
deS W^erks weit über die Gewohnheiten des Lesepublicums hinausgehen wird.
ES hat sich aber bei mehren neuern Schriften gezeigt, daß dieser Umfang
nur ein scheinbarer Uebelstand ist. Wenn sich das Publicum für den Stoff
und die Behandlung wirklich interesstrt, so läßt eS sich durch die Zahl der
Bände nicht abschrecken. Für die Geschichte wie für das Epos ist eine ge¬
wisse Breite nothwendig , und eine Schreibart wie die von Ranke und Momm-
sen, die, so verschieden sie in ihrem Wesen sein mögen, darin übereinkommen,
daß sie nur für den Kenner arbeiten, kann niemals die allgemeine werden.
ES ist nicht nöthig, daß in jedem neuen Werk so viel neue geistvolle, frappante
Gesichtspunkte und Perspektiven eröffnet werden, als es bei jenen beiden


Geschichte der deutschen Kaiserzeit.

Von Wilhelm Giesebrecht. Zweiter Band. Erste Lieferung. Geschichte Hein¬
richs II. und Konrads II. Braunschweig, Schwetschke und Sohn.—

Der Verfasser dieses Werks hat in der letzten Zeit die durch DrumannS
Rücktritt erledigte Professur der Geschichte in Königsberg erhalten. In wieweit
er die Fächer der alten Geschichte und der Culturgeschichte, um die sich Dru-
mann seiner Zeit ein so eigenthümliches Perdienst erworben hat, ausfüllen wird,
muß die Zeit lehren. Wenn aber das Verdienst des Geschichtforschers haupt¬
sächlich im gründlichen, gewissenhaften und allseitigen Quellenstudium beruht,
so dürften wol wenige so geeignet sein, der Universität den ehrenvollen Ruf
zu erhalten, den der Verfasser der römischen Geschichte sich und seiner Stelle
erworben hat. Die deutsche Kaisergeschichte, von der uns gegenwärtig schon
ein sehr umfangreicher Theil vorliegt, läßt in Bezug auf die Gediegenheit der
Forschung nichts zu wünschen übrig. Wenn der Verfasser fortfährt, daS un¬
geheure Gebiet der deutschen Geschichte in einer ähnlichen monographischen
Weise zu behandeln, so wird das Werk in dieser Beziehung ohne Gleichen
dastehen, und wir werden endlich für die umfangreichen Vorarbeiten, die jetzt
schon über ein Menschenalter hinaus nicht blos mit der ganzen Energie deS
deutschen Fleißes, sondern auch mit dem eindringenden Verständniß einer
systematischen Schule fortgesetzt werden, einen würdigen Abschluß finden.

Freilich geht der Geschichtschreiber nicht ganz in den Geschichtforscher auf,
und hier haben wir schon bei der Anzeige des ersten Bandes auf einige Be¬
denken hingedeutet, die auch durch diese neue Lieferung nicht ganz beseitigt
sind. Versinnlichen wir uns zunächst den Zweck des Werks, so kann kein
Zweifel darüber obwalten, daß es nicht blos für die Gelehrten, sondern für
das größere Publicum bestimmt ist; und in der That, welcher Stoff könnte
würdiger sein, die fortdauernde Theilnahme der Nation sich zu erwerben, als
ihre eigne Geschichte. Freilich wird man voraussetzen müssen, daß der Umfang
deS W^erks weit über die Gewohnheiten des Lesepublicums hinausgehen wird.
ES hat sich aber bei mehren neuern Schriften gezeigt, daß dieser Umfang
nur ein scheinbarer Uebelstand ist. Wenn sich das Publicum für den Stoff
und die Behandlung wirklich interesstrt, so läßt eS sich durch die Zahl der
Bände nicht abschrecken. Für die Geschichte wie für das Epos ist eine ge¬
wisse Breite nothwendig , und eine Schreibart wie die von Ranke und Momm-
sen, die, so verschieden sie in ihrem Wesen sein mögen, darin übereinkommen,
daß sie nur für den Kenner arbeiten, kann niemals die allgemeine werden.
ES ist nicht nöthig, daß in jedem neuen Werk so viel neue geistvolle, frappante
Gesichtspunkte und Perspektiven eröffnet werden, als es bei jenen beiden


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[0182] Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Von Wilhelm Giesebrecht. Zweiter Band. Erste Lieferung. Geschichte Hein¬ richs II. und Konrads II. Braunschweig, Schwetschke und Sohn.— Der Verfasser dieses Werks hat in der letzten Zeit die durch DrumannS Rücktritt erledigte Professur der Geschichte in Königsberg erhalten. In wieweit er die Fächer der alten Geschichte und der Culturgeschichte, um die sich Dru- mann seiner Zeit ein so eigenthümliches Perdienst erworben hat, ausfüllen wird, muß die Zeit lehren. Wenn aber das Verdienst des Geschichtforschers haupt¬ sächlich im gründlichen, gewissenhaften und allseitigen Quellenstudium beruht, so dürften wol wenige so geeignet sein, der Universität den ehrenvollen Ruf zu erhalten, den der Verfasser der römischen Geschichte sich und seiner Stelle erworben hat. Die deutsche Kaisergeschichte, von der uns gegenwärtig schon ein sehr umfangreicher Theil vorliegt, läßt in Bezug auf die Gediegenheit der Forschung nichts zu wünschen übrig. Wenn der Verfasser fortfährt, daS un¬ geheure Gebiet der deutschen Geschichte in einer ähnlichen monographischen Weise zu behandeln, so wird das Werk in dieser Beziehung ohne Gleichen dastehen, und wir werden endlich für die umfangreichen Vorarbeiten, die jetzt schon über ein Menschenalter hinaus nicht blos mit der ganzen Energie deS deutschen Fleißes, sondern auch mit dem eindringenden Verständniß einer systematischen Schule fortgesetzt werden, einen würdigen Abschluß finden. Freilich geht der Geschichtschreiber nicht ganz in den Geschichtforscher auf, und hier haben wir schon bei der Anzeige des ersten Bandes auf einige Be¬ denken hingedeutet, die auch durch diese neue Lieferung nicht ganz beseitigt sind. Versinnlichen wir uns zunächst den Zweck des Werks, so kann kein Zweifel darüber obwalten, daß es nicht blos für die Gelehrten, sondern für das größere Publicum bestimmt ist; und in der That, welcher Stoff könnte würdiger sein, die fortdauernde Theilnahme der Nation sich zu erwerben, als ihre eigne Geschichte. Freilich wird man voraussetzen müssen, daß der Umfang deS W^erks weit über die Gewohnheiten des Lesepublicums hinausgehen wird. ES hat sich aber bei mehren neuern Schriften gezeigt, daß dieser Umfang nur ein scheinbarer Uebelstand ist. Wenn sich das Publicum für den Stoff und die Behandlung wirklich interesstrt, so läßt eS sich durch die Zahl der Bände nicht abschrecken. Für die Geschichte wie für das Epos ist eine ge¬ wisse Breite nothwendig , und eine Schreibart wie die von Ranke und Momm- sen, die, so verschieden sie in ihrem Wesen sein mögen, darin übereinkommen, daß sie nur für den Kenner arbeiten, kann niemals die allgemeine werden. ES ist nicht nöthig, daß in jedem neuen Werk so viel neue geistvolle, frappante Gesichtspunkte und Perspektiven eröffnet werden, als es bei jenen beiden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/182>, abgerufen am 27.04.2024.