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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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sehr solche Geschwindigkeitserfolge die Gemüthsart der minder Naschen von
Dur in Moll umzustimmen geeignet sind.

Der Straßenlärm Londons übertönt natürlich schon in geringer Ent¬
fernung die Aeußerungen dieses eigenthümlichen Dillettantismus, und wir dür¬
fen daher nicht wagen, ein Urtheil über den musikalischen Werth derselbe"
auszusprechen. Was wir davon vernahmen, hat nur bei nicht zu großer
Nähe einen bedenklichen Eindruck gemacht, wenngleich wir nicht dafür stehen
wollen, daß die nächsten Nachbarn unserm Ausspruche beipflichten möchten.
3 bis 3^2 Stunden unausgesetzter Glockenmusik ist freilich ein etwas langer
Genuß und es gehört englische Ausdauer dazu, die sich solcher Art auch bei
diesem nationalen Vergnügen nicht verleugnet.

Daß in England die männliche Jugend im Allgemeinen keine musikalische
Bildung erhält, ist etwas, was bei Beurtheilung englischen Thun und Treibens
wesentlich ins Gewicht fällt. Wir haben dieser Glockenspieler, wenn auch nur als
Curiosum, eben aus diesem Grunde Erwähnung gethan. Die Sitte des privaten
Glockenspiels ist ohne Zweifel uralt und erhält sich fort, wie daS einmal die bri¬
tische Anhänglichkeit an die alten, guten Zeiten mit sich bringt. Ob in dieser musi¬
kalischen Unerzogenheit des männlichen Geschlechts in England ein so wesent¬
licher Grund seiner Kraft und Härte liegt, wie Gervinus in seiner Parallele
zwischen deutscher und englischer Männlichkeit anzunehmen scheint? Die be¬
jahende Antwort darauf ist leichter als die Nachweisung eines Ersatzes für die
Musik. Wer zum Schweigen verurtheilt ist, wird schwer eine Sprache ent¬
behren, in der er ungestraft alles heraussagen darf, was seine Seele bewegt.
Das ist uns die Musik. Es müßte uns recht gut gehen, wenn wir, wie die
Engländer, im Stande .wären ohne sie zu leben.




Literatur.
Bildende Kunst.

-- Rudolph Weigels Kunstkatalog Ur. 27. enthaltend
1) Schriften über die schönen Künste, Galeriewerke, Bücher mit künstlerischer Aus¬
stattung, Illustrationen u. s. w., und 2) Verzeichnis? einer Sammlung von Küustler-
pvrträts in Werken und einzelnen Blättern von frühester Zeit bis zur Gegenwart. ,
Leipzig, R. Weigel. -1856 (Preis ->V" Thlr.). Die Bände dieses Katalogs haben
für den Kunsthandel große Wichtigkeit gewonnen und sind Sammlern, Antiquaren,
Cabiuetcn und Bibliotheken unentbehrliche Hilfsmittel. Der vorliegende Katalog
enthält Bücher und Druckwerke von Ur. 20557 bis 20933, und im Verzeichnis?
der Künstlervorträts Sammelwerke 67, und einzelne Porträts 3528 Nummern.
Mit jedem Jahre steigt im Antiquargeschäft die Zahl der Liebhaber und Sammler
und deshalb auch der Preis der irgendwie beachtungswerthen Bücher und


sehr solche Geschwindigkeitserfolge die Gemüthsart der minder Naschen von
Dur in Moll umzustimmen geeignet sind.

Der Straßenlärm Londons übertönt natürlich schon in geringer Ent¬
fernung die Aeußerungen dieses eigenthümlichen Dillettantismus, und wir dür¬
fen daher nicht wagen, ein Urtheil über den musikalischen Werth derselbe»
auszusprechen. Was wir davon vernahmen, hat nur bei nicht zu großer
Nähe einen bedenklichen Eindruck gemacht, wenngleich wir nicht dafür stehen
wollen, daß die nächsten Nachbarn unserm Ausspruche beipflichten möchten.
3 bis 3^2 Stunden unausgesetzter Glockenmusik ist freilich ein etwas langer
Genuß und es gehört englische Ausdauer dazu, die sich solcher Art auch bei
diesem nationalen Vergnügen nicht verleugnet.

Daß in England die männliche Jugend im Allgemeinen keine musikalische
Bildung erhält, ist etwas, was bei Beurtheilung englischen Thun und Treibens
wesentlich ins Gewicht fällt. Wir haben dieser Glockenspieler, wenn auch nur als
Curiosum, eben aus diesem Grunde Erwähnung gethan. Die Sitte des privaten
Glockenspiels ist ohne Zweifel uralt und erhält sich fort, wie daS einmal die bri¬
tische Anhänglichkeit an die alten, guten Zeiten mit sich bringt. Ob in dieser musi¬
kalischen Unerzogenheit des männlichen Geschlechts in England ein so wesent¬
licher Grund seiner Kraft und Härte liegt, wie Gervinus in seiner Parallele
zwischen deutscher und englischer Männlichkeit anzunehmen scheint? Die be¬
jahende Antwort darauf ist leichter als die Nachweisung eines Ersatzes für die
Musik. Wer zum Schweigen verurtheilt ist, wird schwer eine Sprache ent¬
behren, in der er ungestraft alles heraussagen darf, was seine Seele bewegt.
Das ist uns die Musik. Es müßte uns recht gut gehen, wenn wir, wie die
Engländer, im Stande .wären ohne sie zu leben.




Literatur.
Bildende Kunst.

— Rudolph Weigels Kunstkatalog Ur. 27. enthaltend
1) Schriften über die schönen Künste, Galeriewerke, Bücher mit künstlerischer Aus¬
stattung, Illustrationen u. s. w., und 2) Verzeichnis? einer Sammlung von Küustler-
pvrträts in Werken und einzelnen Blättern von frühester Zeit bis zur Gegenwart. ,
Leipzig, R. Weigel. -1856 (Preis ->V» Thlr.). Die Bände dieses Katalogs haben
für den Kunsthandel große Wichtigkeit gewonnen und sind Sammlern, Antiquaren,
Cabiuetcn und Bibliotheken unentbehrliche Hilfsmittel. Der vorliegende Katalog
enthält Bücher und Druckwerke von Ur. 20557 bis 20933, und im Verzeichnis?
der Künstlervorträts Sammelwerke 67, und einzelne Porträts 3528 Nummern.
Mit jedem Jahre steigt im Antiquargeschäft die Zahl der Liebhaber und Sammler
und deshalb auch der Preis der irgendwie beachtungswerthen Bücher und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/326>, abgerufen am 27.04.2024.