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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Französische Geschichtschreiber.
3. Guizot.

Ueber Guizots politische Stellung haben wir uns bereits vor einiger Zeit
ausgesprochen, wir betrachten ihn heute nur als Mann der Wissenschaft, und
hier gewährt er uns ein erfreulicheres Bild, denn innerhalb der großen lite¬
rarischen Bewegung von 1820 bis 1830, die in gewisser Beziehung eine Wieder¬
geburt Frankreichs war, nimmt er eine der hervorragendsten Stellen ein. Wir
haben Thierry, Thiers und Mignet bereits charakterisirt; Villemain, Cousin,
Fauriel, Barante, Raynouard und andere gehören in diesen ausgezeichneten
Kreis, der trotz mancher Abweichungen im Einzelnen in Bezug auf das Wesent¬
lichste nach derselben Richtung hinwirkte.

Fran^vis Guizot wurde 1787 zu NisMes von protestantischen Eltern ge¬
boren. Als sein Vater in der Schreckenszeit auf dem Schaffst gefallen war
(1794), begab sich'die Mutter mit der Familie' nach Genf; nachdem er dort
vorgebildet war, lebteer seit 1806 als Hauslehrer in der Familie des schweizer
Gesandten in Paris. Wie alle jungen strebsamen Talente, die in dieser Zeit
in Paris ihr Glück zu machen suchten, betheiligte er sich an den Zeitschriften
und machte 1807 eine Bekanntschaft, die für sein Leben entscheidend war.
Am Publiciste, dem gediegensten liberalen Blatt jener Periode, war die Haupt¬
mitarbeiterin Fräulein Pauline de Meulan, geboren 1773, eine Schrift¬
stellerin , die in der Richtung ihres Talents Frau von Stal-l am nächsten
kommt. Eine schwere Krankheit unterbrach in jenem Jahr ihre journalistische
Thätigkeit, der junge Guizot bot sich ihr als Stellvertreter, und es entspann
sich daraus ein freundschaftliches Verhältniß, welches 1812 zur Heirath führte.
Sie war vierzehn Jahr älter, als ihr Mann, und ihre Ueberzeugungen gingen
anscheinend weit auseinander. Guizot war leidenschaftlicher Protestant mit
etwas puritanischen Anstrich, Pauline verdankte ihre erste Bildung den Ency¬
klopädisten; aber sie ergänzten sich sehr glücklich, und Guizot hat ihr noch in
spätern Jahren eine größere Mäßigung und Freiheit des Urtheils gedankt.
2n seinen ästhetischen Schriften erkennt man vielfach ihren Einfluß. Ihr
Salon gehörte in den letzten Jahren der Restauration bis an ihren Tod 1827
i" den gesuchtesten Sammelpunkten geistvoller Männer, ohne grade ein bursau
et'e8prit zu sein.


Grenzboten. I. 18ö7. 4ti
Französische Geschichtschreiber.
3. Guizot.

Ueber Guizots politische Stellung haben wir uns bereits vor einiger Zeit
ausgesprochen, wir betrachten ihn heute nur als Mann der Wissenschaft, und
hier gewährt er uns ein erfreulicheres Bild, denn innerhalb der großen lite¬
rarischen Bewegung von 1820 bis 1830, die in gewisser Beziehung eine Wieder¬
geburt Frankreichs war, nimmt er eine der hervorragendsten Stellen ein. Wir
haben Thierry, Thiers und Mignet bereits charakterisirt; Villemain, Cousin,
Fauriel, Barante, Raynouard und andere gehören in diesen ausgezeichneten
Kreis, der trotz mancher Abweichungen im Einzelnen in Bezug auf das Wesent¬
lichste nach derselben Richtung hinwirkte.

Fran^vis Guizot wurde 1787 zu NisMes von protestantischen Eltern ge¬
boren. Als sein Vater in der Schreckenszeit auf dem Schaffst gefallen war
(1794), begab sich'die Mutter mit der Familie' nach Genf; nachdem er dort
vorgebildet war, lebteer seit 1806 als Hauslehrer in der Familie des schweizer
Gesandten in Paris. Wie alle jungen strebsamen Talente, die in dieser Zeit
in Paris ihr Glück zu machen suchten, betheiligte er sich an den Zeitschriften
und machte 1807 eine Bekanntschaft, die für sein Leben entscheidend war.
Am Publiciste, dem gediegensten liberalen Blatt jener Periode, war die Haupt¬
mitarbeiterin Fräulein Pauline de Meulan, geboren 1773, eine Schrift¬
stellerin , die in der Richtung ihres Talents Frau von Stal-l am nächsten
kommt. Eine schwere Krankheit unterbrach in jenem Jahr ihre journalistische
Thätigkeit, der junge Guizot bot sich ihr als Stellvertreter, und es entspann
sich daraus ein freundschaftliches Verhältniß, welches 1812 zur Heirath führte.
Sie war vierzehn Jahr älter, als ihr Mann, und ihre Ueberzeugungen gingen
anscheinend weit auseinander. Guizot war leidenschaftlicher Protestant mit
etwas puritanischen Anstrich, Pauline verdankte ihre erste Bildung den Ency¬
klopädisten; aber sie ergänzten sich sehr glücklich, und Guizot hat ihr noch in
spätern Jahren eine größere Mäßigung und Freiheit des Urtheils gedankt.
2n seinen ästhetischen Schriften erkennt man vielfach ihren Einfluß. Ihr
Salon gehörte in den letzten Jahren der Restauration bis an ihren Tod 1827
i» den gesuchtesten Sammelpunkten geistvoller Männer, ohne grade ein bursau
et'e8prit zu sein.


Grenzboten. I. 18ö7. 4ti
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[0369] Französische Geschichtschreiber. 3. Guizot. Ueber Guizots politische Stellung haben wir uns bereits vor einiger Zeit ausgesprochen, wir betrachten ihn heute nur als Mann der Wissenschaft, und hier gewährt er uns ein erfreulicheres Bild, denn innerhalb der großen lite¬ rarischen Bewegung von 1820 bis 1830, die in gewisser Beziehung eine Wieder¬ geburt Frankreichs war, nimmt er eine der hervorragendsten Stellen ein. Wir haben Thierry, Thiers und Mignet bereits charakterisirt; Villemain, Cousin, Fauriel, Barante, Raynouard und andere gehören in diesen ausgezeichneten Kreis, der trotz mancher Abweichungen im Einzelnen in Bezug auf das Wesent¬ lichste nach derselben Richtung hinwirkte. Fran^vis Guizot wurde 1787 zu NisMes von protestantischen Eltern ge¬ boren. Als sein Vater in der Schreckenszeit auf dem Schaffst gefallen war (1794), begab sich'die Mutter mit der Familie' nach Genf; nachdem er dort vorgebildet war, lebteer seit 1806 als Hauslehrer in der Familie des schweizer Gesandten in Paris. Wie alle jungen strebsamen Talente, die in dieser Zeit in Paris ihr Glück zu machen suchten, betheiligte er sich an den Zeitschriften und machte 1807 eine Bekanntschaft, die für sein Leben entscheidend war. Am Publiciste, dem gediegensten liberalen Blatt jener Periode, war die Haupt¬ mitarbeiterin Fräulein Pauline de Meulan, geboren 1773, eine Schrift¬ stellerin , die in der Richtung ihres Talents Frau von Stal-l am nächsten kommt. Eine schwere Krankheit unterbrach in jenem Jahr ihre journalistische Thätigkeit, der junge Guizot bot sich ihr als Stellvertreter, und es entspann sich daraus ein freundschaftliches Verhältniß, welches 1812 zur Heirath führte. Sie war vierzehn Jahr älter, als ihr Mann, und ihre Ueberzeugungen gingen anscheinend weit auseinander. Guizot war leidenschaftlicher Protestant mit etwas puritanischen Anstrich, Pauline verdankte ihre erste Bildung den Ency¬ klopädisten; aber sie ergänzten sich sehr glücklich, und Guizot hat ihr noch in spätern Jahren eine größere Mäßigung und Freiheit des Urtheils gedankt. 2n seinen ästhetischen Schriften erkennt man vielfach ihren Einfluß. Ihr Salon gehörte in den letzten Jahren der Restauration bis an ihren Tod 1827 i» den gesuchtesten Sammelpunkten geistvoller Männer, ohne grade ein bursau et'e8prit zu sein. Grenzboten. I. 18ö7. 4ti

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/369>, abgerufen am 27.04.2024.