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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Bilder aus dem römischen Alterthum.
Ein reicher Parvenu in der Kaiserzett.

Zwei verschiedene Methoden gibt es, Zustände einer entfernten Ver¬
gangenheit in anschaulichen Bildern darzustellen, jede auf ihre", eignen Gebiet
berechtigt, ,die poetische und die historische. Der Dichter und der Geschicht¬
schreiber müssen beide, wenn sie treu und wahr schildern wollen, dieselbe Ueber¬
lieferung benutzen, aber ihr Verfahren ist keineswegs dasselbe. Die Ueber¬
lieferung ist ihrer Natur nach fragmentarisch. Der Dichter darf und muß
ihre Lücke mit freischaffendem Geiste ergänzen, folglich können wir von ihm
keine factische Wahrheit' erwarten, sondern nur, daß seine Darstellung im Ein¬
klange mit der zu Grunde liegenden Ueberlieferung sei. Der Historiker da¬
gegen darf nichts zu seiner Schilderung benutzen, was nicht entweder that¬
sächlich feststeht oder sich aus Combination feststehender Thatsachen mit Gewi߬
heit ergibt. Die poetische Wahrheit erfordert die Uebereinstimmung deS Bildes
mit der Wirklichkeit nur in dem allgemeinen Charakter der Färbung, die histo¬
rische gestattet keine Abweichung, auch im Detail, auch in der Nüancirung nicht.
Auf jene Art schildert Walter Scott und Manzoni, auf diese Macaulay und Ranke.

Diese beiden Methoden schließen einander aus, grade das, worin der
Hauptwerth der einen beruht, liegt außer dem Bereich der andern. Ein
guter Roman verdankt seinen Werth hauptsächlich der gestaltenden Kraft des
Dichters, deren freies Walten nicht durch die engen Schranken des zufälligen
Thatbestandes gehemmt wird:,eine gute historische Schilderung ist das Resultat
geistvoller und gewissenhafter Forschung, die sich aber nur auf dem Gebiet des
thatsächlich Feststehenden bewegen darf. Die Vorzüge beider Gattungen ver¬
einigen wollen, heißt etwas Unmögliches unternehmen. Die heutzutage be¬
liebte Aftergattung der Romane zum Zweck geschichtlicher Belehrung leidet an
diesem innern Widerspruch: sie haben entweder keinen poetischen Werth oder
keine historische Glaubwürdigkeit, und sehr häufig keins von beiden.

Auch auf dem Gebiet des römischen Alterthums ist ein solcher Versuch
gemacht worden, geschichtlichen Inhalt in Romansorm vorzutragen, wir meinen
das Buch des vor einigen Jahren verstorbenen Prof. W. A.Becker in Leipzig:
Gallus oder römische Scenen aus der , Zeit Augusts. Cornelius Gallus, aus
niedriger Abkunft zu einer bedeutenden Stellung aufgestiegen, einer von Augusts
Vertrauten, und zugleich einer der berühmtesten Dichter seiner Zeit, der durch
Selbstmord einem drohenden Hochverrathsproceß sich entzog, ist hier zum Mittel¬
punkt einer Reihe von Schilderungen gemacht, die verschiedene Seiten des
damaligen luxch Ule veranschaulichen sollen. Der poetischen Licenz ist durch¬
aus kein Spielraum auf Kosten der historischen Treue gegeben. Becker ver-


Bilder aus dem römischen Alterthum.
Ein reicher Parvenu in der Kaiserzett.

Zwei verschiedene Methoden gibt es, Zustände einer entfernten Ver¬
gangenheit in anschaulichen Bildern darzustellen, jede auf ihre«, eignen Gebiet
berechtigt, ,die poetische und die historische. Der Dichter und der Geschicht¬
schreiber müssen beide, wenn sie treu und wahr schildern wollen, dieselbe Ueber¬
lieferung benutzen, aber ihr Verfahren ist keineswegs dasselbe. Die Ueber¬
lieferung ist ihrer Natur nach fragmentarisch. Der Dichter darf und muß
ihre Lücke mit freischaffendem Geiste ergänzen, folglich können wir von ihm
keine factische Wahrheit' erwarten, sondern nur, daß seine Darstellung im Ein¬
klange mit der zu Grunde liegenden Ueberlieferung sei. Der Historiker da¬
gegen darf nichts zu seiner Schilderung benutzen, was nicht entweder that¬
sächlich feststeht oder sich aus Combination feststehender Thatsachen mit Gewi߬
heit ergibt. Die poetische Wahrheit erfordert die Uebereinstimmung deS Bildes
mit der Wirklichkeit nur in dem allgemeinen Charakter der Färbung, die histo¬
rische gestattet keine Abweichung, auch im Detail, auch in der Nüancirung nicht.
Auf jene Art schildert Walter Scott und Manzoni, auf diese Macaulay und Ranke.

Diese beiden Methoden schließen einander aus, grade das, worin der
Hauptwerth der einen beruht, liegt außer dem Bereich der andern. Ein
guter Roman verdankt seinen Werth hauptsächlich der gestaltenden Kraft des
Dichters, deren freies Walten nicht durch die engen Schranken des zufälligen
Thatbestandes gehemmt wird:,eine gute historische Schilderung ist das Resultat
geistvoller und gewissenhafter Forschung, die sich aber nur auf dem Gebiet des
thatsächlich Feststehenden bewegen darf. Die Vorzüge beider Gattungen ver¬
einigen wollen, heißt etwas Unmögliches unternehmen. Die heutzutage be¬
liebte Aftergattung der Romane zum Zweck geschichtlicher Belehrung leidet an
diesem innern Widerspruch: sie haben entweder keinen poetischen Werth oder
keine historische Glaubwürdigkeit, und sehr häufig keins von beiden.

Auch auf dem Gebiet des römischen Alterthums ist ein solcher Versuch
gemacht worden, geschichtlichen Inhalt in Romansorm vorzutragen, wir meinen
das Buch des vor einigen Jahren verstorbenen Prof. W. A.Becker in Leipzig:
Gallus oder römische Scenen aus der , Zeit Augusts. Cornelius Gallus, aus
niedriger Abkunft zu einer bedeutenden Stellung aufgestiegen, einer von Augusts
Vertrauten, und zugleich einer der berühmtesten Dichter seiner Zeit, der durch
Selbstmord einem drohenden Hochverrathsproceß sich entzog, ist hier zum Mittel¬
punkt einer Reihe von Schilderungen gemacht, die verschiedene Seiten des
damaligen luxch Ule veranschaulichen sollen. Der poetischen Licenz ist durch¬
aus kein Spielraum auf Kosten der historischen Treue gegeben. Becker ver-


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[0388] Bilder aus dem römischen Alterthum. Ein reicher Parvenu in der Kaiserzett. Zwei verschiedene Methoden gibt es, Zustände einer entfernten Ver¬ gangenheit in anschaulichen Bildern darzustellen, jede auf ihre«, eignen Gebiet berechtigt, ,die poetische und die historische. Der Dichter und der Geschicht¬ schreiber müssen beide, wenn sie treu und wahr schildern wollen, dieselbe Ueber¬ lieferung benutzen, aber ihr Verfahren ist keineswegs dasselbe. Die Ueber¬ lieferung ist ihrer Natur nach fragmentarisch. Der Dichter darf und muß ihre Lücke mit freischaffendem Geiste ergänzen, folglich können wir von ihm keine factische Wahrheit' erwarten, sondern nur, daß seine Darstellung im Ein¬ klange mit der zu Grunde liegenden Ueberlieferung sei. Der Historiker da¬ gegen darf nichts zu seiner Schilderung benutzen, was nicht entweder that¬ sächlich feststeht oder sich aus Combination feststehender Thatsachen mit Gewi߬ heit ergibt. Die poetische Wahrheit erfordert die Uebereinstimmung deS Bildes mit der Wirklichkeit nur in dem allgemeinen Charakter der Färbung, die histo¬ rische gestattet keine Abweichung, auch im Detail, auch in der Nüancirung nicht. Auf jene Art schildert Walter Scott und Manzoni, auf diese Macaulay und Ranke. Diese beiden Methoden schließen einander aus, grade das, worin der Hauptwerth der einen beruht, liegt außer dem Bereich der andern. Ein guter Roman verdankt seinen Werth hauptsächlich der gestaltenden Kraft des Dichters, deren freies Walten nicht durch die engen Schranken des zufälligen Thatbestandes gehemmt wird:,eine gute historische Schilderung ist das Resultat geistvoller und gewissenhafter Forschung, die sich aber nur auf dem Gebiet des thatsächlich Feststehenden bewegen darf. Die Vorzüge beider Gattungen ver¬ einigen wollen, heißt etwas Unmögliches unternehmen. Die heutzutage be¬ liebte Aftergattung der Romane zum Zweck geschichtlicher Belehrung leidet an diesem innern Widerspruch: sie haben entweder keinen poetischen Werth oder keine historische Glaubwürdigkeit, und sehr häufig keins von beiden. Auch auf dem Gebiet des römischen Alterthums ist ein solcher Versuch gemacht worden, geschichtlichen Inhalt in Romansorm vorzutragen, wir meinen das Buch des vor einigen Jahren verstorbenen Prof. W. A.Becker in Leipzig: Gallus oder römische Scenen aus der , Zeit Augusts. Cornelius Gallus, aus niedriger Abkunft zu einer bedeutenden Stellung aufgestiegen, einer von Augusts Vertrauten, und zugleich einer der berühmtesten Dichter seiner Zeit, der durch Selbstmord einem drohenden Hochverrathsproceß sich entzog, ist hier zum Mittel¬ punkt einer Reihe von Schilderungen gemacht, die verschiedene Seiten des damaligen luxch Ule veranschaulichen sollen. Der poetischen Licenz ist durch¬ aus kein Spielraum auf Kosten der historischen Treue gegeben. Becker ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/388>, abgerufen am 27.04.2024.