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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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würde, der ihn in seinem Testament bedacht hatte; der hypochondrische Patient,
um welche Stunde er Arznei nehmen solle. In schönen Händen sah man
häusig astrologische Kalender, die durch langen Gebrauch abgenutzt waren.
Ein Brautpaar ließ sich den günstigen Tag zu seiner Hochzeit, ein Bauherr
zur Grundsteinlegung seines Hauses, ein Landmann den Ausfall der Ernte
aus den Sternen bestimmen. Natürlich gaben sie sich auch häufig Blößen.
In den Metamorphosen des Apulejus, einem um die Mitte des zweiten Jahr¬
hunderts geschriebenen Roman, kommt eine Scene vor, wie sie sich ost genug
ereignet haben mögen. Ein Kaufmann in einer Stadt Thessaliens, der sich
von einem umherziehenden Chalväer den für eine anzutretende Geschäftsreise
günstigen Tag hat bestimmen lassen, zieht eben die Börse, um dem Propheten
sein Honorar zu zahlen, das, beiläufig gesagt, mehr als 20 Thaler in unserm
Gelde beträgt. Da tritt ein junger Mann herzu, der den Astrologen als alten
Bekannten begrüßt und sich erkundigt, ob seine letzte Seefahrt glücklich gewesen
sei. Dieser, in der Freude über das unerwartete Wiedersehn, vergißt ganz,
daß er als Prophet den Ausgang seiner eignen Unternehmungen am besten
hätte vorauswissen müssen und erzählt unbefangen, seine Reise sei die aller-
unglücklichste gewesen. Sein Schiff sei gestrandet, sein Eigenthum in die
Hände von Räubern gefallen, sein Bruder vor seinen Augen ermordet. Der
Kaufmann, der dies mit anhört, steckt sein Geld wieder ein, und die Um¬
stehenden lachen den Chalväer aus.

Man sieht, es ist nicht etwa der Aberglaube, der zu den charakteristi¬
schen Eigenschaften des Parvenus gehört. Es ist nur die Dummheit, die
^ sich von jedem, auch dem plumpsten und handgreiflichsten Betrüge, dupiren
läßt.




Sklave" und Deutsche.

Unter den Mitteln, von welchen die Gegner der Sklaverei
eine allmälige Aufhebung derselben hofften, -waren hauptsächlich zwei, durch welche
man sich großen Erfolg versprach. Das erste beruhte auf der Ansicht, daß durch
die Erwerbung neuer Sklaventcrritoricn, die südlich genug liegen, um den Anbau
von Zucker, Baumwolle und Reis zu gestatten, wo mithin die Sklavenarbeit be¬
sonders werthvoll ist, eine bedeutende Verdünnung der Sklavenbevölkerung in
den mehr > nördlich gelegenen Sklavenstaaten, namentlich in Virginien, Maryland,
Delaware, Kentucky und Tennessee eintreten würde. Man nahm an, die Sklaverei
würde dadurch in großem Maße aus den soeben genannten Staaten in jene neuen
Gebiete abgeleitet und so deren Abschaffung in diesen Staaten erleichtert werden --
was freilich immer nur eine Verpflanzung und nicht eine Heilung des Uebels ge¬
wesen wäre. Diese Ansicht wurde auch mit vielem Nachdruck von der Sklavenpartei


Grenzboten. I. -I8S7. > SO

würde, der ihn in seinem Testament bedacht hatte; der hypochondrische Patient,
um welche Stunde er Arznei nehmen solle. In schönen Händen sah man
häusig astrologische Kalender, die durch langen Gebrauch abgenutzt waren.
Ein Brautpaar ließ sich den günstigen Tag zu seiner Hochzeit, ein Bauherr
zur Grundsteinlegung seines Hauses, ein Landmann den Ausfall der Ernte
aus den Sternen bestimmen. Natürlich gaben sie sich auch häufig Blößen.
In den Metamorphosen des Apulejus, einem um die Mitte des zweiten Jahr¬
hunderts geschriebenen Roman, kommt eine Scene vor, wie sie sich ost genug
ereignet haben mögen. Ein Kaufmann in einer Stadt Thessaliens, der sich
von einem umherziehenden Chalväer den für eine anzutretende Geschäftsreise
günstigen Tag hat bestimmen lassen, zieht eben die Börse, um dem Propheten
sein Honorar zu zahlen, das, beiläufig gesagt, mehr als 20 Thaler in unserm
Gelde beträgt. Da tritt ein junger Mann herzu, der den Astrologen als alten
Bekannten begrüßt und sich erkundigt, ob seine letzte Seefahrt glücklich gewesen
sei. Dieser, in der Freude über das unerwartete Wiedersehn, vergißt ganz,
daß er als Prophet den Ausgang seiner eignen Unternehmungen am besten
hätte vorauswissen müssen und erzählt unbefangen, seine Reise sei die aller-
unglücklichste gewesen. Sein Schiff sei gestrandet, sein Eigenthum in die
Hände von Räubern gefallen, sein Bruder vor seinen Augen ermordet. Der
Kaufmann, der dies mit anhört, steckt sein Geld wieder ein, und die Um¬
stehenden lachen den Chalväer aus.

Man sieht, es ist nicht etwa der Aberglaube, der zu den charakteristi¬
schen Eigenschaften des Parvenus gehört. Es ist nur die Dummheit, die
^ sich von jedem, auch dem plumpsten und handgreiflichsten Betrüge, dupiren
läßt.




Sklave» und Deutsche.

Unter den Mitteln, von welchen die Gegner der Sklaverei
eine allmälige Aufhebung derselben hofften, -waren hauptsächlich zwei, durch welche
man sich großen Erfolg versprach. Das erste beruhte auf der Ansicht, daß durch
die Erwerbung neuer Sklaventcrritoricn, die südlich genug liegen, um den Anbau
von Zucker, Baumwolle und Reis zu gestatten, wo mithin die Sklavenarbeit be¬
sonders werthvoll ist, eine bedeutende Verdünnung der Sklavenbevölkerung in
den mehr > nördlich gelegenen Sklavenstaaten, namentlich in Virginien, Maryland,
Delaware, Kentucky und Tennessee eintreten würde. Man nahm an, die Sklaverei
würde dadurch in großem Maße aus den soeben genannten Staaten in jene neuen
Gebiete abgeleitet und so deren Abschaffung in diesen Staaten erleichtert werden —
was freilich immer nur eine Verpflanzung und nicht eine Heilung des Uebels ge¬
wesen wäre. Diese Ansicht wurde auch mit vielem Nachdruck von der Sklavenpartei


Grenzboten. I. -I8S7. > SO
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/401>, abgerufen am 27.04.2024.