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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Bilder aus dem römischen Alterthum.
Ein reicher Parvenu in der Kaiserzeit.
2.

Um die gesellschaftlichen Zustände einer italienischen Stadt zweiten und
dritten Ranges im Anfang der Kaiserzeit zu versteh", und die Stellung, die ein
Mann, wie der Trimalchio des petronischen Romans darin einnahm, richtig
aufzufassen, ist es nöthig, die damals bestehende Communalverfassung wenig¬
stens nach ihren Grundprincipien zu kennen. Wie in Rom zerfiel in den
übrigen Städten die Einwohnerschaft in drei Rangclassen. Dem Senat,
Ritterstand und der Bürgerschaft in der Hauptstadt entsprachen die Decurionen,
Augustalen und die Bürgerschaft der andern Communen. Diese Stände waren
auss strengste geschieden, sogar durch Abzeichen an ihrer Kleidung, hatten bei
öffentlichen Mahlzeiten und im Theater getrennte Plätze, und in den ersten
Stand konnte ein Freigelassener, wie Trimalchio, niemals aufgenommen werden.
Diese Rangunterschiede wurden während der Kaiserzeit mit der größten Con-
sequenz aufrecht erhalten, und kaum dürfte ein Beispiel gefunden werden, daß
sie in irgend einem italienischen Krähwinkel jemals ignorirt worden sind. Auf
die Aufnahme in das Decurionat dursten erst die Söhne von Freigelassenen
zu hoffen wagen, und die höchste Ehre, auf welche Leute wie Trimalchio
aspiriren konnten, war die Verleihung der äußerlichen Auszeichnungen der
Decurionen, namentlich eines Platzes im Theater unter ihnen. Auch wer ein
für unanständig geltendes Gewerbe trieb z. B. das eines Ausrufers oder
Leichenbesorgers, war vom Eintritt in den ersten Stand ausgeschlossen. Aus
den Decurionen wurde der gewöhnlich aus hundert Mitgliedern bestehende
Gemeinderath gebildet, und dieser wählte die Communalbeamten, deren Aemter
nicht nur unbesoldet, sondern immer mit Kosten verknüpft waren. Die Befug¬
nisse dieser Beamten waren natürlich sehr eingeschränkt. Sie präsidirten im
Gemeinderath, verwalteten die unblutige Ortsjustiz, die Stadtkasse und die
Polizei; die Polizeibeamten, die wie in Rom Aedilen hießen, hatten auch in
den andern Städten die Aufsicht über die öffentlichen Gebäude, den Straßen¬
bau, die Märkte, die Zufuhren und die Richtigkeit der Maße und Gewichte.
Alle einigermaßen wichtigern Angelegenheiten, namentlich die finanziellen, wur-


Grenzboten I. 18S7. 31
Bilder aus dem römischen Alterthum.
Ein reicher Parvenu in der Kaiserzeit.
2.

Um die gesellschaftlichen Zustände einer italienischen Stadt zweiten und
dritten Ranges im Anfang der Kaiserzeit zu versteh», und die Stellung, die ein
Mann, wie der Trimalchio des petronischen Romans darin einnahm, richtig
aufzufassen, ist es nöthig, die damals bestehende Communalverfassung wenig¬
stens nach ihren Grundprincipien zu kennen. Wie in Rom zerfiel in den
übrigen Städten die Einwohnerschaft in drei Rangclassen. Dem Senat,
Ritterstand und der Bürgerschaft in der Hauptstadt entsprachen die Decurionen,
Augustalen und die Bürgerschaft der andern Communen. Diese Stände waren
auss strengste geschieden, sogar durch Abzeichen an ihrer Kleidung, hatten bei
öffentlichen Mahlzeiten und im Theater getrennte Plätze, und in den ersten
Stand konnte ein Freigelassener, wie Trimalchio, niemals aufgenommen werden.
Diese Rangunterschiede wurden während der Kaiserzeit mit der größten Con-
sequenz aufrecht erhalten, und kaum dürfte ein Beispiel gefunden werden, daß
sie in irgend einem italienischen Krähwinkel jemals ignorirt worden sind. Auf
die Aufnahme in das Decurionat dursten erst die Söhne von Freigelassenen
zu hoffen wagen, und die höchste Ehre, auf welche Leute wie Trimalchio
aspiriren konnten, war die Verleihung der äußerlichen Auszeichnungen der
Decurionen, namentlich eines Platzes im Theater unter ihnen. Auch wer ein
für unanständig geltendes Gewerbe trieb z. B. das eines Ausrufers oder
Leichenbesorgers, war vom Eintritt in den ersten Stand ausgeschlossen. Aus
den Decurionen wurde der gewöhnlich aus hundert Mitgliedern bestehende
Gemeinderath gebildet, und dieser wählte die Communalbeamten, deren Aemter
nicht nur unbesoldet, sondern immer mit Kosten verknüpft waren. Die Befug¬
nisse dieser Beamten waren natürlich sehr eingeschränkt. Sie präsidirten im
Gemeinderath, verwalteten die unblutige Ortsjustiz, die Stadtkasse und die
Polizei; die Polizeibeamten, die wie in Rom Aedilen hießen, hatten auch in
den andern Städten die Aufsicht über die öffentlichen Gebäude, den Straßen¬
bau, die Märkte, die Zufuhren und die Richtigkeit der Maße und Gewichte.
Alle einigermaßen wichtigern Angelegenheiten, namentlich die finanziellen, wur-


Grenzboten I. 18S7. 31
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[0409] Bilder aus dem römischen Alterthum. Ein reicher Parvenu in der Kaiserzeit. 2. Um die gesellschaftlichen Zustände einer italienischen Stadt zweiten und dritten Ranges im Anfang der Kaiserzeit zu versteh», und die Stellung, die ein Mann, wie der Trimalchio des petronischen Romans darin einnahm, richtig aufzufassen, ist es nöthig, die damals bestehende Communalverfassung wenig¬ stens nach ihren Grundprincipien zu kennen. Wie in Rom zerfiel in den übrigen Städten die Einwohnerschaft in drei Rangclassen. Dem Senat, Ritterstand und der Bürgerschaft in der Hauptstadt entsprachen die Decurionen, Augustalen und die Bürgerschaft der andern Communen. Diese Stände waren auss strengste geschieden, sogar durch Abzeichen an ihrer Kleidung, hatten bei öffentlichen Mahlzeiten und im Theater getrennte Plätze, und in den ersten Stand konnte ein Freigelassener, wie Trimalchio, niemals aufgenommen werden. Diese Rangunterschiede wurden während der Kaiserzeit mit der größten Con- sequenz aufrecht erhalten, und kaum dürfte ein Beispiel gefunden werden, daß sie in irgend einem italienischen Krähwinkel jemals ignorirt worden sind. Auf die Aufnahme in das Decurionat dursten erst die Söhne von Freigelassenen zu hoffen wagen, und die höchste Ehre, auf welche Leute wie Trimalchio aspiriren konnten, war die Verleihung der äußerlichen Auszeichnungen der Decurionen, namentlich eines Platzes im Theater unter ihnen. Auch wer ein für unanständig geltendes Gewerbe trieb z. B. das eines Ausrufers oder Leichenbesorgers, war vom Eintritt in den ersten Stand ausgeschlossen. Aus den Decurionen wurde der gewöhnlich aus hundert Mitgliedern bestehende Gemeinderath gebildet, und dieser wählte die Communalbeamten, deren Aemter nicht nur unbesoldet, sondern immer mit Kosten verknüpft waren. Die Befug¬ nisse dieser Beamten waren natürlich sehr eingeschränkt. Sie präsidirten im Gemeinderath, verwalteten die unblutige Ortsjustiz, die Stadtkasse und die Polizei; die Polizeibeamten, die wie in Rom Aedilen hießen, hatten auch in den andern Städten die Aufsicht über die öffentlichen Gebäude, den Straßen¬ bau, die Märkte, die Zufuhren und die Richtigkeit der Maße und Gewichte. Alle einigermaßen wichtigern Angelegenheiten, namentlich die finanziellen, wur- Grenzboten I. 18S7. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/409>, abgerufen am 27.04.2024.