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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Deshalb galt es vermuthlich jedem gutenZUnterthan als das Sicherste, alle und
jede Philosophie grundsätzlich zu ignoriren.




Zur italienischen Frage.

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18t6 al 18S3.

Schon Macchiavelli schrieb an Vettori: ekelt' Iwliani l Vol mi
kath rläerk!" (Die italienische Freiheit! Sie erregen mein Lachen!) Welches
sind die Ursachen, die Italien trotz seiner trefflichen geographischen Lage, trotz
der hohen geistigen Begabung seiner Bewohner, zu der Ohnmacht und zu
der Zerstückelung gebracht haben, in welcher wir es heute erblicken?

Die Hauptursache ist der Geist der Trennung, der jedem Italiener an¬
geboren zu sein scheint. Dieser Geist zeigte sich sofort, als nach dem Sturze
des römischen Reiches und nach der Zerstückelung des Landes durch die Bar¬
baren des S. Jahrhunderts Staaten sich bildeten, die, obwol geeint durch
Abstammung, Religion und Sprache, doch untereinander fortdauernd in Feind¬
schaft lebten. Dieser Geist der Trennung zeigte sich am mächtigsten in dem
Gegensatz der Guelfen und Ghibellinen. Beide große Parteien wollten das¬
selbe: die Freiheit Italiens; aber sie wollten diese Freiheit durch ganz ent¬
gegengesetzte Mittel erzielen. Die Guelfen wollten eine Konföderation freier
italienischer Staaten unter dem Vorsitz des Papstes: sie wollten durch dieses
System die beiden großen Errungenschaften ihrer Zeit, die communale Frei¬
heit und die katholische Einheit verewigen; die'Ghibellinen dagegen, durch¬
drungen von der Idee, daß das Priesterthum von dem Kaiserthum, die Kirche
von dem Staat getrennt werden müsse, wollten ein einiges Italien unter
dem Scepter eines weltlichen Fürsten, und da sie keinen italienischen Fürsten
fanden, der fähig war, die Krone Italiens zu tragen, so boten sie diese Krone
dem deutschen Kaiser an. Keine der beiden Parteien siegte; ihr Zwiespalt
stürzte das Land in eine immer größere Zerklüftung; seitdem war Italien
theils der Fremdherrschaft, theils dem Despotismus einheimischer Gewalten
unterworfen.

Gegenwärtig zählt Gioberti sechs große Parteien auf, welche Italien
theilen: Absolutesten, und zwar geistliche und weltliche, Liberale, und zwar
Unitarier und Föderalisten, Constitutionelle und Radicale.

"Die geistlichen Absolutisten," sagt Gioberti, "haben zu Führern
die Jesuiten. Sie wollen einfach die päpstliche Theokmtie des Mittelalters


Deshalb galt es vermuthlich jedem gutenZUnterthan als das Sicherste, alle und
jede Philosophie grundsätzlich zu ignoriren.




Zur italienischen Frage.

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18t6 al 18S3.

Schon Macchiavelli schrieb an Vettori: ekelt' Iwliani l Vol mi
kath rläerk!" (Die italienische Freiheit! Sie erregen mein Lachen!) Welches
sind die Ursachen, die Italien trotz seiner trefflichen geographischen Lage, trotz
der hohen geistigen Begabung seiner Bewohner, zu der Ohnmacht und zu
der Zerstückelung gebracht haben, in welcher wir es heute erblicken?

Die Hauptursache ist der Geist der Trennung, der jedem Italiener an¬
geboren zu sein scheint. Dieser Geist zeigte sich sofort, als nach dem Sturze
des römischen Reiches und nach der Zerstückelung des Landes durch die Bar¬
baren des S. Jahrhunderts Staaten sich bildeten, die, obwol geeint durch
Abstammung, Religion und Sprache, doch untereinander fortdauernd in Feind¬
schaft lebten. Dieser Geist der Trennung zeigte sich am mächtigsten in dem
Gegensatz der Guelfen und Ghibellinen. Beide große Parteien wollten das¬
selbe: die Freiheit Italiens; aber sie wollten diese Freiheit durch ganz ent¬
gegengesetzte Mittel erzielen. Die Guelfen wollten eine Konföderation freier
italienischer Staaten unter dem Vorsitz des Papstes: sie wollten durch dieses
System die beiden großen Errungenschaften ihrer Zeit, die communale Frei¬
heit und die katholische Einheit verewigen; die'Ghibellinen dagegen, durch¬
drungen von der Idee, daß das Priesterthum von dem Kaiserthum, die Kirche
von dem Staat getrennt werden müsse, wollten ein einiges Italien unter
dem Scepter eines weltlichen Fürsten, und da sie keinen italienischen Fürsten
fanden, der fähig war, die Krone Italiens zu tragen, so boten sie diese Krone
dem deutschen Kaiser an. Keine der beiden Parteien siegte; ihr Zwiespalt
stürzte das Land in eine immer größere Zerklüftung; seitdem war Italien
theils der Fremdherrschaft, theils dem Despotismus einheimischer Gewalten
unterworfen.

Gegenwärtig zählt Gioberti sechs große Parteien auf, welche Italien
theilen: Absolutesten, und zwar geistliche und weltliche, Liberale, und zwar
Unitarier und Föderalisten, Constitutionelle und Radicale.

„Die geistlichen Absolutisten," sagt Gioberti, „haben zu Führern
die Jesuiten. Sie wollen einfach die päpstliche Theokmtie des Mittelalters


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[0416] Deshalb galt es vermuthlich jedem gutenZUnterthan als das Sicherste, alle und jede Philosophie grundsätzlich zu ignoriren. Zur italienischen Frage. (lie>l>Li't>, Del KililinvumeiUo ciivile «I'tenu». — Kanalli, I^g Is>,«zi'le llaliano (>->> 18t6 al 18S3. Schon Macchiavelli schrieb an Vettori: ekelt' Iwliani l Vol mi kath rläerk!" (Die italienische Freiheit! Sie erregen mein Lachen!) Welches sind die Ursachen, die Italien trotz seiner trefflichen geographischen Lage, trotz der hohen geistigen Begabung seiner Bewohner, zu der Ohnmacht und zu der Zerstückelung gebracht haben, in welcher wir es heute erblicken? Die Hauptursache ist der Geist der Trennung, der jedem Italiener an¬ geboren zu sein scheint. Dieser Geist zeigte sich sofort, als nach dem Sturze des römischen Reiches und nach der Zerstückelung des Landes durch die Bar¬ baren des S. Jahrhunderts Staaten sich bildeten, die, obwol geeint durch Abstammung, Religion und Sprache, doch untereinander fortdauernd in Feind¬ schaft lebten. Dieser Geist der Trennung zeigte sich am mächtigsten in dem Gegensatz der Guelfen und Ghibellinen. Beide große Parteien wollten das¬ selbe: die Freiheit Italiens; aber sie wollten diese Freiheit durch ganz ent¬ gegengesetzte Mittel erzielen. Die Guelfen wollten eine Konföderation freier italienischer Staaten unter dem Vorsitz des Papstes: sie wollten durch dieses System die beiden großen Errungenschaften ihrer Zeit, die communale Frei¬ heit und die katholische Einheit verewigen; die'Ghibellinen dagegen, durch¬ drungen von der Idee, daß das Priesterthum von dem Kaiserthum, die Kirche von dem Staat getrennt werden müsse, wollten ein einiges Italien unter dem Scepter eines weltlichen Fürsten, und da sie keinen italienischen Fürsten fanden, der fähig war, die Krone Italiens zu tragen, so boten sie diese Krone dem deutschen Kaiser an. Keine der beiden Parteien siegte; ihr Zwiespalt stürzte das Land in eine immer größere Zerklüftung; seitdem war Italien theils der Fremdherrschaft, theils dem Despotismus einheimischer Gewalten unterworfen. Gegenwärtig zählt Gioberti sechs große Parteien auf, welche Italien theilen: Absolutesten, und zwar geistliche und weltliche, Liberale, und zwar Unitarier und Föderalisten, Constitutionelle und Radicale. „Die geistlichen Absolutisten," sagt Gioberti, „haben zu Führern die Jesuiten. Sie wollen einfach die päpstliche Theokmtie des Mittelalters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/416>, abgerufen am 27.04.2024.