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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Täuschendes liefern, hat ihre Arbeit schon an sich größeren Werth. Im
übrigen Europa , wo der Boden nur Kohlenflötze, Eisen-, Kupfer-, höch¬
stens Silberadern verbirgt, mag sichs lohnen, neue Statuen zu vergraben,
um sie als antike Sculptur wieder hervorzuholen. Indeß der italienische Grund
braucht nicht erst durch die Saat der Fälscher fruchtbar gemacht zu werden.
Jede Quadratruthe von dem unausgegrabenen Pompeji birgt werthvolle Bronzen,
Wandgemälde, Schmucksachen, und es fehlen doch die Hände, welche erfor¬
derlich sind, um 16 Fuß Lava, Asche und yumus davon zu entfernen.

Es ist daher die Industrie in dieser Richtung schon durch die Umstände
selbst einer Beschränkung -- dem zahlreichen Auffinden echter Alterthümer --
ausgesetzt, welche sie weniger lucrativ werden läßt; auch gibt es weniger Lieb¬
haber für Sammlungen dieser Art, als daß die vielen kleinen Fälschungen
auch in die Hände Vieler kämen.

Ist aber dagegen der Umfang der Gemäldesälschungen groß genug, um
uns aller Orten und zahlreichen Bildern gegenüber mißtrauisch zu machen,
so dürfen wir uns des aus diesem Wirrsale als unzweifelhaft echt Her¬
vorgehenden um so mehr freuen.

Am meisten gewinnen dabei die alten Skizzen und Handzeichnungen.
Weht uns aus gefälschten Bildern nicht selten ein Gefühl von Oede und
Langeweile an, wie sie dictirten Briefen, im Gegensatz zu der genialen Hand¬
schrist der Dictirenden selbst, so oft eigen sind, so athmen dagegen Entwürfe
der bezeichneten Art eine so große und zwingende Unmittelbarkeit des schaf¬
fenden Geistes, daß keine Mühe und keine Uebung je ausreicht, die Nach¬
ahmung vollständig zu machen.




Literatur.

Mikrokosmos. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit.
Versuch einer Anthropologie von Hermann Lotze. Erster Band: Leib. Seele.
Leben. Leipzig, S. Hirzel. 1866. -- Dies neuerschienene Werk, welches hier
vorläufig angekündigt wird, kann als epochemachend in dem großen Streit der
Materialisten und aller ihrer GSguer betrachtet werden. Der Verfasser genießt nicht
nur als Philosoph einen sichern Ruf, er ist auch von gründlichster naturwissenschaftlicher
Bildung, ein seiner Geist von ungewöhnlich vielseitigem Wissen. So scheint er
vorzugsweise berufen, als Versöhner in einem Kampfe aufzutreten, in welchem die
extremen Kämpfer beider Parteien mit einem wahrhaft selbstmörderischen Eifer gegen¬
einander im Feld liegen. Der Verfasser selbst stellt sich in der'Einleitung seine Aufgabe
hoch und edel, er sieht die Vermittelung nicht darin, daß man bald der einen, bald
der andern Ansicht zerstückelte Zugeständnisse zu machen habe, sondern darin, daß
nachzuweisen sei. wie "universell die Ausdehnung, und zugleich wie völlig unter¬
geordnet die Bedeutung der Sendung sei, welche der Mechanismus in dem Däne


Täuschendes liefern, hat ihre Arbeit schon an sich größeren Werth. Im
übrigen Europa , wo der Boden nur Kohlenflötze, Eisen-, Kupfer-, höch¬
stens Silberadern verbirgt, mag sichs lohnen, neue Statuen zu vergraben,
um sie als antike Sculptur wieder hervorzuholen. Indeß der italienische Grund
braucht nicht erst durch die Saat der Fälscher fruchtbar gemacht zu werden.
Jede Quadratruthe von dem unausgegrabenen Pompeji birgt werthvolle Bronzen,
Wandgemälde, Schmucksachen, und es fehlen doch die Hände, welche erfor¬
derlich sind, um 16 Fuß Lava, Asche und yumus davon zu entfernen.

Es ist daher die Industrie in dieser Richtung schon durch die Umstände
selbst einer Beschränkung — dem zahlreichen Auffinden echter Alterthümer —
ausgesetzt, welche sie weniger lucrativ werden läßt; auch gibt es weniger Lieb¬
haber für Sammlungen dieser Art, als daß die vielen kleinen Fälschungen
auch in die Hände Vieler kämen.

Ist aber dagegen der Umfang der Gemäldesälschungen groß genug, um
uns aller Orten und zahlreichen Bildern gegenüber mißtrauisch zu machen,
so dürfen wir uns des aus diesem Wirrsale als unzweifelhaft echt Her¬
vorgehenden um so mehr freuen.

Am meisten gewinnen dabei die alten Skizzen und Handzeichnungen.
Weht uns aus gefälschten Bildern nicht selten ein Gefühl von Oede und
Langeweile an, wie sie dictirten Briefen, im Gegensatz zu der genialen Hand¬
schrist der Dictirenden selbst, so oft eigen sind, so athmen dagegen Entwürfe
der bezeichneten Art eine so große und zwingende Unmittelbarkeit des schaf¬
fenden Geistes, daß keine Mühe und keine Uebung je ausreicht, die Nach¬
ahmung vollständig zu machen.




Literatur.

Mikrokosmos. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit.
Versuch einer Anthropologie von Hermann Lotze. Erster Band: Leib. Seele.
Leben. Leipzig, S. Hirzel. 1866. — Dies neuerschienene Werk, welches hier
vorläufig angekündigt wird, kann als epochemachend in dem großen Streit der
Materialisten und aller ihrer GSguer betrachtet werden. Der Verfasser genießt nicht
nur als Philosoph einen sichern Ruf, er ist auch von gründlichster naturwissenschaftlicher
Bildung, ein seiner Geist von ungewöhnlich vielseitigem Wissen. So scheint er
vorzugsweise berufen, als Versöhner in einem Kampfe aufzutreten, in welchem die
extremen Kämpfer beider Parteien mit einem wahrhaft selbstmörderischen Eifer gegen¬
einander im Feld liegen. Der Verfasser selbst stellt sich in der'Einleitung seine Aufgabe
hoch und edel, er sieht die Vermittelung nicht darin, daß man bald der einen, bald
der andern Ansicht zerstückelte Zugeständnisse zu machen habe, sondern darin, daß
nachzuweisen sei. wie „universell die Ausdehnung, und zugleich wie völlig unter¬
geordnet die Bedeutung der Sendung sei, welche der Mechanismus in dem Däne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/47>, abgerufen am 27.04.2024.