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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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lichkeiten, die sich an eine richtige Idee knüpften, diese Idee selbst zu beein¬
trächtigen. Der Nationalismus ist dem Supranaturalismus entgegengesetzt.
Jener sucht die wesentliche Offenbarung Gottes in der menschlichen Vernunft
und im menschlichen Gewissen, und prüft an diesen Zeichen die Echtheit der
historischen Offenbarung; dieser stellt die göttliche Vernunft und das göttliche
Recht der menschlichen Vernunft und dem menschlichen Recht entgegen und
hält zur Anerkennung der ersteren die vollständige Unterdrückung der letztern
für nothwendig. Als Gegner dieses Supranaturalismus werden wir uns
wol alle Nationalisten nennen, wobei wir freilich an die sehr richtige Be¬
merkung Bunsens erinnern müssen, daß der Glaube an die Immanenz Gottes
in der Welt noch keineswegs mit dem Pantheismus zusammenfällt. - In diesem
Sinn ist auch der wackere schottische Prediger ein Rationalist, denn die Fröm¬
migkeit besteht auch ihm in einem rechtschaffenen, gottes^ürchtigen Lebenswandel.

Zum Schluß noch eine Bemerkung. Wenn wir gegen Rupp mehr die
Polemische, gegen Bunsen mehr die apologetische Seite herausgekehrt haben,
so liegt der Grund darin, daß uns der erstere in seinem Ausgangspunkt
näher steht. Bei dem Proceß, der sich in den Regionen entwickelt, für welche
Bunsen schreibt, fühlen wir uns als Zuschauer. So verschieden aber der
Ausgangspunkt der beiden Schriftsteller ist, so nahe berühren sie sich im Re¬
sultat; ja es besteht zwischen ihren Naturen eine auffallende Verwandtschaft.
Auch die Neigung, auf. die neuesten Reformatoren der englischen, schottischen
und amerikanischen Kirche einzugehen, ist beiden gemeinsam; und so können
wir sie in jenem Sinn, daß überall das praktische und natürliche Gefühl sich
mit dem göttlichen zu durchdringen und die Transscendenz zu überwinden
sucht, als erfreuliche Zeichen der Zeit begrüßen.


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ellvue et <?.lo.

Auch diese Schrift gehört zu den guten Symptomen für den Fortschritt in
der allgemeinen religiösen Bildung. Die speciellen Beziehungen derselben auf
die historische Entwicklung der französischen Philosophie liegen uns fern, und
wir können sie um so eher übergehen, da wir in der Philosophie einen guten
Schritt weiter gethan haben; aber die Tendenz ist ganz die unsrige. Auch
Herr Simon bemüht sich, das Leben mit dem Glauben zu durchdringen und
den Glauben durch das Gesetz des Lebens zu läutern. Der Verfasser (zuerst
ausgezeichnet als Geschichtschreiber der alerandrinischen Schule 1846) hat in
Frankreich einen sehr lebhaften Anklang gesunden, und so sehen wir, daß in
allen Culturvölkern der echte Idealismus Schritt vor Schritt weiter vordringt.
Ist erst die öffentliche Meinung reif geworben, so wird sich eine Reform des
kirchlichen Lebens, die man durch eine radicale Umgestaltung vergebens an¬
>I. 8. strebt, aus eigner Kraft entwickeln.




Grenzboten. I. 10

lichkeiten, die sich an eine richtige Idee knüpften, diese Idee selbst zu beein¬
trächtigen. Der Nationalismus ist dem Supranaturalismus entgegengesetzt.
Jener sucht die wesentliche Offenbarung Gottes in der menschlichen Vernunft
und im menschlichen Gewissen, und prüft an diesen Zeichen die Echtheit der
historischen Offenbarung; dieser stellt die göttliche Vernunft und das göttliche
Recht der menschlichen Vernunft und dem menschlichen Recht entgegen und
hält zur Anerkennung der ersteren die vollständige Unterdrückung der letztern
für nothwendig. Als Gegner dieses Supranaturalismus werden wir uns
wol alle Nationalisten nennen, wobei wir freilich an die sehr richtige Be¬
merkung Bunsens erinnern müssen, daß der Glaube an die Immanenz Gottes
in der Welt noch keineswegs mit dem Pantheismus zusammenfällt. - In diesem
Sinn ist auch der wackere schottische Prediger ein Rationalist, denn die Fröm¬
migkeit besteht auch ihm in einem rechtschaffenen, gottes^ürchtigen Lebenswandel.

Zum Schluß noch eine Bemerkung. Wenn wir gegen Rupp mehr die
Polemische, gegen Bunsen mehr die apologetische Seite herausgekehrt haben,
so liegt der Grund darin, daß uns der erstere in seinem Ausgangspunkt
näher steht. Bei dem Proceß, der sich in den Regionen entwickelt, für welche
Bunsen schreibt, fühlen wir uns als Zuschauer. So verschieden aber der
Ausgangspunkt der beiden Schriftsteller ist, so nahe berühren sie sich im Re¬
sultat; ja es besteht zwischen ihren Naturen eine auffallende Verwandtschaft.
Auch die Neigung, auf. die neuesten Reformatoren der englischen, schottischen
und amerikanischen Kirche einzugehen, ist beiden gemeinsam; und so können
wir sie in jenem Sinn, daß überall das praktische und natürliche Gefühl sich
mit dem göttlichen zu durchdringen und die Transscendenz zu überwinden
sucht, als erfreuliche Zeichen der Zeit begrüßen.


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ellvue et <?.lo.

Auch diese Schrift gehört zu den guten Symptomen für den Fortschritt in
der allgemeinen religiösen Bildung. Die speciellen Beziehungen derselben auf
die historische Entwicklung der französischen Philosophie liegen uns fern, und
wir können sie um so eher übergehen, da wir in der Philosophie einen guten
Schritt weiter gethan haben; aber die Tendenz ist ganz die unsrige. Auch
Herr Simon bemüht sich, das Leben mit dem Glauben zu durchdringen und
den Glauben durch das Gesetz des Lebens zu läutern. Der Verfasser (zuerst
ausgezeichnet als Geschichtschreiber der alerandrinischen Schule 1846) hat in
Frankreich einen sehr lebhaften Anklang gesunden, und so sehen wir, daß in
allen Culturvölkern der echte Idealismus Schritt vor Schritt weiter vordringt.
Ist erst die öffentliche Meinung reif geworben, so wird sich eine Reform des
kirchlichen Lebens, die man durch eine radicale Umgestaltung vergebens an¬
>I. 8. strebt, aus eigner Kraft entwickeln.




Grenzboten. I. 10
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[0081] lichkeiten, die sich an eine richtige Idee knüpften, diese Idee selbst zu beein¬ trächtigen. Der Nationalismus ist dem Supranaturalismus entgegengesetzt. Jener sucht die wesentliche Offenbarung Gottes in der menschlichen Vernunft und im menschlichen Gewissen, und prüft an diesen Zeichen die Echtheit der historischen Offenbarung; dieser stellt die göttliche Vernunft und das göttliche Recht der menschlichen Vernunft und dem menschlichen Recht entgegen und hält zur Anerkennung der ersteren die vollständige Unterdrückung der letztern für nothwendig. Als Gegner dieses Supranaturalismus werden wir uns wol alle Nationalisten nennen, wobei wir freilich an die sehr richtige Be¬ merkung Bunsens erinnern müssen, daß der Glaube an die Immanenz Gottes in der Welt noch keineswegs mit dem Pantheismus zusammenfällt. - In diesem Sinn ist auch der wackere schottische Prediger ein Rationalist, denn die Fröm¬ migkeit besteht auch ihm in einem rechtschaffenen, gottes^ürchtigen Lebenswandel. Zum Schluß noch eine Bemerkung. Wenn wir gegen Rupp mehr die Polemische, gegen Bunsen mehr die apologetische Seite herausgekehrt haben, so liegt der Grund darin, daß uns der erstere in seinem Ausgangspunkt näher steht. Bei dem Proceß, der sich in den Regionen entwickelt, für welche Bunsen schreibt, fühlen wir uns als Zuschauer. So verschieden aber der Ausgangspunkt der beiden Schriftsteller ist, so nahe berühren sie sich im Re¬ sultat; ja es besteht zwischen ihren Naturen eine auffallende Verwandtschaft. Auch die Neigung, auf. die neuesten Reformatoren der englischen, schottischen und amerikanischen Kirche einzugehen, ist beiden gemeinsam; und so können wir sie in jenem Sinn, daß überall das praktische und natürliche Gefühl sich mit dem göttlichen zu durchdringen und die Transscendenz zu überwinden sucht, als erfreuliche Zeichen der Zeit begrüßen. I^a rvUgion naturelle p»r .kutes Simon. Iroisieme väitio». ?frih, l.. Ha- ellvue et <?.lo. Auch diese Schrift gehört zu den guten Symptomen für den Fortschritt in der allgemeinen religiösen Bildung. Die speciellen Beziehungen derselben auf die historische Entwicklung der französischen Philosophie liegen uns fern, und wir können sie um so eher übergehen, da wir in der Philosophie einen guten Schritt weiter gethan haben; aber die Tendenz ist ganz die unsrige. Auch Herr Simon bemüht sich, das Leben mit dem Glauben zu durchdringen und den Glauben durch das Gesetz des Lebens zu läutern. Der Verfasser (zuerst ausgezeichnet als Geschichtschreiber der alerandrinischen Schule 1846) hat in Frankreich einen sehr lebhaften Anklang gesunden, und so sehen wir, daß in allen Culturvölkern der echte Idealismus Schritt vor Schritt weiter vordringt. Ist erst die öffentliche Meinung reif geworben, so wird sich eine Reform des kirchlichen Lebens, die man durch eine radicale Umgestaltung vergebens an¬ >I. 8. strebt, aus eigner Kraft entwickeln. Grenzboten. I. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/81>, abgerufen am 27.04.2024.