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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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zu seiner Belebung und Ausbildung das wirksamste Mittel gewesen. Statt
dessen haben sie Wald und Berg, Meer und Welle, sogar Länder, Städte
und andere Legalitäten durch Figuren ausgedrückt. Diese Figuren sind so
lange lebendig und ausdrucksvoll geblieben, als der in die Natur blickende
Mensch wirklich Götter und Gestalten sah; als diese Empfindung abstarb, da
wurden sie leblose Marionetten mit conventioneller Bedeutung, und auf
zahlreichen antiken Darstellungen aus späterer Zeit stehn sie wie Hieroglyphen,
deren Sinn nur der Antiquar versteht. Ob die Verbreitung des landschaft¬
lichen Gefühls der modernen Poesie mehr genützt -oder geschadet hat, darüber
kann man wol im Zweifel sein, aber daß sie für die Kunst fruchtbar gewesen
ist, wird kaum jemand bestreiten, der auch nur das Bedeutendste kennt, was
die Landschaftsmalerei von Ruysdael bis Calame geschaffen hat.




Aus Beethovens spätern Lebensjahren.
' " ' i-' "
Mittheilungen aus einem Tagebuch.

Noch immer - trotz dem neuen Werke von Ulibischeff -- entbehrt die
mächtige Persönlichkeit Beethovens einen Biographen, welcher gründliche mu¬
sikalische Bildung besitzt, um das künstlerische Schaffen dieser genialen Kraft
kritisch zu würdigen, und Verständniß für den Herzschlag eines gewaltigen
Menschen, um das rührende innere Leben und das reine Gemüth der mächtig
angelegten Natur uns verständlich zu machen. Es ist bekannt, daß grade das
äußere Leben Beethovens, unglückliche Familienverhältnisse, seine Taubheit und
die daraus hervorgehende Abhängigkeit von einer zum Theil unwürdigen Um-
gebung es nicht bequem machen, das Schöne und Edle seines Wesens zu wür¬
digen. Denn oft erscheint der Meister gestört und befangen durch die Unselbst-
ständigkeit und drückende Abhängigkeit von andern, zu der er verdammt ist.
Und vielleicht wird grade die schönste Aufgabe seines Biographen sein, zu
Zeigen, wie die wuchtige Lebenskraft Beethovens doch aus solchem Kampfe im¬
mer als Sieger hervorgeht und wie er von der ihn umgebenden Welt getrennt
und in immer engere Schranken eingeschlossen, doch nicht verkümmert, weder
in seinen Ueberzeugungen, noch in seinen Interessen, noch in seinen Idealen
schwächer wird, sondern als ein grimmiger Löwe gegen den Fehler seiner Or¬
ganisation, und gegen alles, was ihn zu Wien sonst isolirte. siegreich arbeitet
vis zu seinem Tode.

So lange nicht eine solche Biographie mit deutschem Fleiße das vorhält-


zu seiner Belebung und Ausbildung das wirksamste Mittel gewesen. Statt
dessen haben sie Wald und Berg, Meer und Welle, sogar Länder, Städte
und andere Legalitäten durch Figuren ausgedrückt. Diese Figuren sind so
lange lebendig und ausdrucksvoll geblieben, als der in die Natur blickende
Mensch wirklich Götter und Gestalten sah; als diese Empfindung abstarb, da
wurden sie leblose Marionetten mit conventioneller Bedeutung, und auf
zahlreichen antiken Darstellungen aus späterer Zeit stehn sie wie Hieroglyphen,
deren Sinn nur der Antiquar versteht. Ob die Verbreitung des landschaft¬
lichen Gefühls der modernen Poesie mehr genützt -oder geschadet hat, darüber
kann man wol im Zweifel sein, aber daß sie für die Kunst fruchtbar gewesen
ist, wird kaum jemand bestreiten, der auch nur das Bedeutendste kennt, was
die Landschaftsmalerei von Ruysdael bis Calame geschaffen hat.




Aus Beethovens spätern Lebensjahren.
' " ' i-' "
Mittheilungen aus einem Tagebuch.

Noch immer - trotz dem neuen Werke von Ulibischeff — entbehrt die
mächtige Persönlichkeit Beethovens einen Biographen, welcher gründliche mu¬
sikalische Bildung besitzt, um das künstlerische Schaffen dieser genialen Kraft
kritisch zu würdigen, und Verständniß für den Herzschlag eines gewaltigen
Menschen, um das rührende innere Leben und das reine Gemüth der mächtig
angelegten Natur uns verständlich zu machen. Es ist bekannt, daß grade das
äußere Leben Beethovens, unglückliche Familienverhältnisse, seine Taubheit und
die daraus hervorgehende Abhängigkeit von einer zum Theil unwürdigen Um-
gebung es nicht bequem machen, das Schöne und Edle seines Wesens zu wür¬
digen. Denn oft erscheint der Meister gestört und befangen durch die Unselbst-
ständigkeit und drückende Abhängigkeit von andern, zu der er verdammt ist.
Und vielleicht wird grade die schönste Aufgabe seines Biographen sein, zu
Zeigen, wie die wuchtige Lebenskraft Beethovens doch aus solchem Kampfe im¬
mer als Sieger hervorgeht und wie er von der ihn umgebenden Welt getrennt
und in immer engere Schranken eingeschlossen, doch nicht verkümmert, weder
in seinen Ueberzeugungen, noch in seinen Interessen, noch in seinen Idealen
schwächer wird, sondern als ein grimmiger Löwe gegen den Fehler seiner Or¬
ganisation, und gegen alles, was ihn zu Wien sonst isolirte. siegreich arbeitet
vis zu seinem Tode.

So lange nicht eine solche Biographie mit deutschem Fleiße das vorhält-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/31>, abgerufen am 03.05.2024.