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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Seine Untersuchungen standen jedem tüchtigen Arbeiter zur Disposition, und
er hat nicht immer mit Dankbaren zu thun gehabt.

Unter den zahlreichen kleineren Schriften gelehrter Art heben sich drei
Werke von größerm Umfang hervor: die Ausgabe deS Beowulf (-1833), später
mehrfach überarbeitet, der voäsx äiplomalieus aevi saxoniei (begonnen 1839),
und die Sachsen in England (18i9), ein Werk, welches trotz der sehr schwer
zugänglichen Form seinen Namen unsterblich machen wird, da eS nicht blos
die Grundlage der neuen Wissenschaft ist, sondern sie wenigstens nach einer
gewissen Seite hin abschließt. Eine gesichtete Gesammtausgabe seiner Schriften
steht zu erwarten.




Literatur.

Die neuere Naturwissenschaft, ihre Ergebnisse und ihre Aussichten,
von Adolf Helfserich. Trieft, Literarisch-artist. Abtheilung d. Oestcrr. Lloyd.
1837. -- Wir möchten gegen diese Schrift dieselbe Einwendung machen, wie gegen
das frühere größere Werk desselben Verfassers, den Organismus der Wissenschaft:
sie verspricht auf dem Titel mehr, als sie hält. Mau erwartet eine zusammen¬
hängende Darstellung der neuesten wissenschaftlichen Resultate, welche wir der Phy¬
sik verdanken, so wie eine Angabe und Kritik der Abwege, zu denen sie sich durch
ihre Usurpation auf dem Gebiet der speculativen Philosophie hat verleiten lassen.
Statt dessen finden wir eine Reihe einzelner, auf Specialitäten eingehender Ab¬
handlungen, die im Grunde nur dadurch miteinander verbunden werden, daß zu
Anfang einer jeden eine pointirte epigrammatische Wendung auf den Schluß der
zunächst vorhergehenden hinweist. Auch die einzelnen Abhandlungen gehen nicht
aus ein bestimmtes positives Resultat aus, sie regen an, aber sie schließen nicht ab.
Man wird durchweg an Schleidens Studien erinnert, sowol durch den etwas belle¬
tristischen Ton, als durch die Gegenstände (ein. moderner französischer Goldmacher
und-die alten Alchymisten; Atomistiker und Dynamiker; die Zellentheorie und die
Physiologie der Atome; die Morphologie und der Artbegriff, der Organismus und
die Teleologie), und durch die bestimmt ausgesprochene Tendenz, in der Philosophie
wieder einen geläuterten Kantianismus durchzuführen. Er erinnert an schielte"
auch durch die Art und Weise seiner Polemik. Man höre sein Endergebniß: "Die
Materie als solche läßt sich durch das erfahrungsmäßige Wissen, bis zu welchem
Physik und Chemie vorgedrungen sind, nicht erklären- Sie ist dem Physiker ein
Etwas, dessen unbekannte Entstehungsweise und davon abhängige Wesenheit er sich
durch einen dynamischen oder atomistischen Hcischcsatz anschaulich zu machen sucht-
Die Kraft wirkt, das Atom ist da -- sehr wohl! Wie aber die Kraft wirkt und
wie das Atom entstanden ist, darüber schweigt die Geschichte. In seiner berühmten
Antinomie sagt Kant: ich kann mir weder vorstellen, daß die Welt keinen Anfang
habe, noch daß sie einen habe .... Es war der größte Puff der machta"-


Seine Untersuchungen standen jedem tüchtigen Arbeiter zur Disposition, und
er hat nicht immer mit Dankbaren zu thun gehabt.

Unter den zahlreichen kleineren Schriften gelehrter Art heben sich drei
Werke von größerm Umfang hervor: die Ausgabe deS Beowulf (-1833), später
mehrfach überarbeitet, der voäsx äiplomalieus aevi saxoniei (begonnen 1839),
und die Sachsen in England (18i9), ein Werk, welches trotz der sehr schwer
zugänglichen Form seinen Namen unsterblich machen wird, da eS nicht blos
die Grundlage der neuen Wissenschaft ist, sondern sie wenigstens nach einer
gewissen Seite hin abschließt. Eine gesichtete Gesammtausgabe seiner Schriften
steht zu erwarten.




Literatur.

Die neuere Naturwissenschaft, ihre Ergebnisse und ihre Aussichten,
von Adolf Helfserich. Trieft, Literarisch-artist. Abtheilung d. Oestcrr. Lloyd.
1837. — Wir möchten gegen diese Schrift dieselbe Einwendung machen, wie gegen
das frühere größere Werk desselben Verfassers, den Organismus der Wissenschaft:
sie verspricht auf dem Titel mehr, als sie hält. Mau erwartet eine zusammen¬
hängende Darstellung der neuesten wissenschaftlichen Resultate, welche wir der Phy¬
sik verdanken, so wie eine Angabe und Kritik der Abwege, zu denen sie sich durch
ihre Usurpation auf dem Gebiet der speculativen Philosophie hat verleiten lassen.
Statt dessen finden wir eine Reihe einzelner, auf Specialitäten eingehender Ab¬
handlungen, die im Grunde nur dadurch miteinander verbunden werden, daß zu
Anfang einer jeden eine pointirte epigrammatische Wendung auf den Schluß der
zunächst vorhergehenden hinweist. Auch die einzelnen Abhandlungen gehen nicht
aus ein bestimmtes positives Resultat aus, sie regen an, aber sie schließen nicht ab.
Man wird durchweg an Schleidens Studien erinnert, sowol durch den etwas belle¬
tristischen Ton, als durch die Gegenstände (ein. moderner französischer Goldmacher
und-die alten Alchymisten; Atomistiker und Dynamiker; die Zellentheorie und die
Physiologie der Atome; die Morphologie und der Artbegriff, der Organismus und
die Teleologie), und durch die bestimmt ausgesprochene Tendenz, in der Philosophie
wieder einen geläuterten Kantianismus durchzuführen. Er erinnert an schielte»
auch durch die Art und Weise seiner Polemik. Man höre sein Endergebniß: »Die
Materie als solche läßt sich durch das erfahrungsmäßige Wissen, bis zu welchem
Physik und Chemie vorgedrungen sind, nicht erklären- Sie ist dem Physiker ein
Etwas, dessen unbekannte Entstehungsweise und davon abhängige Wesenheit er sich
durch einen dynamischen oder atomistischen Hcischcsatz anschaulich zu machen sucht-
Die Kraft wirkt, das Atom ist da — sehr wohl! Wie aber die Kraft wirkt und
wie das Atom entstanden ist, darüber schweigt die Geschichte. In seiner berühmten
Antinomie sagt Kant: ich kann mir weder vorstellen, daß die Welt keinen Anfang
habe, noch daß sie einen habe .... Es war der größte Puff der machta»-


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[0446] Seine Untersuchungen standen jedem tüchtigen Arbeiter zur Disposition, und er hat nicht immer mit Dankbaren zu thun gehabt. Unter den zahlreichen kleineren Schriften gelehrter Art heben sich drei Werke von größerm Umfang hervor: die Ausgabe deS Beowulf (-1833), später mehrfach überarbeitet, der voäsx äiplomalieus aevi saxoniei (begonnen 1839), und die Sachsen in England (18i9), ein Werk, welches trotz der sehr schwer zugänglichen Form seinen Namen unsterblich machen wird, da eS nicht blos die Grundlage der neuen Wissenschaft ist, sondern sie wenigstens nach einer gewissen Seite hin abschließt. Eine gesichtete Gesammtausgabe seiner Schriften steht zu erwarten. Literatur. Die neuere Naturwissenschaft, ihre Ergebnisse und ihre Aussichten, von Adolf Helfserich. Trieft, Literarisch-artist. Abtheilung d. Oestcrr. Lloyd. 1837. — Wir möchten gegen diese Schrift dieselbe Einwendung machen, wie gegen das frühere größere Werk desselben Verfassers, den Organismus der Wissenschaft: sie verspricht auf dem Titel mehr, als sie hält. Mau erwartet eine zusammen¬ hängende Darstellung der neuesten wissenschaftlichen Resultate, welche wir der Phy¬ sik verdanken, so wie eine Angabe und Kritik der Abwege, zu denen sie sich durch ihre Usurpation auf dem Gebiet der speculativen Philosophie hat verleiten lassen. Statt dessen finden wir eine Reihe einzelner, auf Specialitäten eingehender Ab¬ handlungen, die im Grunde nur dadurch miteinander verbunden werden, daß zu Anfang einer jeden eine pointirte epigrammatische Wendung auf den Schluß der zunächst vorhergehenden hinweist. Auch die einzelnen Abhandlungen gehen nicht aus ein bestimmtes positives Resultat aus, sie regen an, aber sie schließen nicht ab. Man wird durchweg an Schleidens Studien erinnert, sowol durch den etwas belle¬ tristischen Ton, als durch die Gegenstände (ein. moderner französischer Goldmacher und-die alten Alchymisten; Atomistiker und Dynamiker; die Zellentheorie und die Physiologie der Atome; die Morphologie und der Artbegriff, der Organismus und die Teleologie), und durch die bestimmt ausgesprochene Tendenz, in der Philosophie wieder einen geläuterten Kantianismus durchzuführen. Er erinnert an schielte» auch durch die Art und Weise seiner Polemik. Man höre sein Endergebniß: »Die Materie als solche läßt sich durch das erfahrungsmäßige Wissen, bis zu welchem Physik und Chemie vorgedrungen sind, nicht erklären- Sie ist dem Physiker ein Etwas, dessen unbekannte Entstehungsweise und davon abhängige Wesenheit er sich durch einen dynamischen oder atomistischen Hcischcsatz anschaulich zu machen sucht- Die Kraft wirkt, das Atom ist da — sehr wohl! Wie aber die Kraft wirkt und wie das Atom entstanden ist, darüber schweigt die Geschichte. In seiner berühmten Antinomie sagt Kant: ich kann mir weder vorstellen, daß die Welt keinen Anfang habe, noch daß sie einen habe .... Es war der größte Puff der machta»-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/446>, abgerufen am 03.05.2024.