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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Der Zusammenhang des politischen und des tvirthschaftlichen
Lebens.

Unter den Versprechungen einer über politische Neuerungen siegenden
Reaction findet sich beinahe jedes Mal die Hinweisung auf eine Restauration
der durch revolutionäre Bewegungen verursachten Beschädigungen an Hab und
Gut. Nur die Formel ist verschieden; in den zwanziger Jahren war sie
Wiederherstellung der Legitimität, vor sieben Jahren Wiederherstellung von
"Ruhe und Ordnung." Die Völker sollten doch endlich aufhören, bloßen
Idealen nachzujagen, unfruchtbaren Speculationen, erdacht von -- nun, auch
in dieser Beziehung schwanken die Nutzanwendungen je nach den Strömungen
der Zeit. Aber besser solle es werden an der waltenden Hand von väterlichen
Regierungen, die, hoch über bloßem Parteischwindel stehend, das gemeine Beste
mit sicherer Hand herausfinden würden. Die Einen glauben es, weil sie es
glauben wollen, selbstinteresstrt oder durch augenblickliche Leiden in ihrem Blick
eingeengt. Andere können es nicht ändern, halten vielleicht den gegenwärtigen
Zustand für den unerträglichsten von allen, und wollen den Erfolg des Ex¬
periments abwarten. Noch Andere, Mitglieder der besiegten Partei, fühlen sich
verpflichtet, alles im entgegengesetzten Lichte anzusehen, schreien entweder über
die Gemeinheit der Menschen, welche für bloßen bürgerlichen Erwerb die edelsten
Güter wegwerfen, oder prophezeihen noch kühner die wahre Befestigung auch
des materiellen Wohlstands von der Durchführung ihrer Formeln.

Aber die Weltgeschichte geht über solche bewußte und unbewußte Selbst¬
täuschungen ihren sichern Gang hinweg, indem sie zuerst diejenigen ganz nieder¬
wirft, die in den augenblicklichen Erfolgen einer Vergangenheit die einzige Be¬
rechtigung zu einer Zukunft sehen; später erst entwickelt sie die Schwäche der
Regierungen, welche sich vermessen hatten, aus dem Füllhorn ihrer Weisheit
den Segen des materiellen Gedeihens auszuschütten, namentlich sobald sich Be¬
strebungen und Richtungen sei es im Geiste der Zeit, sei es im wirtschaftlichen
Leben der Völker entwickelt haben, die man in dieser Weise vorher kaum geahnt
hatte. Es eristirt kein politischer Sieg, und wäre er selbst von den Regierungen
mit den Waffen in der Hand erkämpft, der nicht durch die Beihilfe irgend


Grenzboten. III. -1867. Is
Der Zusammenhang des politischen und des tvirthschaftlichen
Lebens.

Unter den Versprechungen einer über politische Neuerungen siegenden
Reaction findet sich beinahe jedes Mal die Hinweisung auf eine Restauration
der durch revolutionäre Bewegungen verursachten Beschädigungen an Hab und
Gut. Nur die Formel ist verschieden; in den zwanziger Jahren war sie
Wiederherstellung der Legitimität, vor sieben Jahren Wiederherstellung von
„Ruhe und Ordnung." Die Völker sollten doch endlich aufhören, bloßen
Idealen nachzujagen, unfruchtbaren Speculationen, erdacht von — nun, auch
in dieser Beziehung schwanken die Nutzanwendungen je nach den Strömungen
der Zeit. Aber besser solle es werden an der waltenden Hand von väterlichen
Regierungen, die, hoch über bloßem Parteischwindel stehend, das gemeine Beste
mit sicherer Hand herausfinden würden. Die Einen glauben es, weil sie es
glauben wollen, selbstinteresstrt oder durch augenblickliche Leiden in ihrem Blick
eingeengt. Andere können es nicht ändern, halten vielleicht den gegenwärtigen
Zustand für den unerträglichsten von allen, und wollen den Erfolg des Ex¬
periments abwarten. Noch Andere, Mitglieder der besiegten Partei, fühlen sich
verpflichtet, alles im entgegengesetzten Lichte anzusehen, schreien entweder über
die Gemeinheit der Menschen, welche für bloßen bürgerlichen Erwerb die edelsten
Güter wegwerfen, oder prophezeihen noch kühner die wahre Befestigung auch
des materiellen Wohlstands von der Durchführung ihrer Formeln.

Aber die Weltgeschichte geht über solche bewußte und unbewußte Selbst¬
täuschungen ihren sichern Gang hinweg, indem sie zuerst diejenigen ganz nieder¬
wirft, die in den augenblicklichen Erfolgen einer Vergangenheit die einzige Be¬
rechtigung zu einer Zukunft sehen; später erst entwickelt sie die Schwäche der
Regierungen, welche sich vermessen hatten, aus dem Füllhorn ihrer Weisheit
den Segen des materiellen Gedeihens auszuschütten, namentlich sobald sich Be¬
strebungen und Richtungen sei es im Geiste der Zeit, sei es im wirtschaftlichen
Leben der Völker entwickelt haben, die man in dieser Weise vorher kaum geahnt
hatte. Es eristirt kein politischer Sieg, und wäre er selbst von den Regierungen
mit den Waffen in der Hand erkämpft, der nicht durch die Beihilfe irgend


Grenzboten. III. -1867. Is
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[0129] Der Zusammenhang des politischen und des tvirthschaftlichen Lebens. Unter den Versprechungen einer über politische Neuerungen siegenden Reaction findet sich beinahe jedes Mal die Hinweisung auf eine Restauration der durch revolutionäre Bewegungen verursachten Beschädigungen an Hab und Gut. Nur die Formel ist verschieden; in den zwanziger Jahren war sie Wiederherstellung der Legitimität, vor sieben Jahren Wiederherstellung von „Ruhe und Ordnung." Die Völker sollten doch endlich aufhören, bloßen Idealen nachzujagen, unfruchtbaren Speculationen, erdacht von — nun, auch in dieser Beziehung schwanken die Nutzanwendungen je nach den Strömungen der Zeit. Aber besser solle es werden an der waltenden Hand von väterlichen Regierungen, die, hoch über bloßem Parteischwindel stehend, das gemeine Beste mit sicherer Hand herausfinden würden. Die Einen glauben es, weil sie es glauben wollen, selbstinteresstrt oder durch augenblickliche Leiden in ihrem Blick eingeengt. Andere können es nicht ändern, halten vielleicht den gegenwärtigen Zustand für den unerträglichsten von allen, und wollen den Erfolg des Ex¬ periments abwarten. Noch Andere, Mitglieder der besiegten Partei, fühlen sich verpflichtet, alles im entgegengesetzten Lichte anzusehen, schreien entweder über die Gemeinheit der Menschen, welche für bloßen bürgerlichen Erwerb die edelsten Güter wegwerfen, oder prophezeihen noch kühner die wahre Befestigung auch des materiellen Wohlstands von der Durchführung ihrer Formeln. Aber die Weltgeschichte geht über solche bewußte und unbewußte Selbst¬ täuschungen ihren sichern Gang hinweg, indem sie zuerst diejenigen ganz nieder¬ wirft, die in den augenblicklichen Erfolgen einer Vergangenheit die einzige Be¬ rechtigung zu einer Zukunft sehen; später erst entwickelt sie die Schwäche der Regierungen, welche sich vermessen hatten, aus dem Füllhorn ihrer Weisheit den Segen des materiellen Gedeihens auszuschütten, namentlich sobald sich Be¬ strebungen und Richtungen sei es im Geiste der Zeit, sei es im wirtschaftlichen Leben der Völker entwickelt haben, die man in dieser Weise vorher kaum geahnt hatte. Es eristirt kein politischer Sieg, und wäre er selbst von den Regierungen mit den Waffen in der Hand erkämpft, der nicht durch die Beihilfe irgend Grenzboten. III. -1867. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/129>, abgerufen am 05.05.2024.