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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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selbst die größte geistige Energie nicht aus, und viele Amtspflichten müssen unter-
geordneten eingebornen Werkzeugen anvertraut werden, die vollkommen unverantwort¬
lich find, da es ganz unmöglich ist; eine Aussicht über sie zu führen. Dieser Um¬
stand erklärt zur Genüge, weshalb die Mißbräuche und Grausamkeiten, von denen
voriges Jahr gelegentlich einer Jnterpellation des Lord Albemarle wegen der von
indischen Stcucrbeamten verhängten Tortur so viel die Rede war, so unbeachtet und
unbestraft bleiben konnten. Die Schuldigen waren eingeborne Unterbeamte, die wegen
der weiten Entfernung des Wohnorts des englischen Collcctors von dem Schauplatz
ihrer Wirksamkeit ohne alle Aufsicht und daher ohne alle Verantwortlichkeit waren.




Literatur.

Römische Geschichte von Theodor Mommsen. Dritter Band. Von
Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Zweite Auflage. Berlin, Weid-
mann. -- Indem wir die Vollendung der zweiten Ausgabe dieses großen Geschichts-
werks anzeigen -- denn die Geschichte der römischen Kaiserzeit wird, wie wir fürch¬
ten, noch lange auf sich warten lassen -- müssen wir uns, wie bei der Anzeige des
zweiten Bandes, damit begnügen, noch einmal die Bewunderung auszusprechen, mit
der uns auch bei der neuen Lectüre diese glänzende Darstellung erfüllt hat. Es
find nicht unbeträchtliche Zusätze darin ausgenommen und manches Einzelne ist ver¬
bessert, aber diese Verbesserungen beziehen sich sast ausschließlich auf die kritische
und gelehrte Seite des Buchs. Was das moralische Urtheil betrifft, welches grade
in diesem Bande in Bezug ans einzelne Persönlichkeiten vielfachen Anstoß gab, so
hat der Versasser sich nicht veranlaßt gesehn, dasselbe irgendwie zu modificiren. Die
Verachtung gegen Cicero und Pompejus spricht sich noch mit der alten Härte aus
und Cäsar ist noch immer der Gegenstand unbedingter Bewunderung. Wir gehö¬
ren zu denen, die, wenn auch von der Richtigkeit des Urtheils im Allgemeinen über¬
zeugt, doch der Ansicht sind, daß der Verfasser nicht alle Umstände, die bei dem
Endurtheil ins Gewicht fallen, gleichmäßig ins Auge gefaßt hat. Der Jnstinct
der künstlerischen Einheit hat ihm die einfache Beobachtung verdunkelt, daß die
Menschen in der Geschichte und im wirklichen Leben nicht so aus einem Gusse sind,
wie die Kunst sie darstellt und darstellen muß, und daß der Geschichtschreiber, wenn
er es unternimmt, aus dem richtig erkannten Princip ihres Lebens heraus alles
Einzelne zu construiren, Gefahr läuft, den Thatsachen Gewalt anzuthun. Allein
Wir finden es begreiflich, daß ein tiefer Kenner des Alterthums, der sein Urtheil
auf langjährige Studien stützt, auch durch die überwiegende Zahl derer, die darüber
den Kops schütteln, sich nicht irre machen läßt, und müssen es abwarten, ob im
Lauf der Jahre der Verfasser durch eignes Nachdenken geleitet die Persönlichkeiten
jener Zeiten in einem etwas andern Licht erblicken wird. Wir können es mit Ruhe
abwarten, denn es gehört jetzt keine Prophetengabe mehr dazu, dem Wer! eine
große Zukunft zuzuschreiben. --


selbst die größte geistige Energie nicht aus, und viele Amtspflichten müssen unter-
geordneten eingebornen Werkzeugen anvertraut werden, die vollkommen unverantwort¬
lich find, da es ganz unmöglich ist; eine Aussicht über sie zu führen. Dieser Um¬
stand erklärt zur Genüge, weshalb die Mißbräuche und Grausamkeiten, von denen
voriges Jahr gelegentlich einer Jnterpellation des Lord Albemarle wegen der von
indischen Stcucrbeamten verhängten Tortur so viel die Rede war, so unbeachtet und
unbestraft bleiben konnten. Die Schuldigen waren eingeborne Unterbeamte, die wegen
der weiten Entfernung des Wohnorts des englischen Collcctors von dem Schauplatz
ihrer Wirksamkeit ohne alle Aufsicht und daher ohne alle Verantwortlichkeit waren.




Literatur.

Römische Geschichte von Theodor Mommsen. Dritter Band. Von
Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Zweite Auflage. Berlin, Weid-
mann. — Indem wir die Vollendung der zweiten Ausgabe dieses großen Geschichts-
werks anzeigen — denn die Geschichte der römischen Kaiserzeit wird, wie wir fürch¬
ten, noch lange auf sich warten lassen — müssen wir uns, wie bei der Anzeige des
zweiten Bandes, damit begnügen, noch einmal die Bewunderung auszusprechen, mit
der uns auch bei der neuen Lectüre diese glänzende Darstellung erfüllt hat. Es
find nicht unbeträchtliche Zusätze darin ausgenommen und manches Einzelne ist ver¬
bessert, aber diese Verbesserungen beziehen sich sast ausschließlich auf die kritische
und gelehrte Seite des Buchs. Was das moralische Urtheil betrifft, welches grade
in diesem Bande in Bezug ans einzelne Persönlichkeiten vielfachen Anstoß gab, so
hat der Versasser sich nicht veranlaßt gesehn, dasselbe irgendwie zu modificiren. Die
Verachtung gegen Cicero und Pompejus spricht sich noch mit der alten Härte aus
und Cäsar ist noch immer der Gegenstand unbedingter Bewunderung. Wir gehö¬
ren zu denen, die, wenn auch von der Richtigkeit des Urtheils im Allgemeinen über¬
zeugt, doch der Ansicht sind, daß der Verfasser nicht alle Umstände, die bei dem
Endurtheil ins Gewicht fallen, gleichmäßig ins Auge gefaßt hat. Der Jnstinct
der künstlerischen Einheit hat ihm die einfache Beobachtung verdunkelt, daß die
Menschen in der Geschichte und im wirklichen Leben nicht so aus einem Gusse sind,
wie die Kunst sie darstellt und darstellen muß, und daß der Geschichtschreiber, wenn
er es unternimmt, aus dem richtig erkannten Princip ihres Lebens heraus alles
Einzelne zu construiren, Gefahr läuft, den Thatsachen Gewalt anzuthun. Allein
Wir finden es begreiflich, daß ein tiefer Kenner des Alterthums, der sein Urtheil
auf langjährige Studien stützt, auch durch die überwiegende Zahl derer, die darüber
den Kops schütteln, sich nicht irre machen läßt, und müssen es abwarten, ob im
Lauf der Jahre der Verfasser durch eignes Nachdenken geleitet die Persönlichkeiten
jener Zeiten in einem etwas andern Licht erblicken wird. Wir können es mit Ruhe
abwarten, denn es gehört jetzt keine Prophetengabe mehr dazu, dem Wer! eine
große Zukunft zuzuschreiben. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/127>, abgerufen am 30.04.2024.