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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Die Meiterassocintionen in Deutschland.

Wenn wir in Deutschland rücksichtlich der Ausbildung, des Associations
Wesens gegen England und bei den Productivassociationen auch gegen Frank¬
reich zurückstehn, so sind die Gründe bereits von uns angedeutet. Wie
bei uns die politische Mündigkeit der arbeitenden Classen und mit ihr das
Bewußtsein ihrer Zustände so wie das Streben, sie zu verbessern, durch die
staatlichen Verhältnisse zurückgehalten wurde, vermochte auch die neuere In¬
dustrie und in ihrem Gefolge das Proletariat, erst später festen Fuß in Deutsch¬
land zu fassen. Das Kleingewerbe besonders, repräsentiert durch einen in der
alten Zunftverfassung fußender, sich einer ziemlichen Bedeutung im Gemeinde¬
leben, einer gewissen Wohlhäbigkeit und Bildung erfreuenden Handwerkerstand,
leistete äußerst zähen Widerstand, und wurde erst während der letzten drei De-
cennien dergestalt überflügelt, daß es vor den gesteigerten Anforderungen der
Consumenten einerseits, und den gesteigerten Leistungen der großen Producen¬
ten andrerseits, endlich eine Position nach der andern als unhaltbar aufzugeben
genöthigt war. So war es erst dem Jahre 1848 vorbehalten, eine allgemeine
Bewegung mit wirklich praktischen Zielen unter dem deutschen Arbeiterstande
hervorzurufen, welcher von den frühern doctrinären Versuchen eines Weitling
und anderer, die, nach dem Muster der Franzosen, mit fertigen socialistischen
Systemen einer sogenannten Gesellschaftsorganisation auftraten, wenig berührt
worden war. Auch jetzt vermochten die französischen Ideen der socialen Re¬
publik, ob sie schon mit dem ersten Anstoß der ganzen Bewegung von Frank¬
reich aus zu uns herüberdrangen, bei der großen Mehrheit keine rechte Wur¬
zel zu fassen, vielmehr nahm die Sache, wegen der schon berührten specifisch
deutschen Verhältnisse, ihren eignen Gang. Gleich vom Beginn schieden sich näm¬
lich die Arbeiter in zwei einander gegenüberstehende Hauptrichtungen, von denen
die eine in den Handwerkermeistern, die andere in der Masse der Lohnarbeiter
ihren vorzüglichsten Stützpunkt fand. Die erste Partei, welche besonders in
Süddeutschland noch eine, wenn auch im Verfall begriffene Organisation und
manche Privilegien behauptete, strebte im Wesentlichen die Rückkehr zu den
alten Zuständen an, und wandte sich an den Staat um den erforderlichen
Schutz. Die audere Partei vertrat mehr das Princip der Gewerbefreiheit,


Grenzboten. IV. t8ü7. 16
Die Meiterassocintionen in Deutschland.

Wenn wir in Deutschland rücksichtlich der Ausbildung, des Associations
Wesens gegen England und bei den Productivassociationen auch gegen Frank¬
reich zurückstehn, so sind die Gründe bereits von uns angedeutet. Wie
bei uns die politische Mündigkeit der arbeitenden Classen und mit ihr das
Bewußtsein ihrer Zustände so wie das Streben, sie zu verbessern, durch die
staatlichen Verhältnisse zurückgehalten wurde, vermochte auch die neuere In¬
dustrie und in ihrem Gefolge das Proletariat, erst später festen Fuß in Deutsch¬
land zu fassen. Das Kleingewerbe besonders, repräsentiert durch einen in der
alten Zunftverfassung fußender, sich einer ziemlichen Bedeutung im Gemeinde¬
leben, einer gewissen Wohlhäbigkeit und Bildung erfreuenden Handwerkerstand,
leistete äußerst zähen Widerstand, und wurde erst während der letzten drei De-
cennien dergestalt überflügelt, daß es vor den gesteigerten Anforderungen der
Consumenten einerseits, und den gesteigerten Leistungen der großen Producen¬
ten andrerseits, endlich eine Position nach der andern als unhaltbar aufzugeben
genöthigt war. So war es erst dem Jahre 1848 vorbehalten, eine allgemeine
Bewegung mit wirklich praktischen Zielen unter dem deutschen Arbeiterstande
hervorzurufen, welcher von den frühern doctrinären Versuchen eines Weitling
und anderer, die, nach dem Muster der Franzosen, mit fertigen socialistischen
Systemen einer sogenannten Gesellschaftsorganisation auftraten, wenig berührt
worden war. Auch jetzt vermochten die französischen Ideen der socialen Re¬
publik, ob sie schon mit dem ersten Anstoß der ganzen Bewegung von Frank¬
reich aus zu uns herüberdrangen, bei der großen Mehrheit keine rechte Wur¬
zel zu fassen, vielmehr nahm die Sache, wegen der schon berührten specifisch
deutschen Verhältnisse, ihren eignen Gang. Gleich vom Beginn schieden sich näm¬
lich die Arbeiter in zwei einander gegenüberstehende Hauptrichtungen, von denen
die eine in den Handwerkermeistern, die andere in der Masse der Lohnarbeiter
ihren vorzüglichsten Stützpunkt fand. Die erste Partei, welche besonders in
Süddeutschland noch eine, wenn auch im Verfall begriffene Organisation und
manche Privilegien behauptete, strebte im Wesentlichen die Rückkehr zu den
alten Zuständen an, und wandte sich an den Staat um den erforderlichen
Schutz. Die audere Partei vertrat mehr das Princip der Gewerbefreiheit,


Grenzboten. IV. t8ü7. 16
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[0129] Die Meiterassocintionen in Deutschland. Wenn wir in Deutschland rücksichtlich der Ausbildung, des Associations Wesens gegen England und bei den Productivassociationen auch gegen Frank¬ reich zurückstehn, so sind die Gründe bereits von uns angedeutet. Wie bei uns die politische Mündigkeit der arbeitenden Classen und mit ihr das Bewußtsein ihrer Zustände so wie das Streben, sie zu verbessern, durch die staatlichen Verhältnisse zurückgehalten wurde, vermochte auch die neuere In¬ dustrie und in ihrem Gefolge das Proletariat, erst später festen Fuß in Deutsch¬ land zu fassen. Das Kleingewerbe besonders, repräsentiert durch einen in der alten Zunftverfassung fußender, sich einer ziemlichen Bedeutung im Gemeinde¬ leben, einer gewissen Wohlhäbigkeit und Bildung erfreuenden Handwerkerstand, leistete äußerst zähen Widerstand, und wurde erst während der letzten drei De- cennien dergestalt überflügelt, daß es vor den gesteigerten Anforderungen der Consumenten einerseits, und den gesteigerten Leistungen der großen Producen¬ ten andrerseits, endlich eine Position nach der andern als unhaltbar aufzugeben genöthigt war. So war es erst dem Jahre 1848 vorbehalten, eine allgemeine Bewegung mit wirklich praktischen Zielen unter dem deutschen Arbeiterstande hervorzurufen, welcher von den frühern doctrinären Versuchen eines Weitling und anderer, die, nach dem Muster der Franzosen, mit fertigen socialistischen Systemen einer sogenannten Gesellschaftsorganisation auftraten, wenig berührt worden war. Auch jetzt vermochten die französischen Ideen der socialen Re¬ publik, ob sie schon mit dem ersten Anstoß der ganzen Bewegung von Frank¬ reich aus zu uns herüberdrangen, bei der großen Mehrheit keine rechte Wur¬ zel zu fassen, vielmehr nahm die Sache, wegen der schon berührten specifisch deutschen Verhältnisse, ihren eignen Gang. Gleich vom Beginn schieden sich näm¬ lich die Arbeiter in zwei einander gegenüberstehende Hauptrichtungen, von denen die eine in den Handwerkermeistern, die andere in der Masse der Lohnarbeiter ihren vorzüglichsten Stützpunkt fand. Die erste Partei, welche besonders in Süddeutschland noch eine, wenn auch im Verfall begriffene Organisation und manche Privilegien behauptete, strebte im Wesentlichen die Rückkehr zu den alten Zuständen an, und wandte sich an den Staat um den erforderlichen Schutz. Die audere Partei vertrat mehr das Princip der Gewerbefreiheit, Grenzboten. IV. t8ü7. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/129>, abgerufen am 30.04.2024.