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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Tu'pings Uneinigkeit ausgebrochen. Der Neben- oder Hilssfürst Sebib Takai
hatte sich empört, und war, die Partei der Kaiserlichen ergreifend, mit 60,000
Mann aus Kwangst aufgebrochen, um die übrigen Fürsten in Nanking zu
belagern und ihre Unterwerfung unter die kaiserliche Autorität zu erzwingen.
Nach andern Berichten, die beiläufig in einigen Punkten mehr Wahrscheinlichkeit
für sich haben, verloren die Kaiserlichen überall Terrain. Auch in den westlichen
Provinzen griff der Aufstand um sich. Kanton war von einem starken Rebellen-
Heer bedroht, die Provinzen These hkiang und Fuhkicn theilweise in der Gewalt
der Taipings und anderer Insurgenten. Hung Sir Thinen hatte über die
Gegner im eignen Lager triumphirt. Die Regierung in Peking war rathlos,
die Statskasse leer, überall im Norden Mangel an Silber, selbst an Kupfer,
die Mehrzahl der Beamten und Soldaten infolge dessen unbezahlt; mit einem
Worte, der Ruin der jetzigen Dynastie stand vor der Thür, und nur die Hilfe
der Fremden konnte sie retten. Das letztere ist nun wol Uebertreibung;
denn unter solchen Verhältnissen hätte der Hof in Peking nicht so kühn gegen
England auftrete" können, wie er zu Anfang dieses JahreS auftrat. Bedenk¬
lich ist seine Lage jedenfalls, ehe er sich aber an die rothhaarigen Barbaren
Um Hilfe wendet, wird er eher die Thore der großen Mauer öffnen und seine
Vettern von der Mongolensteppe, wirkliche Barbaren der schlimmsten Art,
gegen sein emportes Volk loslassen. Ob ihm die Krone dann bleibt, wird
wenn er sich wirklich dazu entschließt die Zukunft zeigen. --




Quacksalber und Aerzte in Konstantinopel.

Während einige dem türkischen Reiche eine vollständige Wiedergeburt ver¬
heiße", sind andere der Ansicht, daß die Reformen, welche angeblich eine solche
Wiedergeburt bezwecken, nur dazu dienen, die schon beginnende Auflösung zu
^'schleunigen. Ohne auf diese Ansichten einzugehen, wollen wir hier darthun,
Reichn, Einfluß die letzten Jahre auf gewisse Irrthümer der Bevölkerung gehabt
haben. Wenn im Allgemeinen ein Krieg, trotz seiner augenblicklichen Schrecken,
b>e Bildung eines Volkes zu fördern pflegt, so hat auch hier die Berührung mit
gebildeteren Nationen einen in cullurgeschichtlicher Beziehung bedeutsamen Fort¬
schritt hervorgerufen. Das Gebiet der Heilkunde ist es, auf welchem die Ereig¬
nisse der letzten Zeit wesentlich zur Beseitigung von Vorurtheilen beigetragen
haben, und zwar von Vorurtheilen, welche zeigen, daß die Bewohner Konstan-
twvpcls, trotz des lebhaften Verkehrs mit andern europäischen Nationen, noch
auf einer fast mittelalterlichen Entwicklungsstufe stehen geblieben waren.

Die türkische Regierung läßt in der Ausübung der Heilkunde einen jeden


Grciizboten. IV. 4867. 29

Tu'pings Uneinigkeit ausgebrochen. Der Neben- oder Hilssfürst Sebib Takai
hatte sich empört, und war, die Partei der Kaiserlichen ergreifend, mit 60,000
Mann aus Kwangst aufgebrochen, um die übrigen Fürsten in Nanking zu
belagern und ihre Unterwerfung unter die kaiserliche Autorität zu erzwingen.
Nach andern Berichten, die beiläufig in einigen Punkten mehr Wahrscheinlichkeit
für sich haben, verloren die Kaiserlichen überall Terrain. Auch in den westlichen
Provinzen griff der Aufstand um sich. Kanton war von einem starken Rebellen-
Heer bedroht, die Provinzen These hkiang und Fuhkicn theilweise in der Gewalt
der Taipings und anderer Insurgenten. Hung Sir Thinen hatte über die
Gegner im eignen Lager triumphirt. Die Regierung in Peking war rathlos,
die Statskasse leer, überall im Norden Mangel an Silber, selbst an Kupfer,
die Mehrzahl der Beamten und Soldaten infolge dessen unbezahlt; mit einem
Worte, der Ruin der jetzigen Dynastie stand vor der Thür, und nur die Hilfe
der Fremden konnte sie retten. Das letztere ist nun wol Uebertreibung;
denn unter solchen Verhältnissen hätte der Hof in Peking nicht so kühn gegen
England auftrete« können, wie er zu Anfang dieses JahreS auftrat. Bedenk¬
lich ist seine Lage jedenfalls, ehe er sich aber an die rothhaarigen Barbaren
Um Hilfe wendet, wird er eher die Thore der großen Mauer öffnen und seine
Vettern von der Mongolensteppe, wirkliche Barbaren der schlimmsten Art,
gegen sein emportes Volk loslassen. Ob ihm die Krone dann bleibt, wird
wenn er sich wirklich dazu entschließt die Zukunft zeigen. —




Quacksalber und Aerzte in Konstantinopel.

Während einige dem türkischen Reiche eine vollständige Wiedergeburt ver¬
heiße», sind andere der Ansicht, daß die Reformen, welche angeblich eine solche
Wiedergeburt bezwecken, nur dazu dienen, die schon beginnende Auflösung zu
^'schleunigen. Ohne auf diese Ansichten einzugehen, wollen wir hier darthun,
Reichn, Einfluß die letzten Jahre auf gewisse Irrthümer der Bevölkerung gehabt
haben. Wenn im Allgemeinen ein Krieg, trotz seiner augenblicklichen Schrecken,
b>e Bildung eines Volkes zu fördern pflegt, so hat auch hier die Berührung mit
gebildeteren Nationen einen in cullurgeschichtlicher Beziehung bedeutsamen Fort¬
schritt hervorgerufen. Das Gebiet der Heilkunde ist es, auf welchem die Ereig¬
nisse der letzten Zeit wesentlich zur Beseitigung von Vorurtheilen beigetragen
haben, und zwar von Vorurtheilen, welche zeigen, daß die Bewohner Konstan-
twvpcls, trotz des lebhaften Verkehrs mit andern europäischen Nationen, noch
auf einer fast mittelalterlichen Entwicklungsstufe stehen geblieben waren.

Die türkische Regierung läßt in der Ausübung der Heilkunde einen jeden


Grciizboten. IV. 4867. 29
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[0233] Tu'pings Uneinigkeit ausgebrochen. Der Neben- oder Hilssfürst Sebib Takai hatte sich empört, und war, die Partei der Kaiserlichen ergreifend, mit 60,000 Mann aus Kwangst aufgebrochen, um die übrigen Fürsten in Nanking zu belagern und ihre Unterwerfung unter die kaiserliche Autorität zu erzwingen. Nach andern Berichten, die beiläufig in einigen Punkten mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben, verloren die Kaiserlichen überall Terrain. Auch in den westlichen Provinzen griff der Aufstand um sich. Kanton war von einem starken Rebellen- Heer bedroht, die Provinzen These hkiang und Fuhkicn theilweise in der Gewalt der Taipings und anderer Insurgenten. Hung Sir Thinen hatte über die Gegner im eignen Lager triumphirt. Die Regierung in Peking war rathlos, die Statskasse leer, überall im Norden Mangel an Silber, selbst an Kupfer, die Mehrzahl der Beamten und Soldaten infolge dessen unbezahlt; mit einem Worte, der Ruin der jetzigen Dynastie stand vor der Thür, und nur die Hilfe der Fremden konnte sie retten. Das letztere ist nun wol Uebertreibung; denn unter solchen Verhältnissen hätte der Hof in Peking nicht so kühn gegen England auftrete« können, wie er zu Anfang dieses JahreS auftrat. Bedenk¬ lich ist seine Lage jedenfalls, ehe er sich aber an die rothhaarigen Barbaren Um Hilfe wendet, wird er eher die Thore der großen Mauer öffnen und seine Vettern von der Mongolensteppe, wirkliche Barbaren der schlimmsten Art, gegen sein emportes Volk loslassen. Ob ihm die Krone dann bleibt, wird wenn er sich wirklich dazu entschließt die Zukunft zeigen. — Quacksalber und Aerzte in Konstantinopel. Während einige dem türkischen Reiche eine vollständige Wiedergeburt ver¬ heiße», sind andere der Ansicht, daß die Reformen, welche angeblich eine solche Wiedergeburt bezwecken, nur dazu dienen, die schon beginnende Auflösung zu ^'schleunigen. Ohne auf diese Ansichten einzugehen, wollen wir hier darthun, Reichn, Einfluß die letzten Jahre auf gewisse Irrthümer der Bevölkerung gehabt haben. Wenn im Allgemeinen ein Krieg, trotz seiner augenblicklichen Schrecken, b>e Bildung eines Volkes zu fördern pflegt, so hat auch hier die Berührung mit gebildeteren Nationen einen in cullurgeschichtlicher Beziehung bedeutsamen Fort¬ schritt hervorgerufen. Das Gebiet der Heilkunde ist es, auf welchem die Ereig¬ nisse der letzten Zeit wesentlich zur Beseitigung von Vorurtheilen beigetragen haben, und zwar von Vorurtheilen, welche zeigen, daß die Bewohner Konstan- twvpcls, trotz des lebhaften Verkehrs mit andern europäischen Nationen, noch auf einer fast mittelalterlichen Entwicklungsstufe stehen geblieben waren. Die türkische Regierung läßt in der Ausübung der Heilkunde einen jeden Grciizboten. IV. 4867. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/233>, abgerufen am 30.04.2024.