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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Häupten, daß die übertriebene Menge geistlicher Potentaten die freie Entfaltung
der vorhandenen dramatischen Kräfte beengt. Die Dichter freilich dürfen nicht,
was sie möchten, und mögen nicht, was sie dürfen. Je mehr aber aus diesem
Grunde von der Fremde geborgt werden muß, desto mehr verschwindet das
eigentlich Nationale. Fast nur noch im Straßencarneval lebt die Erinnerung
an den Dottore Graziano aus Bologna fort, an den reichen Venezianer Pan-
talone, an den naseweisen Bergamasken Arlechino, an den insolenten Brig-
hella aus Ferrara, an die unmaskirt geduldeten Lieblichkeiten Cvlumbina und
Spiletta und an alle jene mit dem Ausdruck Maske belegten stehenden
Figuren des ehemaligen italienischen BolkStheaters, welche die Eigenthümlich¬
keiten aller Nationalitäten der buntscheckigen Halbinsel zu verspotten bestimmt
waren. Ihr Untergang wäre nicht zu beklagen, wenn nicht mit ihnen zu¬
gleich die improvisirten Stücke (Commedia dell'Arte) in Gefahr kämen. In
geselligen Kreisen sieht man noch zuweilen den Dottore Graziano mit dem
unverschämten Brighella in Streit -- das Glück begünstigte uns, als wir in
Rom bei einer Sylvesterfeier den Gastgeber mit seinem Diener eine solche
Improvisation vorführen sahen ^- aber auf der Bühne stirbt diese eigenthüm¬
lich italienische Kunstpflanze ab.




Der Katholicismus in Oestreich.
Nach den Eindrücken einer Reise im August und September 18S7.

Das Kleid macht doch den Mann. Will man irgend einen Unterschied
Wischer Katholicismus und Protestantismus aufstellen, so wird man sagen
dürfen, daß der Katholicismus die Religion der Aeußerlichkeit, der Prote¬
stantismus die Religion der Innerlichkeit ist. DaS Wesen des ersteren
">de vorzugsweise in den äußeren Erscheinungen, dasjenige deS letzteren
den innern Bewegungen deö Gemüthes. Und macht man dem Prote¬
stantismus vielleicht nicht mit Unrecht den Norwurf, daß er zu sehr die äußeren
Mittel der Einwirkung auf das Bolkögcmüth vernachlässige, so ist eS ebenso
^"hr, daß bei dem Katholicismus das Kleid den Mann "macht", d. l). ganz
wesentlich auf das Innere influirt, wenn auch vorwiegend in negativer Weise.
H'erim liegen zugleich die pathologischen Erscheinungen der beiden Confessionen:
T>e Krankheit des Protestantismus ist eine mehr innere, eine Nerven- und
^brrkrcmkheit, die Krankheit des Katholicismus eine mehr äußere, eine Haut¬
krankheit.

Die nachstehenden Zeilen machen keinen Anspruch darauf, das innere


Häupten, daß die übertriebene Menge geistlicher Potentaten die freie Entfaltung
der vorhandenen dramatischen Kräfte beengt. Die Dichter freilich dürfen nicht,
was sie möchten, und mögen nicht, was sie dürfen. Je mehr aber aus diesem
Grunde von der Fremde geborgt werden muß, desto mehr verschwindet das
eigentlich Nationale. Fast nur noch im Straßencarneval lebt die Erinnerung
an den Dottore Graziano aus Bologna fort, an den reichen Venezianer Pan-
talone, an den naseweisen Bergamasken Arlechino, an den insolenten Brig-
hella aus Ferrara, an die unmaskirt geduldeten Lieblichkeiten Cvlumbina und
Spiletta und an alle jene mit dem Ausdruck Maske belegten stehenden
Figuren des ehemaligen italienischen BolkStheaters, welche die Eigenthümlich¬
keiten aller Nationalitäten der buntscheckigen Halbinsel zu verspotten bestimmt
waren. Ihr Untergang wäre nicht zu beklagen, wenn nicht mit ihnen zu¬
gleich die improvisirten Stücke (Commedia dell'Arte) in Gefahr kämen. In
geselligen Kreisen sieht man noch zuweilen den Dottore Graziano mit dem
unverschämten Brighella in Streit — das Glück begünstigte uns, als wir in
Rom bei einer Sylvesterfeier den Gastgeber mit seinem Diener eine solche
Improvisation vorführen sahen ^- aber auf der Bühne stirbt diese eigenthüm¬
lich italienische Kunstpflanze ab.




Der Katholicismus in Oestreich.
Nach den Eindrücken einer Reise im August und September 18S7.

Das Kleid macht doch den Mann. Will man irgend einen Unterschied
Wischer Katholicismus und Protestantismus aufstellen, so wird man sagen
dürfen, daß der Katholicismus die Religion der Aeußerlichkeit, der Prote¬
stantismus die Religion der Innerlichkeit ist. DaS Wesen des ersteren
">de vorzugsweise in den äußeren Erscheinungen, dasjenige deS letzteren
den innern Bewegungen deö Gemüthes. Und macht man dem Prote¬
stantismus vielleicht nicht mit Unrecht den Norwurf, daß er zu sehr die äußeren
Mittel der Einwirkung auf das Bolkögcmüth vernachlässige, so ist eS ebenso
^"hr, daß bei dem Katholicismus das Kleid den Mann „macht", d. l). ganz
wesentlich auf das Innere influirt, wenn auch vorwiegend in negativer Weise.
H'erim liegen zugleich die pathologischen Erscheinungen der beiden Confessionen:
T>e Krankheit des Protestantismus ist eine mehr innere, eine Nerven- und
^brrkrcmkheit, die Krankheit des Katholicismus eine mehr äußere, eine Haut¬
krankheit.

Die nachstehenden Zeilen machen keinen Anspruch darauf, das innere


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[0261] Häupten, daß die übertriebene Menge geistlicher Potentaten die freie Entfaltung der vorhandenen dramatischen Kräfte beengt. Die Dichter freilich dürfen nicht, was sie möchten, und mögen nicht, was sie dürfen. Je mehr aber aus diesem Grunde von der Fremde geborgt werden muß, desto mehr verschwindet das eigentlich Nationale. Fast nur noch im Straßencarneval lebt die Erinnerung an den Dottore Graziano aus Bologna fort, an den reichen Venezianer Pan- talone, an den naseweisen Bergamasken Arlechino, an den insolenten Brig- hella aus Ferrara, an die unmaskirt geduldeten Lieblichkeiten Cvlumbina und Spiletta und an alle jene mit dem Ausdruck Maske belegten stehenden Figuren des ehemaligen italienischen BolkStheaters, welche die Eigenthümlich¬ keiten aller Nationalitäten der buntscheckigen Halbinsel zu verspotten bestimmt waren. Ihr Untergang wäre nicht zu beklagen, wenn nicht mit ihnen zu¬ gleich die improvisirten Stücke (Commedia dell'Arte) in Gefahr kämen. In geselligen Kreisen sieht man noch zuweilen den Dottore Graziano mit dem unverschämten Brighella in Streit — das Glück begünstigte uns, als wir in Rom bei einer Sylvesterfeier den Gastgeber mit seinem Diener eine solche Improvisation vorführen sahen ^- aber auf der Bühne stirbt diese eigenthüm¬ lich italienische Kunstpflanze ab. Der Katholicismus in Oestreich. Nach den Eindrücken einer Reise im August und September 18S7. Das Kleid macht doch den Mann. Will man irgend einen Unterschied Wischer Katholicismus und Protestantismus aufstellen, so wird man sagen dürfen, daß der Katholicismus die Religion der Aeußerlichkeit, der Prote¬ stantismus die Religion der Innerlichkeit ist. DaS Wesen des ersteren ">de vorzugsweise in den äußeren Erscheinungen, dasjenige deS letzteren den innern Bewegungen deö Gemüthes. Und macht man dem Prote¬ stantismus vielleicht nicht mit Unrecht den Norwurf, daß er zu sehr die äußeren Mittel der Einwirkung auf das Bolkögcmüth vernachlässige, so ist eS ebenso ^"hr, daß bei dem Katholicismus das Kleid den Mann „macht", d. l). ganz wesentlich auf das Innere influirt, wenn auch vorwiegend in negativer Weise. H'erim liegen zugleich die pathologischen Erscheinungen der beiden Confessionen: T>e Krankheit des Protestantismus ist eine mehr innere, eine Nerven- und ^brrkrcmkheit, die Krankheit des Katholicismus eine mehr äußere, eine Haut¬ krankheit. Die nachstehenden Zeilen machen keinen Anspruch darauf, das innere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/261>, abgerufen am 30.04.2024.