Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Revolution in China.
3.
Sind die Aufständischen Christen, und wird ihre Partei siegen?

Um die religiösen Ansichten der Taipings kennen zu lernen, wie sie sich
von den oben geschilderten Anfängen bis jetzt entwickelt haben, besitzen wir
kein anderes Mittel, als einige ihrer Schriften, einige Noten, die von den
Fürsten an die Engländer gerichtet wurden, welche sie wiederholt in Nanking
besuchten, und einige Nachrichten über gewisse Vorgänge in letztgenannter
Stadt, die indeß vielleicht auf falschen Auffassungen beruhen. Die Schriften
Zerfallen in solche, die von dem Stifter Hung sin Thinen selbst herrühren,
und solche, welche von Yang sin Tsing, dem östlichen, und Siao Tschao
Hoel, dem westlichen Fürsten, seinen beiden hervorragendsten Jüngern, ver¬
faßt sind. Die des Stifters der TaipingS tragen den Charakter von Missions-
schriften, sie sind auf das alte und neue Testament gegründet und enthalten
"ußcr einigen Anspielungen auf die Visionen, die er mehre Jahre vor seinem
ersten Auftreten hatte, und welche später als Entrückungen in den Himmel
aufgefaßt wurden, nichts von einer neuen Offenbarung. Die zweite Classe
handelt dagegen von dieser neuen Offenbarung Gottes und Jesu und stellt
dieselbe als eine noch fortdauernde dar. Aus einem Vergleich der beiden
Classen scheint hervorzugehen, daß Hung sin Thinen vor dem stärkern, ge¬
waltsameren und schwärmerischen Charakter seines Hauptjüugers, des östlichen
Fürsten Yang sin Tsing, allmälig in den Hintergrund, wenigstens von der
Leitung der weltlichen Geschäfte zurückgetreten ist. Von dem Tage an, wo
die Taipings zu Empörern gegen die Mandschuherrschaft wurden, spielte der
östliche Fürst eine Hauptrolle in den militärischen Angelegenheiten, und gegen
das Ende des JahreS scheint Hung sie seiner Anordnung ganz überlassen
Zu haben. So dürste die Macht deö östlichen Fürsten allmälig gewachsen,
d'e Macht Hungö eine Zeit lang nur noch die eines Schcinherrschers gewesen
sein, eines im eigentlichen Sinne deS Wortes nur himmlischen Fürsten.

Die Religion der TaipingS ist Christenthum, nicht das Christenthum
irgend einer von den bisherigen Sekten, sondern das Christenthum, wie es
unmittelbar aus der Bibel in dem Geiste eines Chinesen sich abspiegelte, in
diesem Geiste sich umbildete -- eine Erscheinung, die in der neuern Geschichte
nnzig dasteht, da alle andern Völker, welche diese Religion annahmen, sie
durch Vermittlung konfessioneller Prediger und Sekienmissionärc erhielten. Da¬
zu kommt, daß der, an welchen die Lehren der Bibel auf diese Art zuerst ge¬
langten, ein gebildeter Chinese war, welcher gründliche Kenntniß der Literatur


Die Revolution in China.
3.
Sind die Aufständischen Christen, und wird ihre Partei siegen?

Um die religiösen Ansichten der Taipings kennen zu lernen, wie sie sich
von den oben geschilderten Anfängen bis jetzt entwickelt haben, besitzen wir
kein anderes Mittel, als einige ihrer Schriften, einige Noten, die von den
Fürsten an die Engländer gerichtet wurden, welche sie wiederholt in Nanking
besuchten, und einige Nachrichten über gewisse Vorgänge in letztgenannter
Stadt, die indeß vielleicht auf falschen Auffassungen beruhen. Die Schriften
Zerfallen in solche, die von dem Stifter Hung sin Thinen selbst herrühren,
und solche, welche von Yang sin Tsing, dem östlichen, und Siao Tschao
Hoel, dem westlichen Fürsten, seinen beiden hervorragendsten Jüngern, ver¬
faßt sind. Die des Stifters der TaipingS tragen den Charakter von Missions-
schriften, sie sind auf das alte und neue Testament gegründet und enthalten
"ußcr einigen Anspielungen auf die Visionen, die er mehre Jahre vor seinem
ersten Auftreten hatte, und welche später als Entrückungen in den Himmel
aufgefaßt wurden, nichts von einer neuen Offenbarung. Die zweite Classe
handelt dagegen von dieser neuen Offenbarung Gottes und Jesu und stellt
dieselbe als eine noch fortdauernde dar. Aus einem Vergleich der beiden
Classen scheint hervorzugehen, daß Hung sin Thinen vor dem stärkern, ge¬
waltsameren und schwärmerischen Charakter seines Hauptjüugers, des östlichen
Fürsten Yang sin Tsing, allmälig in den Hintergrund, wenigstens von der
Leitung der weltlichen Geschäfte zurückgetreten ist. Von dem Tage an, wo
die Taipings zu Empörern gegen die Mandschuherrschaft wurden, spielte der
östliche Fürst eine Hauptrolle in den militärischen Angelegenheiten, und gegen
das Ende des JahreS scheint Hung sie seiner Anordnung ganz überlassen
Zu haben. So dürste die Macht deö östlichen Fürsten allmälig gewachsen,
d'e Macht Hungö eine Zeit lang nur noch die eines Schcinherrschers gewesen
sein, eines im eigentlichen Sinne deS Wortes nur himmlischen Fürsten.

Die Religion der TaipingS ist Christenthum, nicht das Christenthum
irgend einer von den bisherigen Sekten, sondern das Christenthum, wie es
unmittelbar aus der Bibel in dem Geiste eines Chinesen sich abspiegelte, in
diesem Geiste sich umbildete — eine Erscheinung, die in der neuern Geschichte
nnzig dasteht, da alle andern Völker, welche diese Religion annahmen, sie
durch Vermittlung konfessioneller Prediger und Sekienmissionärc erhielten. Da¬
zu kommt, daß der, an welchen die Lehren der Bibel auf diese Art zuerst ge¬
langten, ein gebildeter Chinese war, welcher gründliche Kenntniß der Literatur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105006"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Revolution in China.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 3.<lb/>
Sind die Aufständischen Christen, und wird ihre Partei siegen?</head><lb/>
            <p xml:id="ID_785"> Um die religiösen Ansichten der Taipings kennen zu lernen, wie sie sich<lb/>
von den oben geschilderten Anfängen bis jetzt entwickelt haben, besitzen wir<lb/>
kein anderes Mittel, als einige ihrer Schriften, einige Noten, die von den<lb/>
Fürsten an die Engländer gerichtet wurden, welche sie wiederholt in Nanking<lb/>
besuchten, und einige Nachrichten über gewisse Vorgänge in letztgenannter<lb/>
Stadt, die indeß vielleicht auf falschen Auffassungen beruhen. Die Schriften<lb/>
Zerfallen in solche, die von dem Stifter Hung sin Thinen selbst herrühren,<lb/>
und solche, welche von Yang sin Tsing, dem östlichen, und Siao Tschao<lb/>
Hoel, dem westlichen Fürsten, seinen beiden hervorragendsten Jüngern, ver¬<lb/>
faßt sind. Die des Stifters der TaipingS tragen den Charakter von Missions-<lb/>
schriften, sie sind auf das alte und neue Testament gegründet und enthalten<lb/>
"ußcr einigen Anspielungen auf die Visionen, die er mehre Jahre vor seinem<lb/>
ersten Auftreten hatte, und welche später als Entrückungen in den Himmel<lb/>
aufgefaßt wurden, nichts von einer neuen Offenbarung. Die zweite Classe<lb/>
handelt dagegen von dieser neuen Offenbarung Gottes und Jesu und stellt<lb/>
dieselbe als eine noch fortdauernde dar. Aus einem Vergleich der beiden<lb/>
Classen scheint hervorzugehen, daß Hung sin Thinen vor dem stärkern, ge¬<lb/>
waltsameren und schwärmerischen Charakter seines Hauptjüugers, des östlichen<lb/>
Fürsten Yang sin Tsing, allmälig in den Hintergrund, wenigstens von der<lb/>
Leitung der weltlichen Geschäfte zurückgetreten ist. Von dem Tage an, wo<lb/>
die Taipings zu Empörern gegen die Mandschuherrschaft wurden, spielte der<lb/>
östliche Fürst eine Hauptrolle in den militärischen Angelegenheiten, und gegen<lb/>
das Ende des JahreS scheint Hung sie seiner Anordnung ganz überlassen<lb/>
Zu haben. So dürste die Macht deö östlichen Fürsten allmälig gewachsen,<lb/>
d'e Macht Hungö eine Zeit lang nur noch die eines Schcinherrschers gewesen<lb/>
sein, eines im eigentlichen Sinne deS Wortes nur himmlischen Fürsten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_786" next="#ID_787"> Die Religion der TaipingS ist Christenthum, nicht das Christenthum<lb/>
irgend einer von den bisherigen Sekten, sondern das Christenthum, wie es<lb/>
unmittelbar aus der Bibel in dem Geiste eines Chinesen sich abspiegelte, in<lb/>
diesem Geiste sich umbildete &#x2014; eine Erscheinung, die in der neuern Geschichte<lb/>
nnzig dasteht, da alle andern Völker, welche diese Religion annahmen, sie<lb/>
durch Vermittlung konfessioneller Prediger und Sekienmissionärc erhielten. Da¬<lb/>
zu kommt, daß der, an welchen die Lehren der Bibel auf diese Art zuerst ge¬<lb/>
langten, ein gebildeter Chinese war, welcher gründliche Kenntniß der Literatur</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Die Revolution in China. 3. Sind die Aufständischen Christen, und wird ihre Partei siegen? Um die religiösen Ansichten der Taipings kennen zu lernen, wie sie sich von den oben geschilderten Anfängen bis jetzt entwickelt haben, besitzen wir kein anderes Mittel, als einige ihrer Schriften, einige Noten, die von den Fürsten an die Engländer gerichtet wurden, welche sie wiederholt in Nanking besuchten, und einige Nachrichten über gewisse Vorgänge in letztgenannter Stadt, die indeß vielleicht auf falschen Auffassungen beruhen. Die Schriften Zerfallen in solche, die von dem Stifter Hung sin Thinen selbst herrühren, und solche, welche von Yang sin Tsing, dem östlichen, und Siao Tschao Hoel, dem westlichen Fürsten, seinen beiden hervorragendsten Jüngern, ver¬ faßt sind. Die des Stifters der TaipingS tragen den Charakter von Missions- schriften, sie sind auf das alte und neue Testament gegründet und enthalten "ußcr einigen Anspielungen auf die Visionen, die er mehre Jahre vor seinem ersten Auftreten hatte, und welche später als Entrückungen in den Himmel aufgefaßt wurden, nichts von einer neuen Offenbarung. Die zweite Classe handelt dagegen von dieser neuen Offenbarung Gottes und Jesu und stellt dieselbe als eine noch fortdauernde dar. Aus einem Vergleich der beiden Classen scheint hervorzugehen, daß Hung sin Thinen vor dem stärkern, ge¬ waltsameren und schwärmerischen Charakter seines Hauptjüugers, des östlichen Fürsten Yang sin Tsing, allmälig in den Hintergrund, wenigstens von der Leitung der weltlichen Geschäfte zurückgetreten ist. Von dem Tage an, wo die Taipings zu Empörern gegen die Mandschuherrschaft wurden, spielte der östliche Fürst eine Hauptrolle in den militärischen Angelegenheiten, und gegen das Ende des JahreS scheint Hung sie seiner Anordnung ganz überlassen Zu haben. So dürste die Macht deö östlichen Fürsten allmälig gewachsen, d'e Macht Hungö eine Zeit lang nur noch die eines Schcinherrschers gewesen sein, eines im eigentlichen Sinne deS Wortes nur himmlischen Fürsten. Die Religion der TaipingS ist Christenthum, nicht das Christenthum irgend einer von den bisherigen Sekten, sondern das Christenthum, wie es unmittelbar aus der Bibel in dem Geiste eines Chinesen sich abspiegelte, in diesem Geiste sich umbildete — eine Erscheinung, die in der neuern Geschichte nnzig dasteht, da alle andern Völker, welche diese Religion annahmen, sie durch Vermittlung konfessioneller Prediger und Sekienmissionärc erhielten. Da¬ zu kommt, daß der, an welchen die Lehren der Bibel auf diese Art zuerst ge¬ langten, ein gebildeter Chinese war, welcher gründliche Kenntniß der Literatur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/271>, abgerufen am 30.04.2024.