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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Die Klttlstmlsstcllmlg zu Manchester.

Die Ausstellung der englischen Kunstschätze zu Manchester ist am
<17. October geschlossen worden. Wenn vor dem Beginne derselben vielleicht
ungemessene Erwartungen laut wurden, wenn während ihrer Dauer die
kritischen Meinungen in entgegengesetzten Richtungen wogten, beinahe jeder
Tag überdies neue Entdeckungen brachte: so ist jetzt sür das unbefangene,
sumiinrende Urtheil der rechte Zeitpunkt gekommen. Daß die' Ausstellung zu
Manchester ihre Kosten kaum einbringt, daß sie nicht so gewaltige Menschen¬
massen aus aller Herrn Ländern herbeilockte, wie die Industrieausstellungen^
der vergangenen Jahre, kann nicht Wunder nehmen. Das Interesse an
Kunstgegenständen umspannt an und für sich engere Kreise und dann, wie
unsere Kunstbildung einmal beschaffen ist, erschöpfen bereits einige wenige
Stunden alles, waS selbst ausgedehnte Galerien an Anziehungskraft für uns
besitzen. Einem Genusse aber, der kaum ein paar Stunden währt und nur eine
dumpfe Empfindung zurückläßt, zu Liebe eine weite Reise anzutreten, dagegen
tragen Viele ein arges Bedenken. Sollen wir sie deshalb tadeln? Können
wir sie Lügen strafen, wenn sie behaupten, eine Industrieausstellung sei ein
lebendiges Bild unseres Wirkens und Vermögens, der rechte Maßstab, um
Zu erfahre", wie weit wir es mit der Beherrschung der materiellen Mächte
gebracht, sie sei eine wichtige culturgeschichtliche Thatsache und deS allge¬
meinsten Interesses fähig; eine Kunstausstellung dagegen, namentlich wenn
sie sich aus die Werke vergangener Zeiten bezieht, habe immer einen gewissen
Modergeruch an sich und bleibe dem gewöhnlichen Bewußtsein großentheils
unverständlich. Die naive Freude am Schönen, die auch unserem Zeitalter
nicht abgesprochen werden kann, wird durch die gleichzeitige Anschauung der
verschiedenartigsten Werke übertäubt, die geläuterte Kuustempsiudung durch
den Zwang, rasch, ja unmittelbar aufeinander entgegengesetzte Eindrücke auf¬
nehmen zu müssen, verletzt und so bleibt eigentlich nur das gelehrte VerstandeS-
ütteresse übrig, wie denn auch in der That Kunstgelehrte am feurigsten sür
Ausstellungen sich begeistern und für eine öftere Wiederholung derselben
sprechen -- und mit Recht, da sie das einzige Mittel bleiben, unsere
ästhetischen Urtheile fest zu begründen und unsere künstlerischen Anschauungen


Grenzboten. IV. <867. 36
Die Klttlstmlsstcllmlg zu Manchester.

Die Ausstellung der englischen Kunstschätze zu Manchester ist am
<17. October geschlossen worden. Wenn vor dem Beginne derselben vielleicht
ungemessene Erwartungen laut wurden, wenn während ihrer Dauer die
kritischen Meinungen in entgegengesetzten Richtungen wogten, beinahe jeder
Tag überdies neue Entdeckungen brachte: so ist jetzt sür das unbefangene,
sumiinrende Urtheil der rechte Zeitpunkt gekommen. Daß die' Ausstellung zu
Manchester ihre Kosten kaum einbringt, daß sie nicht so gewaltige Menschen¬
massen aus aller Herrn Ländern herbeilockte, wie die Industrieausstellungen^
der vergangenen Jahre, kann nicht Wunder nehmen. Das Interesse an
Kunstgegenständen umspannt an und für sich engere Kreise und dann, wie
unsere Kunstbildung einmal beschaffen ist, erschöpfen bereits einige wenige
Stunden alles, waS selbst ausgedehnte Galerien an Anziehungskraft für uns
besitzen. Einem Genusse aber, der kaum ein paar Stunden währt und nur eine
dumpfe Empfindung zurückläßt, zu Liebe eine weite Reise anzutreten, dagegen
tragen Viele ein arges Bedenken. Sollen wir sie deshalb tadeln? Können
wir sie Lügen strafen, wenn sie behaupten, eine Industrieausstellung sei ein
lebendiges Bild unseres Wirkens und Vermögens, der rechte Maßstab, um
Zu erfahre», wie weit wir es mit der Beherrschung der materiellen Mächte
gebracht, sie sei eine wichtige culturgeschichtliche Thatsache und deS allge¬
meinsten Interesses fähig; eine Kunstausstellung dagegen, namentlich wenn
sie sich aus die Werke vergangener Zeiten bezieht, habe immer einen gewissen
Modergeruch an sich und bleibe dem gewöhnlichen Bewußtsein großentheils
unverständlich. Die naive Freude am Schönen, die auch unserem Zeitalter
nicht abgesprochen werden kann, wird durch die gleichzeitige Anschauung der
verschiedenartigsten Werke übertäubt, die geläuterte Kuustempsiudung durch
den Zwang, rasch, ja unmittelbar aufeinander entgegengesetzte Eindrücke auf¬
nehmen zu müssen, verletzt und so bleibt eigentlich nur das gelehrte VerstandeS-
ütteresse übrig, wie denn auch in der That Kunstgelehrte am feurigsten sür
Ausstellungen sich begeistern und für eine öftere Wiederholung derselben
sprechen — und mit Recht, da sie das einzige Mittel bleiben, unsere
ästhetischen Urtheile fest zu begründen und unsere künstlerischen Anschauungen


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[0289] Die Klttlstmlsstcllmlg zu Manchester. Die Ausstellung der englischen Kunstschätze zu Manchester ist am <17. October geschlossen worden. Wenn vor dem Beginne derselben vielleicht ungemessene Erwartungen laut wurden, wenn während ihrer Dauer die kritischen Meinungen in entgegengesetzten Richtungen wogten, beinahe jeder Tag überdies neue Entdeckungen brachte: so ist jetzt sür das unbefangene, sumiinrende Urtheil der rechte Zeitpunkt gekommen. Daß die' Ausstellung zu Manchester ihre Kosten kaum einbringt, daß sie nicht so gewaltige Menschen¬ massen aus aller Herrn Ländern herbeilockte, wie die Industrieausstellungen^ der vergangenen Jahre, kann nicht Wunder nehmen. Das Interesse an Kunstgegenständen umspannt an und für sich engere Kreise und dann, wie unsere Kunstbildung einmal beschaffen ist, erschöpfen bereits einige wenige Stunden alles, waS selbst ausgedehnte Galerien an Anziehungskraft für uns besitzen. Einem Genusse aber, der kaum ein paar Stunden währt und nur eine dumpfe Empfindung zurückläßt, zu Liebe eine weite Reise anzutreten, dagegen tragen Viele ein arges Bedenken. Sollen wir sie deshalb tadeln? Können wir sie Lügen strafen, wenn sie behaupten, eine Industrieausstellung sei ein lebendiges Bild unseres Wirkens und Vermögens, der rechte Maßstab, um Zu erfahre», wie weit wir es mit der Beherrschung der materiellen Mächte gebracht, sie sei eine wichtige culturgeschichtliche Thatsache und deS allge¬ meinsten Interesses fähig; eine Kunstausstellung dagegen, namentlich wenn sie sich aus die Werke vergangener Zeiten bezieht, habe immer einen gewissen Modergeruch an sich und bleibe dem gewöhnlichen Bewußtsein großentheils unverständlich. Die naive Freude am Schönen, die auch unserem Zeitalter nicht abgesprochen werden kann, wird durch die gleichzeitige Anschauung der verschiedenartigsten Werke übertäubt, die geläuterte Kuustempsiudung durch den Zwang, rasch, ja unmittelbar aufeinander entgegengesetzte Eindrücke auf¬ nehmen zu müssen, verletzt und so bleibt eigentlich nur das gelehrte VerstandeS- ütteresse übrig, wie denn auch in der That Kunstgelehrte am feurigsten sür Ausstellungen sich begeistern und für eine öftere Wiederholung derselben sprechen — und mit Recht, da sie das einzige Mittel bleiben, unsere ästhetischen Urtheile fest zu begründen und unsere künstlerischen Anschauungen Grenzboten. IV. <867. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/289>, abgerufen am 30.04.2024.