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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Delhi.*)

Das heutige Delhi liegt in einer meist unfruchtbaren, nackten Ebene, auf
einer felsigen Hügelreihe am rechten Ufer des hier neunhundert Fuß breiten
Djamna. Seinen Namen soll es schon seit dem siebenten Jahrhundert vor
Christo von einem seiner Brahmanenbegründer, Dein, erhalten haben. Keine
Hauptstadt der Welt, auch Rom nicht ausgenommen, das von ziemlich gleichem
Alter ist, und einst dieselbe Größe hatte, wie Delhi, kann mehr Wechsel erlebt
haben, als dieses. Die heutige Stadt steht zum Theil auf den Trümmern von
Jndraprastha, der Hauptstadt des allen, vor mehr als dreitausend Jahren
gegründeten Reiches Kuru, welches die Volkssage als den Ursitz der Hindu-
race bezeichnet.

Jene" Sultan, Mahmud I. von Ghazna, der einen Schwur darauf gethan,
für den Islam zu kämpfen, unternahm allein im Laufe der Jahre 1001--25
zwölf Feldzüge nach den Indus- und Gangesländern, bis Kanüdje, Gwalior,
Kallindjer und Somnäl, um die Fahne des Propheten, die schon seit drei Jahr¬
hunderten über Kabul wehte, auch in Hindostan und in Kaschmir aufzupflan¬
zen. Zwar gelang es ihm nicht, eine dauernde Herrschaft dort zu begründen,
er hinterließ jedoch dem Lande in seinen Statthaltern (NewübS oder Nabobs)
ebensoviele Despoten, und erst einem von diesen, Mohammed Ghuri, dem aus
Chorasan stammenden Gründer der Ghuridendynastie, glückte es, im Jahre 1193
Delhi zu unterwerfen. Er und seine Nachfolger drangen bald weiter, bis nach
Bengalen und Malwa vor, unterjochten den größten Theil von Hindostan,
und wiesen siegreich die nun, seit 1221 beginnenden Mongoleneinfälle zurück.
Unter dem neunten der Ghuriden, Gheias ud Du" Bulbun (1266--86), warb
Delhi zu einem Asyl aller von den Tschingischaniden aus ihren Staaten in
ganz Mittel - und Westasien vertriebenen Könige und Prinzen gemacht, die
hier nach ihrem Range den Thron des mächtigen Kaisers umstanden. In
Pracht und Reichthum, in Künsten und Wissenschaften war der Hof von Delhi
der glänzendste der Welt und die Stadt überbot selbst die kaiserliche Roma an
Umfang.

Den Ghuriden folgte die Dynastie der Ghildje (1288--1321) und diesen
die Toghluks (1321--1413), beide gleichfalls dem Stamme der Palaus oder
Afghanen angehörend. Unter diesen wendet sich Delhis Geschick. Dem zweiten
der Toghluks, dem tyrannischen Kaiser Mahmud (1325--51), der der Nero
seiner Zeit war, gelang es, ganz Hindostan und das nördliche Dekhan seinem
Scepter zu unterwerfen; ja er trieb seinen Uebermuth so weit, mit einem Heere



') Eutnommcn aus I. G> Kuhners Auszug, des PrachtwcrkS über die Reise des Prin¬
zen Waldemar von Preußen. S. unten unter Literatur.
Grenzboten IV. 4857. 4
Delhi.*)

Das heutige Delhi liegt in einer meist unfruchtbaren, nackten Ebene, auf
einer felsigen Hügelreihe am rechten Ufer des hier neunhundert Fuß breiten
Djamna. Seinen Namen soll es schon seit dem siebenten Jahrhundert vor
Christo von einem seiner Brahmanenbegründer, Dein, erhalten haben. Keine
Hauptstadt der Welt, auch Rom nicht ausgenommen, das von ziemlich gleichem
Alter ist, und einst dieselbe Größe hatte, wie Delhi, kann mehr Wechsel erlebt
haben, als dieses. Die heutige Stadt steht zum Theil auf den Trümmern von
Jndraprastha, der Hauptstadt des allen, vor mehr als dreitausend Jahren
gegründeten Reiches Kuru, welches die Volkssage als den Ursitz der Hindu-
race bezeichnet.

Jene» Sultan, Mahmud I. von Ghazna, der einen Schwur darauf gethan,
für den Islam zu kämpfen, unternahm allein im Laufe der Jahre 1001—25
zwölf Feldzüge nach den Indus- und Gangesländern, bis Kanüdje, Gwalior,
Kallindjer und Somnäl, um die Fahne des Propheten, die schon seit drei Jahr¬
hunderten über Kabul wehte, auch in Hindostan und in Kaschmir aufzupflan¬
zen. Zwar gelang es ihm nicht, eine dauernde Herrschaft dort zu begründen,
er hinterließ jedoch dem Lande in seinen Statthaltern (NewübS oder Nabobs)
ebensoviele Despoten, und erst einem von diesen, Mohammed Ghuri, dem aus
Chorasan stammenden Gründer der Ghuridendynastie, glückte es, im Jahre 1193
Delhi zu unterwerfen. Er und seine Nachfolger drangen bald weiter, bis nach
Bengalen und Malwa vor, unterjochten den größten Theil von Hindostan,
und wiesen siegreich die nun, seit 1221 beginnenden Mongoleneinfälle zurück.
Unter dem neunten der Ghuriden, Gheias ud Du» Bulbun (1266—86), warb
Delhi zu einem Asyl aller von den Tschingischaniden aus ihren Staaten in
ganz Mittel - und Westasien vertriebenen Könige und Prinzen gemacht, die
hier nach ihrem Range den Thron des mächtigen Kaisers umstanden. In
Pracht und Reichthum, in Künsten und Wissenschaften war der Hof von Delhi
der glänzendste der Welt und die Stadt überbot selbst die kaiserliche Roma an
Umfang.

Den Ghuriden folgte die Dynastie der Ghildje (1288—1321) und diesen
die Toghluks (1321—1413), beide gleichfalls dem Stamme der Palaus oder
Afghanen angehörend. Unter diesen wendet sich Delhis Geschick. Dem zweiten
der Toghluks, dem tyrannischen Kaiser Mahmud (1325—51), der der Nero
seiner Zeit war, gelang es, ganz Hindostan und das nördliche Dekhan seinem
Scepter zu unterwerfen; ja er trieb seinen Uebermuth so weit, mit einem Heere



') Eutnommcn aus I. G> Kuhners Auszug, des PrachtwcrkS über die Reise des Prin¬
zen Waldemar von Preußen. S. unten unter Literatur.
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[0033] Delhi.*) Das heutige Delhi liegt in einer meist unfruchtbaren, nackten Ebene, auf einer felsigen Hügelreihe am rechten Ufer des hier neunhundert Fuß breiten Djamna. Seinen Namen soll es schon seit dem siebenten Jahrhundert vor Christo von einem seiner Brahmanenbegründer, Dein, erhalten haben. Keine Hauptstadt der Welt, auch Rom nicht ausgenommen, das von ziemlich gleichem Alter ist, und einst dieselbe Größe hatte, wie Delhi, kann mehr Wechsel erlebt haben, als dieses. Die heutige Stadt steht zum Theil auf den Trümmern von Jndraprastha, der Hauptstadt des allen, vor mehr als dreitausend Jahren gegründeten Reiches Kuru, welches die Volkssage als den Ursitz der Hindu- race bezeichnet. Jene» Sultan, Mahmud I. von Ghazna, der einen Schwur darauf gethan, für den Islam zu kämpfen, unternahm allein im Laufe der Jahre 1001—25 zwölf Feldzüge nach den Indus- und Gangesländern, bis Kanüdje, Gwalior, Kallindjer und Somnäl, um die Fahne des Propheten, die schon seit drei Jahr¬ hunderten über Kabul wehte, auch in Hindostan und in Kaschmir aufzupflan¬ zen. Zwar gelang es ihm nicht, eine dauernde Herrschaft dort zu begründen, er hinterließ jedoch dem Lande in seinen Statthaltern (NewübS oder Nabobs) ebensoviele Despoten, und erst einem von diesen, Mohammed Ghuri, dem aus Chorasan stammenden Gründer der Ghuridendynastie, glückte es, im Jahre 1193 Delhi zu unterwerfen. Er und seine Nachfolger drangen bald weiter, bis nach Bengalen und Malwa vor, unterjochten den größten Theil von Hindostan, und wiesen siegreich die nun, seit 1221 beginnenden Mongoleneinfälle zurück. Unter dem neunten der Ghuriden, Gheias ud Du» Bulbun (1266—86), warb Delhi zu einem Asyl aller von den Tschingischaniden aus ihren Staaten in ganz Mittel - und Westasien vertriebenen Könige und Prinzen gemacht, die hier nach ihrem Range den Thron des mächtigen Kaisers umstanden. In Pracht und Reichthum, in Künsten und Wissenschaften war der Hof von Delhi der glänzendste der Welt und die Stadt überbot selbst die kaiserliche Roma an Umfang. Den Ghuriden folgte die Dynastie der Ghildje (1288—1321) und diesen die Toghluks (1321—1413), beide gleichfalls dem Stamme der Palaus oder Afghanen angehörend. Unter diesen wendet sich Delhis Geschick. Dem zweiten der Toghluks, dem tyrannischen Kaiser Mahmud (1325—51), der der Nero seiner Zeit war, gelang es, ganz Hindostan und das nördliche Dekhan seinem Scepter zu unterwerfen; ja er trieb seinen Uebermuth so weit, mit einem Heere ') Eutnommcn aus I. G> Kuhners Auszug, des PrachtwcrkS über die Reise des Prin¬ zen Waldemar von Preußen. S. unten unter Literatur. Grenzboten IV. 4857. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/33>, abgerufen am 30.04.2024.