Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der römischen Kmserzcit.
Der Circus.

Wenige Stellen des jetzigen Roms sind so wüst und einsam als das Thal,
das sich zwischen den . ziemlich parallel hinstreichenden Anhöhen des Aventin
und Palatin hindehnt. Von der Tiber ist es durch einen großen, ziemlich
bebauten Platz getrennt, auf dem die Schaffote für Hinrichtungen ausge¬
schlagen werden; auf dem Palatin ragen die weitläufigen Ruinen der Kaiser-
Paläste, aus dem Aventin, wo alle antiken Bauten verschwunden sind, und
der auch gegenwärtig nicht bewohnt ist, stehen einzelne Kirchen und Klöster
einsam zwischen ausgedehnten Gärten und Viguen. Das Thal zwischen den
beiden Höhen selbst ist nach der Seite- des Aventin von Schneemassen bedeckt,
die sich aus den herabsinkenden Trümmern der dortigen altrömischen Tempel
und Paläste gebildet haben. Seine Sohle wird in der Mitte von dem Bach
Marrana durchströmt, der zu beiden Seiten von einem undurchdringlichen,
rauschenden Walde des römischen Schilfrohrs eingefaßt ist, das fünfzehn bis
Zwanzig Fuß hoch wächst, seine übrige Fläche ist von Wiesen und Gemüse¬
gärten eingenommen. In dieser Wüstenei hat eine Anstalt ihren Sitz auf¬
geschlagen, die mit der sonstigen Physiognomie Roms überhaupt, so wie be¬
sonders dieser Gegend, einen eigenthümlichen Contrast bildet, die Gaöberei-
tungsanstalt, deren zwei ungeheure, roth angestrichne Gasometer sich schon in
großer Entfernung bemerklich machen. Endlich ist hier (am Abhang des Aven¬
tin) der Kirchhof der Juden (l'orlo Zegli Cbrei), eine ärmliche, elende, nicht
einmal eingefriedete Ruhestätte für diese in Rom mehr als irgendwo gehetzten
und getretenen Menschen. Nur die kleinere Zahl der Gräber ist mit Leichen¬
steinen geschmückt, auf denen man auch hin und wieder einen deutschen Namen
liest, die meisten sind blos mit rohen Holzstümpsen bezeichnet.

So wüst und traurig dies Thal jetzt ist, so prachtvoll geschmückt, so von
buntesten Leben erfüllt war es im Alterthum, denn hier war der große Cir¬
cus, der als Schauplatz der großartigsten und berauschendsten Schauspiele,
während eines Jahrtausends und länger, so oft eine unübersehbare, leiden¬
schaftlich erregte Menge in sich vereinigte, und überdies einen Centralpunkt
des Verkehrs in der ungeheuren, von allen Nationen bevölkerten Stadt bildete.
Hier hatten schon in den ältesten Zeiten die Bürger der jungen Stadt mit
Weibern und Kindern auf dem Nasen der Hügelabhänge gelagert, wenn an
seltenen Feiertagen die Wagen um die Wette rannten (ein entweder von den
Etruskern, oder den griechischen Kolonien Unteritaliens angenommenes Schau¬
spiel) und Faustkämpfer aufeinander losschlugen, und in dies Thal, daS zur
Rennbahn wie geschaffen war, verlegte wie natürlich die Sage auch den


Aus der römischen Kmserzcit.
Der Circus.

Wenige Stellen des jetzigen Roms sind so wüst und einsam als das Thal,
das sich zwischen den . ziemlich parallel hinstreichenden Anhöhen des Aventin
und Palatin hindehnt. Von der Tiber ist es durch einen großen, ziemlich
bebauten Platz getrennt, auf dem die Schaffote für Hinrichtungen ausge¬
schlagen werden; auf dem Palatin ragen die weitläufigen Ruinen der Kaiser-
Paläste, aus dem Aventin, wo alle antiken Bauten verschwunden sind, und
der auch gegenwärtig nicht bewohnt ist, stehen einzelne Kirchen und Klöster
einsam zwischen ausgedehnten Gärten und Viguen. Das Thal zwischen den
beiden Höhen selbst ist nach der Seite- des Aventin von Schneemassen bedeckt,
die sich aus den herabsinkenden Trümmern der dortigen altrömischen Tempel
und Paläste gebildet haben. Seine Sohle wird in der Mitte von dem Bach
Marrana durchströmt, der zu beiden Seiten von einem undurchdringlichen,
rauschenden Walde des römischen Schilfrohrs eingefaßt ist, das fünfzehn bis
Zwanzig Fuß hoch wächst, seine übrige Fläche ist von Wiesen und Gemüse¬
gärten eingenommen. In dieser Wüstenei hat eine Anstalt ihren Sitz auf¬
geschlagen, die mit der sonstigen Physiognomie Roms überhaupt, so wie be¬
sonders dieser Gegend, einen eigenthümlichen Contrast bildet, die Gaöberei-
tungsanstalt, deren zwei ungeheure, roth angestrichne Gasometer sich schon in
großer Entfernung bemerklich machen. Endlich ist hier (am Abhang des Aven¬
tin) der Kirchhof der Juden (l'orlo Zegli Cbrei), eine ärmliche, elende, nicht
einmal eingefriedete Ruhestätte für diese in Rom mehr als irgendwo gehetzten
und getretenen Menschen. Nur die kleinere Zahl der Gräber ist mit Leichen¬
steinen geschmückt, auf denen man auch hin und wieder einen deutschen Namen
liest, die meisten sind blos mit rohen Holzstümpsen bezeichnet.

So wüst und traurig dies Thal jetzt ist, so prachtvoll geschmückt, so von
buntesten Leben erfüllt war es im Alterthum, denn hier war der große Cir¬
cus, der als Schauplatz der großartigsten und berauschendsten Schauspiele,
während eines Jahrtausends und länger, so oft eine unübersehbare, leiden¬
schaftlich erregte Menge in sich vereinigte, und überdies einen Centralpunkt
des Verkehrs in der ungeheuren, von allen Nationen bevölkerten Stadt bildete.
Hier hatten schon in den ältesten Zeiten die Bürger der jungen Stadt mit
Weibern und Kindern auf dem Nasen der Hügelabhänge gelagert, wenn an
seltenen Feiertagen die Wagen um die Wette rannten (ein entweder von den
Etruskern, oder den griechischen Kolonien Unteritaliens angenommenes Schau¬
spiel) und Faustkämpfer aufeinander losschlugen, und in dies Thal, daS zur
Rennbahn wie geschaffen war, verlegte wie natürlich die Sage auch den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105124"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus der römischen Kmserzcit.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Der Circus.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1072"> Wenige Stellen des jetzigen Roms sind so wüst und einsam als das Thal,<lb/>
das sich zwischen den . ziemlich parallel hinstreichenden Anhöhen des Aventin<lb/>
und Palatin hindehnt. Von der Tiber ist es durch einen großen, ziemlich<lb/>
bebauten Platz getrennt, auf dem die Schaffote für Hinrichtungen ausge¬<lb/>
schlagen werden; auf dem Palatin ragen die weitläufigen Ruinen der Kaiser-<lb/>
Paläste, aus dem Aventin, wo alle antiken Bauten verschwunden sind, und<lb/>
der auch gegenwärtig nicht bewohnt ist, stehen einzelne Kirchen und Klöster<lb/>
einsam zwischen ausgedehnten Gärten und Viguen. Das Thal zwischen den<lb/>
beiden Höhen selbst ist nach der Seite- des Aventin von Schneemassen bedeckt,<lb/>
die sich aus den herabsinkenden Trümmern der dortigen altrömischen Tempel<lb/>
und Paläste gebildet haben. Seine Sohle wird in der Mitte von dem Bach<lb/>
Marrana durchströmt, der zu beiden Seiten von einem undurchdringlichen,<lb/>
rauschenden Walde des römischen Schilfrohrs eingefaßt ist, das fünfzehn bis<lb/>
Zwanzig Fuß hoch wächst, seine übrige Fläche ist von Wiesen und Gemüse¬<lb/>
gärten eingenommen. In dieser Wüstenei hat eine Anstalt ihren Sitz auf¬<lb/>
geschlagen, die mit der sonstigen Physiognomie Roms überhaupt, so wie be¬<lb/>
sonders dieser Gegend, einen eigenthümlichen Contrast bildet, die Gaöberei-<lb/>
tungsanstalt, deren zwei ungeheure, roth angestrichne Gasometer sich schon in<lb/>
großer Entfernung bemerklich machen. Endlich ist hier (am Abhang des Aven¬<lb/>
tin) der Kirchhof der Juden (l'orlo Zegli Cbrei), eine ärmliche, elende, nicht<lb/>
einmal eingefriedete Ruhestätte für diese in Rom mehr als irgendwo gehetzten<lb/>
und getretenen Menschen. Nur die kleinere Zahl der Gräber ist mit Leichen¬<lb/>
steinen geschmückt, auf denen man auch hin und wieder einen deutschen Namen<lb/>
liest, die meisten sind blos mit rohen Holzstümpsen bezeichnet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1073" next="#ID_1074"> So wüst und traurig dies Thal jetzt ist, so prachtvoll geschmückt, so von<lb/>
buntesten Leben erfüllt war es im Alterthum, denn hier war der große Cir¬<lb/>
cus, der als Schauplatz der großartigsten und berauschendsten Schauspiele,<lb/>
während eines Jahrtausends und länger, so oft eine unübersehbare, leiden¬<lb/>
schaftlich erregte Menge in sich vereinigte, und überdies einen Centralpunkt<lb/>
des Verkehrs in der ungeheuren, von allen Nationen bevölkerten Stadt bildete.<lb/>
Hier hatten schon in den ältesten Zeiten die Bürger der jungen Stadt mit<lb/>
Weibern und Kindern auf dem Nasen der Hügelabhänge gelagert, wenn an<lb/>
seltenen Feiertagen die Wagen um die Wette rannten (ein entweder von den<lb/>
Etruskern, oder den griechischen Kolonien Unteritaliens angenommenes Schau¬<lb/>
spiel) und Faustkämpfer aufeinander losschlugen, und in dies Thal, daS zur<lb/>
Rennbahn wie geschaffen war, verlegte wie natürlich die Sage auch den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] Aus der römischen Kmserzcit. Der Circus. Wenige Stellen des jetzigen Roms sind so wüst und einsam als das Thal, das sich zwischen den . ziemlich parallel hinstreichenden Anhöhen des Aventin und Palatin hindehnt. Von der Tiber ist es durch einen großen, ziemlich bebauten Platz getrennt, auf dem die Schaffote für Hinrichtungen ausge¬ schlagen werden; auf dem Palatin ragen die weitläufigen Ruinen der Kaiser- Paläste, aus dem Aventin, wo alle antiken Bauten verschwunden sind, und der auch gegenwärtig nicht bewohnt ist, stehen einzelne Kirchen und Klöster einsam zwischen ausgedehnten Gärten und Viguen. Das Thal zwischen den beiden Höhen selbst ist nach der Seite- des Aventin von Schneemassen bedeckt, die sich aus den herabsinkenden Trümmern der dortigen altrömischen Tempel und Paläste gebildet haben. Seine Sohle wird in der Mitte von dem Bach Marrana durchströmt, der zu beiden Seiten von einem undurchdringlichen, rauschenden Walde des römischen Schilfrohrs eingefaßt ist, das fünfzehn bis Zwanzig Fuß hoch wächst, seine übrige Fläche ist von Wiesen und Gemüse¬ gärten eingenommen. In dieser Wüstenei hat eine Anstalt ihren Sitz auf¬ geschlagen, die mit der sonstigen Physiognomie Roms überhaupt, so wie be¬ sonders dieser Gegend, einen eigenthümlichen Contrast bildet, die Gaöberei- tungsanstalt, deren zwei ungeheure, roth angestrichne Gasometer sich schon in großer Entfernung bemerklich machen. Endlich ist hier (am Abhang des Aven¬ tin) der Kirchhof der Juden (l'orlo Zegli Cbrei), eine ärmliche, elende, nicht einmal eingefriedete Ruhestätte für diese in Rom mehr als irgendwo gehetzten und getretenen Menschen. Nur die kleinere Zahl der Gräber ist mit Leichen¬ steinen geschmückt, auf denen man auch hin und wieder einen deutschen Namen liest, die meisten sind blos mit rohen Holzstümpsen bezeichnet. So wüst und traurig dies Thal jetzt ist, so prachtvoll geschmückt, so von buntesten Leben erfüllt war es im Alterthum, denn hier war der große Cir¬ cus, der als Schauplatz der großartigsten und berauschendsten Schauspiele, während eines Jahrtausends und länger, so oft eine unübersehbare, leiden¬ schaftlich erregte Menge in sich vereinigte, und überdies einen Centralpunkt des Verkehrs in der ungeheuren, von allen Nationen bevölkerten Stadt bildete. Hier hatten schon in den ältesten Zeiten die Bürger der jungen Stadt mit Weibern und Kindern auf dem Nasen der Hügelabhänge gelagert, wenn an seltenen Feiertagen die Wagen um die Wette rannten (ein entweder von den Etruskern, oder den griechischen Kolonien Unteritaliens angenommenes Schau¬ spiel) und Faustkämpfer aufeinander losschlugen, und in dies Thal, daS zur Rennbahn wie geschaffen war, verlegte wie natürlich die Sage auch den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/389>, abgerufen am 30.04.2024.