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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Korrespondenzen.
8d.


-- Als getreue Berichterstatter über die am Horizont auf¬
tauchenden politischen Konstellationen dürfen wir nicht stillschweigend über die Zu-
sammenkunft der beiden Kaiser von Frankreich und Rußland hinweggehen, obgleich
wir nicht so glücklich situirt sind wie einige unserer College", die nicht blos die
geheimsten Intentionen der verschiedenen Cabiuete, sondern auch die verstecktesten
Falten in den Herzen der beiden mächtigen Souveräne kennen, und mit ziemlicher
Gewißheit schon im Voraus wissen, um was sich die Besprechungen und Verab¬
redungen der beiden Monarchen drehen werden. Wir dagegen können blos wie andere
gewöhnliche Sterbliche aus die politische Lage und die politischen Bedürfnisse
Frankreichs und Rußlands, und auf den persönlichen Charakter und die Be¬
strebungen ihrer Regenten, so viel davon bis jetzt bekannt geworden, einen prü¬
fenden Blick werfen, und uns danach unsere Meinung über den wahrscheinlichen
Zweck der vielbesprochenen Zusammenkunft bilden. Mehr kann, ehrlich gestanden,
der deutsche Publicist überhaupt selten thun, und wir glauben nicht, daß das
Publicum etwas dabei verliert; denn auch mächtige Persönlichkeiten können sich
dem Druck der Verhältnisse nicht entziehen, zumal in unserer Zeit, und in der
Politik sind auch die anscheinend leitenden Personen oft mehr Geschobene als
schiebende. Aber selbst wenn es blos auf die persönliche Entscheidung der beiden
Monarchen ankäme, welche Politik sie gegen Europa befolgen wollten, so gibt bei
ihnen sowol Charakter wie Interesse eine Bürgschaft, daß es keine aggressive sein
wird. Zunächst erscheint uns das Zustandekommen der Zusammenkunft allerdings
als ein Sieg der Politik Ludwig Napoleons. Von dem Tage an, wo er als
"Parvenu" den großen europäischen Dynastien, die seinem Emporkommen mit
Abneigung oder wenigstens mit Mißtrauen zusahen, entgegentrat, ist es sein
beständiges Bestreben gewesen, aus dieser Ausnahmestellung herauszukommen.
Außerdem betrachtet er es als einen Theil der ihm von seinem großen Onkel hinter¬
lassenen Aufgabe, die Aechtung, welche die Souveräne Europas über die napoleo-
nische Dynastie verhängten, durch eine glänzende Rehabilitation wieder gut zu
machen. Beides ist ihm jetzt gelungen. Der Gegensatz zwischen England und dem
napoleoniden war von Haus aus kein principieller, und die vollständige Ver¬
söhnung fand ihren energischsten Ausdruck in dem Bündniß und dem Kriege gegen
Rußland. Oestreich versuchte im Bund der Dritte zu sein, aber, seine halben Ma߬
regeln haben dem alten Verbündeten, von dem es sich getrennt, keine Furcht, und
den neuen keine Achtung eingeflößt; doch wenn sein Verhältniß zu Frankreich jetzt
auch etwas erkaltet ist, so hat es früher mit am ersten und mit der größten Wärme
die Wiederherstellung der napoleonischen Dynastie anerkannt; Preußen hat ihre
Vermittlung in der neuenburger Angelegenheit in Anspruch genommen; Rußland
dagegen versagte dem neuen Kaiser sogar die Form der Anrede, mit welcher die
Courtoisie gleichberechtigte Souveräne auszeichnet. Zwischen damals und jetzt
aber liegt ein blutiger Krieg, in welchem England zwar die Haupttriebfeder war,
Frankreich aber militärisch die Hauptrolle spielte. Sein Resultat hat Nußland is>
lire, und dem Bedürfniß des Kaisers von Frankreich, auch von dem Beherrscher


Korrespondenzen.
8d.


— Als getreue Berichterstatter über die am Horizont auf¬
tauchenden politischen Konstellationen dürfen wir nicht stillschweigend über die Zu-
sammenkunft der beiden Kaiser von Frankreich und Rußland hinweggehen, obgleich
wir nicht so glücklich situirt sind wie einige unserer College», die nicht blos die
geheimsten Intentionen der verschiedenen Cabiuete, sondern auch die verstecktesten
Falten in den Herzen der beiden mächtigen Souveräne kennen, und mit ziemlicher
Gewißheit schon im Voraus wissen, um was sich die Besprechungen und Verab¬
redungen der beiden Monarchen drehen werden. Wir dagegen können blos wie andere
gewöhnliche Sterbliche aus die politische Lage und die politischen Bedürfnisse
Frankreichs und Rußlands, und auf den persönlichen Charakter und die Be¬
strebungen ihrer Regenten, so viel davon bis jetzt bekannt geworden, einen prü¬
fenden Blick werfen, und uns danach unsere Meinung über den wahrscheinlichen
Zweck der vielbesprochenen Zusammenkunft bilden. Mehr kann, ehrlich gestanden,
der deutsche Publicist überhaupt selten thun, und wir glauben nicht, daß das
Publicum etwas dabei verliert; denn auch mächtige Persönlichkeiten können sich
dem Druck der Verhältnisse nicht entziehen, zumal in unserer Zeit, und in der
Politik sind auch die anscheinend leitenden Personen oft mehr Geschobene als
schiebende. Aber selbst wenn es blos auf die persönliche Entscheidung der beiden
Monarchen ankäme, welche Politik sie gegen Europa befolgen wollten, so gibt bei
ihnen sowol Charakter wie Interesse eine Bürgschaft, daß es keine aggressive sein
wird. Zunächst erscheint uns das Zustandekommen der Zusammenkunft allerdings
als ein Sieg der Politik Ludwig Napoleons. Von dem Tage an, wo er als
„Parvenu" den großen europäischen Dynastien, die seinem Emporkommen mit
Abneigung oder wenigstens mit Mißtrauen zusahen, entgegentrat, ist es sein
beständiges Bestreben gewesen, aus dieser Ausnahmestellung herauszukommen.
Außerdem betrachtet er es als einen Theil der ihm von seinem großen Onkel hinter¬
lassenen Aufgabe, die Aechtung, welche die Souveräne Europas über die napoleo-
nische Dynastie verhängten, durch eine glänzende Rehabilitation wieder gut zu
machen. Beides ist ihm jetzt gelungen. Der Gegensatz zwischen England und dem
napoleoniden war von Haus aus kein principieller, und die vollständige Ver¬
söhnung fand ihren energischsten Ausdruck in dem Bündniß und dem Kriege gegen
Rußland. Oestreich versuchte im Bund der Dritte zu sein, aber, seine halben Ma߬
regeln haben dem alten Verbündeten, von dem es sich getrennt, keine Furcht, und
den neuen keine Achtung eingeflößt; doch wenn sein Verhältniß zu Frankreich jetzt
auch etwas erkaltet ist, so hat es früher mit am ersten und mit der größten Wärme
die Wiederherstellung der napoleonischen Dynastie anerkannt; Preußen hat ihre
Vermittlung in der neuenburger Angelegenheit in Anspruch genommen; Rußland
dagegen versagte dem neuen Kaiser sogar die Form der Anrede, mit welcher die
Courtoisie gleichberechtigte Souveräne auszeichnet. Zwischen damals und jetzt
aber liegt ein blutiger Krieg, in welchem England zwar die Haupttriebfeder war,
Frankreich aber militärisch die Hauptrolle spielte. Sein Resultat hat Nußland is>
lire, und dem Bedürfniß des Kaisers von Frankreich, auch von dem Beherrscher


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[0042] Korrespondenzen. 8d. — Als getreue Berichterstatter über die am Horizont auf¬ tauchenden politischen Konstellationen dürfen wir nicht stillschweigend über die Zu- sammenkunft der beiden Kaiser von Frankreich und Rußland hinweggehen, obgleich wir nicht so glücklich situirt sind wie einige unserer College», die nicht blos die geheimsten Intentionen der verschiedenen Cabiuete, sondern auch die verstecktesten Falten in den Herzen der beiden mächtigen Souveräne kennen, und mit ziemlicher Gewißheit schon im Voraus wissen, um was sich die Besprechungen und Verab¬ redungen der beiden Monarchen drehen werden. Wir dagegen können blos wie andere gewöhnliche Sterbliche aus die politische Lage und die politischen Bedürfnisse Frankreichs und Rußlands, und auf den persönlichen Charakter und die Be¬ strebungen ihrer Regenten, so viel davon bis jetzt bekannt geworden, einen prü¬ fenden Blick werfen, und uns danach unsere Meinung über den wahrscheinlichen Zweck der vielbesprochenen Zusammenkunft bilden. Mehr kann, ehrlich gestanden, der deutsche Publicist überhaupt selten thun, und wir glauben nicht, daß das Publicum etwas dabei verliert; denn auch mächtige Persönlichkeiten können sich dem Druck der Verhältnisse nicht entziehen, zumal in unserer Zeit, und in der Politik sind auch die anscheinend leitenden Personen oft mehr Geschobene als schiebende. Aber selbst wenn es blos auf die persönliche Entscheidung der beiden Monarchen ankäme, welche Politik sie gegen Europa befolgen wollten, so gibt bei ihnen sowol Charakter wie Interesse eine Bürgschaft, daß es keine aggressive sein wird. Zunächst erscheint uns das Zustandekommen der Zusammenkunft allerdings als ein Sieg der Politik Ludwig Napoleons. Von dem Tage an, wo er als „Parvenu" den großen europäischen Dynastien, die seinem Emporkommen mit Abneigung oder wenigstens mit Mißtrauen zusahen, entgegentrat, ist es sein beständiges Bestreben gewesen, aus dieser Ausnahmestellung herauszukommen. Außerdem betrachtet er es als einen Theil der ihm von seinem großen Onkel hinter¬ lassenen Aufgabe, die Aechtung, welche die Souveräne Europas über die napoleo- nische Dynastie verhängten, durch eine glänzende Rehabilitation wieder gut zu machen. Beides ist ihm jetzt gelungen. Der Gegensatz zwischen England und dem napoleoniden war von Haus aus kein principieller, und die vollständige Ver¬ söhnung fand ihren energischsten Ausdruck in dem Bündniß und dem Kriege gegen Rußland. Oestreich versuchte im Bund der Dritte zu sein, aber, seine halben Ma߬ regeln haben dem alten Verbündeten, von dem es sich getrennt, keine Furcht, und den neuen keine Achtung eingeflößt; doch wenn sein Verhältniß zu Frankreich jetzt auch etwas erkaltet ist, so hat es früher mit am ersten und mit der größten Wärme die Wiederherstellung der napoleonischen Dynastie anerkannt; Preußen hat ihre Vermittlung in der neuenburger Angelegenheit in Anspruch genommen; Rußland dagegen versagte dem neuen Kaiser sogar die Form der Anrede, mit welcher die Courtoisie gleichberechtigte Souveräne auszeichnet. Zwischen damals und jetzt aber liegt ein blutiger Krieg, in welchem England zwar die Haupttriebfeder war, Frankreich aber militärisch die Hauptrolle spielte. Sein Resultat hat Nußland is> lire, und dem Bedürfniß des Kaisers von Frankreich, auch von dem Beherrscher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/42>, abgerufen am 30.04.2024.