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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Union eintreten wird, so auch trotz Brigham Aoungs und seiner Freunde in
der amerikanischen Presse Utah nicht als Theokratie.




Literatur.

O stsricsisches Wörterbuch von Cirk Heinrich Stürcnberg. Aurich,
1857. C. O. Seyde. -- Der alte Stamm der Friesen gehört z" den Völkern
germanischer Zunge, welche seit der Urzeit so viel Eigenthümliches in Sprache und
Volksleben entwickeln, daß ihre Sprache nicht in demselben Sinne ein deutscher
Dialect genannt werden kann, wie z. B. in Oberdeutschland die baierische, frän¬
kische, schwäbische Mundart, in Niederdeutschland etwa die holsteinische, fchleswig-
fche, altmärkischc Sprechweise. Vielmehr steht die alte friesische Sprache zu den
deutschen Sprachen des frühen Mittelalters in ähnlichem Verhältniß wie das Angel¬
sächsische und Altnordische, als eine ebenbürtige Schwester der altsächsischen Sprache,
aus welcher letzteren sich unsere niederdeutschen Dialecte allmälig gebildet haben.
Es war aber dem Küstcnvolk der Friesen nicht vergönnt, in einem kräftigen und
dauernden politischen Zusammenleben Sprache und Schriftdenkmäler derselben
selbstständig zu gestalten. Das westliche Friesland fiel'zu den Niederlanden, auf
der Nordscciuste Schleswig-Holsteins erhielten sich Nordfriescn in insularer Abge¬
schlossenheit, Ostfriesland roard, nachdem zuletzt Preußen dasselbe verloren, an die
niederdeutschen Hannoveraner gebunden. Durch die uralte Nachbarschaft und Ein¬
wirkung der Niedersachsen ist die ostfriesische Sprache am meisten afficirt worden,
und in der That gegenwärtig nichts als ein sehr interessanter niederdeutscher Dia¬
lect mit vielen Eigenthümlichkeiten. Ein Wörterbuch der jetzt untergegangenen
a l"friesischen Sprache hatte Wiarda 1786 herausgegeben, für deu gegenwärtigen
Zustand des Dialects fehlte bis 'jetzt jedes gedruckte Wörterbuch. Das vorliegende
Werk ist das Resultat 20jährigen Sammelns, der Herausgeber ein wohl unter¬
richteter und sorgfältiger Mann. Einrichtung und Methode sind durchweg verstän¬
dig und praktisch. Auch ist höchlich zu loben, daß der Verfasser nicht die Methode
einer neuen Buchstaben- und Zeichenschrift zur Bezeichnung eigenthümlicher dialec-
tischer Laute angenommen hat; eine Methode, welche die oberdeutschen Idiotika
allmälig ungenießbar zu machen droht. Schon bei Schmeller sind die vielen Häck-
chcn, Striche, verkehrten o u. s. w. lästig, in Frvmmcuins Monatschrift geben sie
einzelnen Beiträgen ein bedenkliches hieroglyphisches Aussehen, und auch dem schönen
Project eines großen schwäbischen Wörterbuchs, welches unter den Auspicien von
Keller zu entstehen beginnt, drohen sie das Publicum zu entfremden. Mögen die
Gelehrten unserer Dialecte doch wohlwollend bedeuten, daß es gar nicht die Auf¬
gabe der Buchstabenschrift ist, die feinen Nüancen der Laute wiederzugeben, keine
europäische Sprache erhebt solche Ansprüche, und in keiner Schrift der Welt ist es
je möglich gewesen, dergleichen Forderungen, wenn sie von Sprachknnstlcru erhoben
wurden, durchzuführen. Denn der größte Reichthum an Lautzeichen. und wäre
er größer als der Bnchstabenwcrth des Sanscrit, wird den Leser, der den ewzel-
nen Dialect nicht durch das eigene Ohr kennen gelernt hat, noch nicht in Star


Union eintreten wird, so auch trotz Brigham Aoungs und seiner Freunde in
der amerikanischen Presse Utah nicht als Theokratie.




Literatur.

O stsricsisches Wörterbuch von Cirk Heinrich Stürcnberg. Aurich,
1857. C. O. Seyde. — Der alte Stamm der Friesen gehört z» den Völkern
germanischer Zunge, welche seit der Urzeit so viel Eigenthümliches in Sprache und
Volksleben entwickeln, daß ihre Sprache nicht in demselben Sinne ein deutscher
Dialect genannt werden kann, wie z. B. in Oberdeutschland die baierische, frän¬
kische, schwäbische Mundart, in Niederdeutschland etwa die holsteinische, fchleswig-
fche, altmärkischc Sprechweise. Vielmehr steht die alte friesische Sprache zu den
deutschen Sprachen des frühen Mittelalters in ähnlichem Verhältniß wie das Angel¬
sächsische und Altnordische, als eine ebenbürtige Schwester der altsächsischen Sprache,
aus welcher letzteren sich unsere niederdeutschen Dialecte allmälig gebildet haben.
Es war aber dem Küstcnvolk der Friesen nicht vergönnt, in einem kräftigen und
dauernden politischen Zusammenleben Sprache und Schriftdenkmäler derselben
selbstständig zu gestalten. Das westliche Friesland fiel'zu den Niederlanden, auf
der Nordscciuste Schleswig-Holsteins erhielten sich Nordfriescn in insularer Abge¬
schlossenheit, Ostfriesland roard, nachdem zuletzt Preußen dasselbe verloren, an die
niederdeutschen Hannoveraner gebunden. Durch die uralte Nachbarschaft und Ein¬
wirkung der Niedersachsen ist die ostfriesische Sprache am meisten afficirt worden,
und in der That gegenwärtig nichts als ein sehr interessanter niederdeutscher Dia¬
lect mit vielen Eigenthümlichkeiten. Ein Wörterbuch der jetzt untergegangenen
a l»friesischen Sprache hatte Wiarda 1786 herausgegeben, für deu gegenwärtigen
Zustand des Dialects fehlte bis 'jetzt jedes gedruckte Wörterbuch. Das vorliegende
Werk ist das Resultat 20jährigen Sammelns, der Herausgeber ein wohl unter¬
richteter und sorgfältiger Mann. Einrichtung und Methode sind durchweg verstän¬
dig und praktisch. Auch ist höchlich zu loben, daß der Verfasser nicht die Methode
einer neuen Buchstaben- und Zeichenschrift zur Bezeichnung eigenthümlicher dialec-
tischer Laute angenommen hat; eine Methode, welche die oberdeutschen Idiotika
allmälig ungenießbar zu machen droht. Schon bei Schmeller sind die vielen Häck-
chcn, Striche, verkehrten o u. s. w. lästig, in Frvmmcuins Monatschrift geben sie
einzelnen Beiträgen ein bedenkliches hieroglyphisches Aussehen, und auch dem schönen
Project eines großen schwäbischen Wörterbuchs, welches unter den Auspicien von
Keller zu entstehen beginnt, drohen sie das Publicum zu entfremden. Mögen die
Gelehrten unserer Dialecte doch wohlwollend bedeuten, daß es gar nicht die Auf¬
gabe der Buchstabenschrift ist, die feinen Nüancen der Laute wiederzugeben, keine
europäische Sprache erhebt solche Ansprüche, und in keiner Schrift der Welt ist es
je möglich gewesen, dergleichen Forderungen, wenn sie von Sprachknnstlcru erhoben
wurden, durchzuführen. Denn der größte Reichthum an Lautzeichen. und wäre
er größer als der Bnchstabenwcrth des Sanscrit, wird den Leser, der den ewzel-
nen Dialect nicht durch das eigene Ohr kennen gelernt hat, noch nicht in Star


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[0446] Union eintreten wird, so auch trotz Brigham Aoungs und seiner Freunde in der amerikanischen Presse Utah nicht als Theokratie. Literatur. O stsricsisches Wörterbuch von Cirk Heinrich Stürcnberg. Aurich, 1857. C. O. Seyde. — Der alte Stamm der Friesen gehört z» den Völkern germanischer Zunge, welche seit der Urzeit so viel Eigenthümliches in Sprache und Volksleben entwickeln, daß ihre Sprache nicht in demselben Sinne ein deutscher Dialect genannt werden kann, wie z. B. in Oberdeutschland die baierische, frän¬ kische, schwäbische Mundart, in Niederdeutschland etwa die holsteinische, fchleswig- fche, altmärkischc Sprechweise. Vielmehr steht die alte friesische Sprache zu den deutschen Sprachen des frühen Mittelalters in ähnlichem Verhältniß wie das Angel¬ sächsische und Altnordische, als eine ebenbürtige Schwester der altsächsischen Sprache, aus welcher letzteren sich unsere niederdeutschen Dialecte allmälig gebildet haben. Es war aber dem Küstcnvolk der Friesen nicht vergönnt, in einem kräftigen und dauernden politischen Zusammenleben Sprache und Schriftdenkmäler derselben selbstständig zu gestalten. Das westliche Friesland fiel'zu den Niederlanden, auf der Nordscciuste Schleswig-Holsteins erhielten sich Nordfriescn in insularer Abge¬ schlossenheit, Ostfriesland roard, nachdem zuletzt Preußen dasselbe verloren, an die niederdeutschen Hannoveraner gebunden. Durch die uralte Nachbarschaft und Ein¬ wirkung der Niedersachsen ist die ostfriesische Sprache am meisten afficirt worden, und in der That gegenwärtig nichts als ein sehr interessanter niederdeutscher Dia¬ lect mit vielen Eigenthümlichkeiten. Ein Wörterbuch der jetzt untergegangenen a l»friesischen Sprache hatte Wiarda 1786 herausgegeben, für deu gegenwärtigen Zustand des Dialects fehlte bis 'jetzt jedes gedruckte Wörterbuch. Das vorliegende Werk ist das Resultat 20jährigen Sammelns, der Herausgeber ein wohl unter¬ richteter und sorgfältiger Mann. Einrichtung und Methode sind durchweg verstän¬ dig und praktisch. Auch ist höchlich zu loben, daß der Verfasser nicht die Methode einer neuen Buchstaben- und Zeichenschrift zur Bezeichnung eigenthümlicher dialec- tischer Laute angenommen hat; eine Methode, welche die oberdeutschen Idiotika allmälig ungenießbar zu machen droht. Schon bei Schmeller sind die vielen Häck- chcn, Striche, verkehrten o u. s. w. lästig, in Frvmmcuins Monatschrift geben sie einzelnen Beiträgen ein bedenkliches hieroglyphisches Aussehen, und auch dem schönen Project eines großen schwäbischen Wörterbuchs, welches unter den Auspicien von Keller zu entstehen beginnt, drohen sie das Publicum zu entfremden. Mögen die Gelehrten unserer Dialecte doch wohlwollend bedeuten, daß es gar nicht die Auf¬ gabe der Buchstabenschrift ist, die feinen Nüancen der Laute wiederzugeben, keine europäische Sprache erhebt solche Ansprüche, und in keiner Schrift der Welt ist es je möglich gewesen, dergleichen Forderungen, wenn sie von Sprachknnstlcru erhoben wurden, durchzuführen. Denn der größte Reichthum an Lautzeichen. und wäre er größer als der Bnchstabenwcrth des Sanscrit, wird den Leser, der den ewzel- nen Dialect nicht durch das eigene Ohr kennen gelernt hat, noch nicht in Star

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/446>, abgerufen am 30.04.2024.