Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stitutionelle Entwicklung Belgiens bis jetzt eine durchaus normale gewesen, so
erhält auf der andern Seite das monarchische Princip durch die Art, wie hier
das Königthum durch den Musterkönig Leopold vertreten ist, eine Unterstützung,
welche nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Ein verfassungstreuer, an
das System, in dessen Organismus er eines der Glieder ist, aufrichtig glau¬
bender Fürst, der in Wahrheit über den Parteien steht, ist und bleibt, na¬
mentlich da, wo die andere Macht, das Volk, noch nicht vollkommen sicher,
fest und stark auf den Füßen ist, der beste Halt in den Wirren des Staats¬
lebens, und wir begreifen darum vollständig die Begeisterung der Belgier bei
dem Jubiläum ihres Monarchen, während manche ähnlich aussehende Begei-
sterungSausbrüche uns weniger begreiflich sind.




Kleine ästhetische Streifzüge.
3.

Unter den nachtheiligen Einwirkungen unserer frühern Literatur auf
die Gegenwart, steht in erster Reihe die Neigung der deutschen Schriftsteller,
sich mehr mit ihrer Person, als mit der Sache zu beschäftigen, und auch da,
wo sie eifrig bemüht sind, der Sache gerecht zu werden, wenigstens in die
Färbung etwas von ihrem individuellen Wesen einfließen zu lassen. Gegen
das Princip unserer classischen Schule: der Zweck deS Lebens sei die harmonische
Ausbildung der Persönlichkeit, würde sich wenig einwenden lassen, wenn diese
Ausbildung dazu geführt hätte, die Persönlichkeit ganz zu vergessen, wie man
sich ja auch im gesunden Zustand seines Körpers nicht im mindesten erinnert. Statt
dessen wollte man sich aber als schöne Seele genießen und auch von andern
als schöne Seele geliebt und gewürdigt sein, und so war man fortwährend ge¬
nöthigt, auf das zu reflectiren, was eine reife Bildung den Menschen ver¬
gessen lehrt. Später, als die classische Kunst durch die Romantik verdrängt
wurde, ging das Schöne in das Interessante über, und die Sache wurde da¬
durch nur noch schlimmer. Denn das Schöne kann man nur im allgemeinen
Ueberblick empfinden, auf das Interessante dagegen will man in jedem Augen¬
blick aufmerksam gemacht werden, und so hielt der Schriftsteller es nicht blos
für erlaubt, mit dem lieben Publicum zu kokettiren -- um uns deutsch aus¬


Hanse. Selbst das urkatholische Löwen, die Burg der Ultramontanen, hatte sich dem unge¬
heuren, vielleicht vorbedeutnngsvolle" Umschlag nicht entziehen können, denn unter den vier
Abgeordneten, die es in die Kammer schickte, war wenigstens ein Liberaler. Sämmtliche
Mitglieder des neue" Cabinets sind gewählt, Regier sogar zweimal, und überhaupt ist der
Partei, die jetzt die ministerielle sein wird, nichts als die Wahl in Mecheln und in Courtrat
Miß D, Red. rathen,
63 *

stitutionelle Entwicklung Belgiens bis jetzt eine durchaus normale gewesen, so
erhält auf der andern Seite das monarchische Princip durch die Art, wie hier
das Königthum durch den Musterkönig Leopold vertreten ist, eine Unterstützung,
welche nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Ein verfassungstreuer, an
das System, in dessen Organismus er eines der Glieder ist, aufrichtig glau¬
bender Fürst, der in Wahrheit über den Parteien steht, ist und bleibt, na¬
mentlich da, wo die andere Macht, das Volk, noch nicht vollkommen sicher,
fest und stark auf den Füßen ist, der beste Halt in den Wirren des Staats¬
lebens, und wir begreifen darum vollständig die Begeisterung der Belgier bei
dem Jubiläum ihres Monarchen, während manche ähnlich aussehende Begei-
sterungSausbrüche uns weniger begreiflich sind.




Kleine ästhetische Streifzüge.
3.

Unter den nachtheiligen Einwirkungen unserer frühern Literatur auf
die Gegenwart, steht in erster Reihe die Neigung der deutschen Schriftsteller,
sich mehr mit ihrer Person, als mit der Sache zu beschäftigen, und auch da,
wo sie eifrig bemüht sind, der Sache gerecht zu werden, wenigstens in die
Färbung etwas von ihrem individuellen Wesen einfließen zu lassen. Gegen
das Princip unserer classischen Schule: der Zweck deS Lebens sei die harmonische
Ausbildung der Persönlichkeit, würde sich wenig einwenden lassen, wenn diese
Ausbildung dazu geführt hätte, die Persönlichkeit ganz zu vergessen, wie man
sich ja auch im gesunden Zustand seines Körpers nicht im mindesten erinnert. Statt
dessen wollte man sich aber als schöne Seele genießen und auch von andern
als schöne Seele geliebt und gewürdigt sein, und so war man fortwährend ge¬
nöthigt, auf das zu reflectiren, was eine reife Bildung den Menschen ver¬
gessen lehrt. Später, als die classische Kunst durch die Romantik verdrängt
wurde, ging das Schöne in das Interessante über, und die Sache wurde da¬
durch nur noch schlimmer. Denn das Schöne kann man nur im allgemeinen
Ueberblick empfinden, auf das Interessante dagegen will man in jedem Augen¬
blick aufmerksam gemacht werden, und so hielt der Schriftsteller es nicht blos
für erlaubt, mit dem lieben Publicum zu kokettiren — um uns deutsch aus¬


Hanse. Selbst das urkatholische Löwen, die Burg der Ultramontanen, hatte sich dem unge¬
heuren, vielleicht vorbedeutnngsvolle» Umschlag nicht entziehen können, denn unter den vier
Abgeordneten, die es in die Kammer schickte, war wenigstens ein Liberaler. Sämmtliche
Mitglieder des neue» Cabinets sind gewählt, Regier sogar zweimal, und überhaupt ist der
Partei, die jetzt die ministerielle sein wird, nichts als die Wahl in Mecheln und in Courtrat
Miß D, Red. rathen,
63 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281691"/>
            <p xml:id="ID_1363" prev="#ID_1362"> stitutionelle Entwicklung Belgiens bis jetzt eine durchaus normale gewesen, so<lb/>
erhält auf der andern Seite das monarchische Princip durch die Art, wie hier<lb/>
das Königthum durch den Musterkönig Leopold vertreten ist, eine Unterstützung,<lb/>
welche nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Ein verfassungstreuer, an<lb/>
das System, in dessen Organismus er eines der Glieder ist, aufrichtig glau¬<lb/>
bender Fürst, der in Wahrheit über den Parteien steht, ist und bleibt, na¬<lb/>
mentlich da, wo die andere Macht, das Volk, noch nicht vollkommen sicher,<lb/>
fest und stark auf den Füßen ist, der beste Halt in den Wirren des Staats¬<lb/>
lebens, und wir begreifen darum vollständig die Begeisterung der Belgier bei<lb/>
dem Jubiläum ihres Monarchen, während manche ähnlich aussehende Begei-<lb/>
sterungSausbrüche uns weniger begreiflich sind.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kleine ästhetische Streifzüge.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 3.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1364" next="#ID_1365"> Unter den nachtheiligen Einwirkungen unserer frühern Literatur auf<lb/>
die Gegenwart, steht in erster Reihe die Neigung der deutschen Schriftsteller,<lb/>
sich mehr mit ihrer Person, als mit der Sache zu beschäftigen, und auch da,<lb/>
wo sie eifrig bemüht sind, der Sache gerecht zu werden, wenigstens in die<lb/>
Färbung etwas von ihrem individuellen Wesen einfließen zu lassen. Gegen<lb/>
das Princip unserer classischen Schule: der Zweck deS Lebens sei die harmonische<lb/>
Ausbildung der Persönlichkeit, würde sich wenig einwenden lassen, wenn diese<lb/>
Ausbildung dazu geführt hätte, die Persönlichkeit ganz zu vergessen, wie man<lb/>
sich ja auch im gesunden Zustand seines Körpers nicht im mindesten erinnert. Statt<lb/>
dessen wollte man sich aber als schöne Seele genießen und auch von andern<lb/>
als schöne Seele geliebt und gewürdigt sein, und so war man fortwährend ge¬<lb/>
nöthigt, auf das zu reflectiren, was eine reife Bildung den Menschen ver¬<lb/>
gessen lehrt. Später, als die classische Kunst durch die Romantik verdrängt<lb/>
wurde, ging das Schöne in das Interessante über, und die Sache wurde da¬<lb/>
durch nur noch schlimmer. Denn das Schöne kann man nur im allgemeinen<lb/>
Ueberblick empfinden, auf das Interessante dagegen will man in jedem Augen¬<lb/>
blick aufmerksam gemacht werden, und so hielt der Schriftsteller es nicht blos<lb/>
für erlaubt, mit dem lieben Publicum zu kokettiren &#x2014; um uns deutsch aus¬</p><lb/>
            <note xml:id="FID_27" prev="#FID_26" place="foot"> Hanse. Selbst das urkatholische Löwen, die Burg der Ultramontanen, hatte sich dem unge¬<lb/>
heuren, vielleicht vorbedeutnngsvolle» Umschlag nicht entziehen können, denn unter den vier<lb/>
Abgeordneten, die es in die Kammer schickte, war wenigstens ein Liberaler. Sämmtliche<lb/>
Mitglieder des neue» Cabinets sind gewählt, Regier sogar zweimal, und überhaupt ist der<lb/>
Partei, die jetzt die ministerielle sein wird, nichts als die Wahl in Mecheln und in Courtrat<lb/>
Miß<note type="byline"> D, Red.</note> rathen, </note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 63 *</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] stitutionelle Entwicklung Belgiens bis jetzt eine durchaus normale gewesen, so erhält auf der andern Seite das monarchische Princip durch die Art, wie hier das Königthum durch den Musterkönig Leopold vertreten ist, eine Unterstützung, welche nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Ein verfassungstreuer, an das System, in dessen Organismus er eines der Glieder ist, aufrichtig glau¬ bender Fürst, der in Wahrheit über den Parteien steht, ist und bleibt, na¬ mentlich da, wo die andere Macht, das Volk, noch nicht vollkommen sicher, fest und stark auf den Füßen ist, der beste Halt in den Wirren des Staats¬ lebens, und wir begreifen darum vollständig die Begeisterung der Belgier bei dem Jubiläum ihres Monarchen, während manche ähnlich aussehende Begei- sterungSausbrüche uns weniger begreiflich sind. Kleine ästhetische Streifzüge. 3. Unter den nachtheiligen Einwirkungen unserer frühern Literatur auf die Gegenwart, steht in erster Reihe die Neigung der deutschen Schriftsteller, sich mehr mit ihrer Person, als mit der Sache zu beschäftigen, und auch da, wo sie eifrig bemüht sind, der Sache gerecht zu werden, wenigstens in die Färbung etwas von ihrem individuellen Wesen einfließen zu lassen. Gegen das Princip unserer classischen Schule: der Zweck deS Lebens sei die harmonische Ausbildung der Persönlichkeit, würde sich wenig einwenden lassen, wenn diese Ausbildung dazu geführt hätte, die Persönlichkeit ganz zu vergessen, wie man sich ja auch im gesunden Zustand seines Körpers nicht im mindesten erinnert. Statt dessen wollte man sich aber als schöne Seele genießen und auch von andern als schöne Seele geliebt und gewürdigt sein, und so war man fortwährend ge¬ nöthigt, auf das zu reflectiren, was eine reife Bildung den Menschen ver¬ gessen lehrt. Später, als die classische Kunst durch die Romantik verdrängt wurde, ging das Schöne in das Interessante über, und die Sache wurde da¬ durch nur noch schlimmer. Denn das Schöne kann man nur im allgemeinen Ueberblick empfinden, auf das Interessante dagegen will man in jedem Augen¬ blick aufmerksam gemacht werden, und so hielt der Schriftsteller es nicht blos für erlaubt, mit dem lieben Publicum zu kokettiren — um uns deutsch aus¬ Hanse. Selbst das urkatholische Löwen, die Burg der Ultramontanen, hatte sich dem unge¬ heuren, vielleicht vorbedeutnngsvolle» Umschlag nicht entziehen können, denn unter den vier Abgeordneten, die es in die Kammer schickte, war wenigstens ein Liberaler. Sämmtliche Mitglieder des neue» Cabinets sind gewählt, Regier sogar zweimal, und überhaupt ist der Partei, die jetzt die ministerielle sein wird, nichts als die Wahl in Mecheln und in Courtrat Miß D, Red. rathen, 63 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/507>, abgerufen am 30.04.2024.