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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Aus der römischen Kmserzeit.
Der poetische D i l e t t a n l i s in u s.

In einem frühern Aufsätze haben wir zu zeigen versucht, daß die musikali¬
schen Ercesse, mit denen Trimalchios Gäste während der Tafel gemartert wor¬
den, nicht etwa in einer besondern persönlichen Melomanie deS petronischen
Helden ihren Grund haben, sondern als Aeußerungen einer damals herrschen¬
den Modeleidenschaft für Musik anzusehen sind, freilich in trimalchionischer
Manier. Nicht minder als die Musik schätzt und übt Trimalchio ihre Schwester¬
kunst, die Poesie; unter den Gesängen, die seine Gäste anhören müssen, sind
auch solche, die er selbst gedichtet hat. Und ein Vorfall, der sich während des
Gastmahls ereignet, gibt ihm Stoff zu einem kleinen poetischen Impromptu.
Ein Mann, der auf den Sprossen einer Leiter zur Unterhaltung der Anwesen¬
den ein Ballet tanzen, einen Krug mit den Zähnen halten und durch brennende
Reifen springen muß, hat das Unglück aus den Hausherrn zu fallen. Trimal¬
chio ächzt über einen Schmerz an seinem Arm, es entsteht ein allgemeiner
Aufruhr, die Hausärzte eilen herbei, und ein Sklav, der die Unachtsamkeit begeht,
die Beule am Arm seines Herrn mit gewöhnlicher weißer, statt mit purpur-
gcfärvter Wolle zu umwickeln, erhält zur Strafe Peitschenhiebe. Der unglück¬
liche Equilibrist dagegen wird nicht nur nicht bestraft, sondern auf der Stelle frei¬
gelassen , damit man nicht sagen könne, ein Mann wie Trimalchio habe von
dem Stoß eines Sklaven blaue Flecke davon getragen. Das wird mit allge¬
meinem Applaus aufgenommen, und das Gespräch verbreitet sich über die unbe¬
rechenbaren Zufälle, denen die menschlichen Schicksale unterworfen sind. Wahr¬
haftig, sagt Trimalchio, wir müssen diesen Fall nicht ohne ein Epigramm vor¬
übergehn lassen. Flugs fordert er seine Schreibtafel, und ohne sich lange mit
Nachdenken zu quälen, liest er einige improvisierte Verse vor, deren lächerliche
Trivialität des Inhalts, Holprigkeit der Form und Gemeinheit des Ausdrucks
man sich nach folgender Uebersetzung vorstellen mag:


Was wir nicht verhofft,
Kommt in die Quer uns oft.
Und über unsere Interessen
Entscheidet Fortuna nach ihrem Ermessen.
Drum laßt uns die Sorgen beim Becher vergessen!

Grenzboten IV. 48S7. />
Aus der römischen Kmserzeit.
Der poetische D i l e t t a n l i s in u s.

In einem frühern Aufsätze haben wir zu zeigen versucht, daß die musikali¬
schen Ercesse, mit denen Trimalchios Gäste während der Tafel gemartert wor¬
den, nicht etwa in einer besondern persönlichen Melomanie deS petronischen
Helden ihren Grund haben, sondern als Aeußerungen einer damals herrschen¬
den Modeleidenschaft für Musik anzusehen sind, freilich in trimalchionischer
Manier. Nicht minder als die Musik schätzt und übt Trimalchio ihre Schwester¬
kunst, die Poesie; unter den Gesängen, die seine Gäste anhören müssen, sind
auch solche, die er selbst gedichtet hat. Und ein Vorfall, der sich während des
Gastmahls ereignet, gibt ihm Stoff zu einem kleinen poetischen Impromptu.
Ein Mann, der auf den Sprossen einer Leiter zur Unterhaltung der Anwesen¬
den ein Ballet tanzen, einen Krug mit den Zähnen halten und durch brennende
Reifen springen muß, hat das Unglück aus den Hausherrn zu fallen. Trimal¬
chio ächzt über einen Schmerz an seinem Arm, es entsteht ein allgemeiner
Aufruhr, die Hausärzte eilen herbei, und ein Sklav, der die Unachtsamkeit begeht,
die Beule am Arm seines Herrn mit gewöhnlicher weißer, statt mit purpur-
gcfärvter Wolle zu umwickeln, erhält zur Strafe Peitschenhiebe. Der unglück¬
liche Equilibrist dagegen wird nicht nur nicht bestraft, sondern auf der Stelle frei¬
gelassen , damit man nicht sagen könne, ein Mann wie Trimalchio habe von
dem Stoß eines Sklaven blaue Flecke davon getragen. Das wird mit allge¬
meinem Applaus aufgenommen, und das Gespräch verbreitet sich über die unbe¬
rechenbaren Zufälle, denen die menschlichen Schicksale unterworfen sind. Wahr¬
haftig, sagt Trimalchio, wir müssen diesen Fall nicht ohne ein Epigramm vor¬
übergehn lassen. Flugs fordert er seine Schreibtafel, und ohne sich lange mit
Nachdenken zu quälen, liest er einige improvisierte Verse vor, deren lächerliche
Trivialität des Inhalts, Holprigkeit der Form und Gemeinheit des Ausdrucks
man sich nach folgender Uebersetzung vorstellen mag:


Was wir nicht verhofft,
Kommt in die Quer uns oft.
Und über unsere Interessen
Entscheidet Fortuna nach ihrem Ermessen.
Drum laßt uns die Sorgen beim Becher vergessen!

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[0009] Aus der römischen Kmserzeit. Der poetische D i l e t t a n l i s in u s. In einem frühern Aufsätze haben wir zu zeigen versucht, daß die musikali¬ schen Ercesse, mit denen Trimalchios Gäste während der Tafel gemartert wor¬ den, nicht etwa in einer besondern persönlichen Melomanie deS petronischen Helden ihren Grund haben, sondern als Aeußerungen einer damals herrschen¬ den Modeleidenschaft für Musik anzusehen sind, freilich in trimalchionischer Manier. Nicht minder als die Musik schätzt und übt Trimalchio ihre Schwester¬ kunst, die Poesie; unter den Gesängen, die seine Gäste anhören müssen, sind auch solche, die er selbst gedichtet hat. Und ein Vorfall, der sich während des Gastmahls ereignet, gibt ihm Stoff zu einem kleinen poetischen Impromptu. Ein Mann, der auf den Sprossen einer Leiter zur Unterhaltung der Anwesen¬ den ein Ballet tanzen, einen Krug mit den Zähnen halten und durch brennende Reifen springen muß, hat das Unglück aus den Hausherrn zu fallen. Trimal¬ chio ächzt über einen Schmerz an seinem Arm, es entsteht ein allgemeiner Aufruhr, die Hausärzte eilen herbei, und ein Sklav, der die Unachtsamkeit begeht, die Beule am Arm seines Herrn mit gewöhnlicher weißer, statt mit purpur- gcfärvter Wolle zu umwickeln, erhält zur Strafe Peitschenhiebe. Der unglück¬ liche Equilibrist dagegen wird nicht nur nicht bestraft, sondern auf der Stelle frei¬ gelassen , damit man nicht sagen könne, ein Mann wie Trimalchio habe von dem Stoß eines Sklaven blaue Flecke davon getragen. Das wird mit allge¬ meinem Applaus aufgenommen, und das Gespräch verbreitet sich über die unbe¬ rechenbaren Zufälle, denen die menschlichen Schicksale unterworfen sind. Wahr¬ haftig, sagt Trimalchio, wir müssen diesen Fall nicht ohne ein Epigramm vor¬ übergehn lassen. Flugs fordert er seine Schreibtafel, und ohne sich lange mit Nachdenken zu quälen, liest er einige improvisierte Verse vor, deren lächerliche Trivialität des Inhalts, Holprigkeit der Form und Gemeinheit des Ausdrucks man sich nach folgender Uebersetzung vorstellen mag: Was wir nicht verhofft, Kommt in die Quer uns oft. Und über unsere Interessen Entscheidet Fortuna nach ihrem Ermessen. Drum laßt uns die Sorgen beim Becher vergessen! Grenzboten IV. 48S7. />

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/9>, abgerufen am 30.04.2024.