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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Die Dörfer und ihre Geistlichen im, dreißigjährigen Kriege.
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Es ist nicht die Absicht, in den folgenden Seiten die Gräuel des furcht¬
baren Krieges aufzuzählen. Wer die lebhaften Schilderungen der beiden >
Humoristen aus dem 17. Jahrhundert zur Hand nimmt, erkennt schaudernd, daß
vor 200 Jahren dieselben Brutalitäten in unsern Dörfern verübt wurden,
von denen wir jetzt in Berichten aus Ostindien vernehmen. Auch soll hier
nicht versucht werden, die Größe des Unglücks zu skizziren, denn eine solche
Darstellung würde selbst dann noch ungenügend werden, wenn man das
ungeheure Detail aus hunderttausend vergilbten Blättern in ein ernstes Ge¬
schichtswerk verarbeitete. Dagegen sollen hier einige Züge aus dem Leben
des Volkes zu einem Bilde verbunden " werden, Thatsachen, welche an sich
unbedeutend sind, aber in ihrer Zusammenstellung wol die Theilnahme der
Leser beanspruchen dürsen. Es ist in d. Bl. mehr als einmal gesagt worden,
daß die Folgen des ungeheuren Verlustes an Menschen und Gütern von
jenem Kriege bis in unser Jahrhundert fühlbar geworden sind; es ist auch
der Versuch gemacht worden, diesen Verlust sür einzelne Landschaften an¬
nähernd zu bestimmen. Die Annahme wird nicht zu hoch gegriffen sein, daß
das damalige Deutschland, Oberbaiern und Oberöstreich ausgenommen, weit
über 60 Procent seiner Bewohner (in den Dörfern über 70 Procent) verloren
habe, an seinem Viehinvcntarium aber sicher nicht weniger als 80 Procent,
und daß diese Verluste durch die Vernichtung und Verwüstung alles übrigen
Besitzthums und durch die Demoralisation der Ueberlebenden noch gesteigert
wurden. Hier nun soll an einzelnen Beispielen die Zerstörung der Dorf¬
gemeinden verständlich gemacht und dabei gezeigt werden, welche Kräfte
neben den verderbenden thätig waren, das Übrigbleibende zusammenzuhalten
und die letzte Vernichtung der Nation- abzuwehren. Die Verhältnisse sind einer
bestimmten Landschaft entnommen, welche durch das Kriegsunglück zwar
hart getroffen^ wurde, aber nicht mehr als die meisten andern Länder
Deutschlands, ja nicht so sehr als z. B. die Mark Brandenburg und mehre
Territorien des niedersächsischen und schwäbischen Kreises. Es ist die thüringische
und fränkische Seite des Waldgebirges, welches in der Mitte Deutschlands
als uralte Grenzscheide zwischen dem Norden und Süden gilt; vorzugsweise
die jetzigen Herzogthümer Gotha und Meiningen. Die folgenden Einzelheiten
sind aus Kirchenbüchern, Gemeindeacten, mehres aus den voluminösen
Kirchen und Schulgcschichtcn, welche geistliche Sammler im vorigen Jahr¬
hundert Herausgaben, entnommen.''


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Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Die Dörfer und ihre Geistlichen im, dreißigjährigen Kriege.
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Es ist nicht die Absicht, in den folgenden Seiten die Gräuel des furcht¬
baren Krieges aufzuzählen. Wer die lebhaften Schilderungen der beiden >
Humoristen aus dem 17. Jahrhundert zur Hand nimmt, erkennt schaudernd, daß
vor 200 Jahren dieselben Brutalitäten in unsern Dörfern verübt wurden,
von denen wir jetzt in Berichten aus Ostindien vernehmen. Auch soll hier
nicht versucht werden, die Größe des Unglücks zu skizziren, denn eine solche
Darstellung würde selbst dann noch ungenügend werden, wenn man das
ungeheure Detail aus hunderttausend vergilbten Blättern in ein ernstes Ge¬
schichtswerk verarbeitete. Dagegen sollen hier einige Züge aus dem Leben
des Volkes zu einem Bilde verbunden " werden, Thatsachen, welche an sich
unbedeutend sind, aber in ihrer Zusammenstellung wol die Theilnahme der
Leser beanspruchen dürsen. Es ist in d. Bl. mehr als einmal gesagt worden,
daß die Folgen des ungeheuren Verlustes an Menschen und Gütern von
jenem Kriege bis in unser Jahrhundert fühlbar geworden sind; es ist auch
der Versuch gemacht worden, diesen Verlust sür einzelne Landschaften an¬
nähernd zu bestimmen. Die Annahme wird nicht zu hoch gegriffen sein, daß
das damalige Deutschland, Oberbaiern und Oberöstreich ausgenommen, weit
über 60 Procent seiner Bewohner (in den Dörfern über 70 Procent) verloren
habe, an seinem Viehinvcntarium aber sicher nicht weniger als 80 Procent,
und daß diese Verluste durch die Vernichtung und Verwüstung alles übrigen
Besitzthums und durch die Demoralisation der Ueberlebenden noch gesteigert
wurden. Hier nun soll an einzelnen Beispielen die Zerstörung der Dorf¬
gemeinden verständlich gemacht und dabei gezeigt werden, welche Kräfte
neben den verderbenden thätig waren, das Übrigbleibende zusammenzuhalten
und die letzte Vernichtung der Nation- abzuwehren. Die Verhältnisse sind einer
bestimmten Landschaft entnommen, welche durch das Kriegsunglück zwar
hart getroffen^ wurde, aber nicht mehr als die meisten andern Länder
Deutschlands, ja nicht so sehr als z. B. die Mark Brandenburg und mehre
Territorien des niedersächsischen und schwäbischen Kreises. Es ist die thüringische
und fränkische Seite des Waldgebirges, welches in der Mitte Deutschlands
als uralte Grenzscheide zwischen dem Norden und Süden gilt; vorzugsweise
die jetzigen Herzogthümer Gotha und Meiningen. Die folgenden Einzelheiten
sind aus Kirchenbüchern, Gemeindeacten, mehres aus den voluminösen
Kirchen und Schulgcschichtcn, welche geistliche Sammler im vorigen Jahr¬
hundert Herausgaben, entnommen.''


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[0011] Bilder ans der deutschen Vergangenheit. Die Dörfer und ihre Geistlichen im, dreißigjährigen Kriege. 1. Es ist nicht die Absicht, in den folgenden Seiten die Gräuel des furcht¬ baren Krieges aufzuzählen. Wer die lebhaften Schilderungen der beiden > Humoristen aus dem 17. Jahrhundert zur Hand nimmt, erkennt schaudernd, daß vor 200 Jahren dieselben Brutalitäten in unsern Dörfern verübt wurden, von denen wir jetzt in Berichten aus Ostindien vernehmen. Auch soll hier nicht versucht werden, die Größe des Unglücks zu skizziren, denn eine solche Darstellung würde selbst dann noch ungenügend werden, wenn man das ungeheure Detail aus hunderttausend vergilbten Blättern in ein ernstes Ge¬ schichtswerk verarbeitete. Dagegen sollen hier einige Züge aus dem Leben des Volkes zu einem Bilde verbunden " werden, Thatsachen, welche an sich unbedeutend sind, aber in ihrer Zusammenstellung wol die Theilnahme der Leser beanspruchen dürsen. Es ist in d. Bl. mehr als einmal gesagt worden, daß die Folgen des ungeheuren Verlustes an Menschen und Gütern von jenem Kriege bis in unser Jahrhundert fühlbar geworden sind; es ist auch der Versuch gemacht worden, diesen Verlust sür einzelne Landschaften an¬ nähernd zu bestimmen. Die Annahme wird nicht zu hoch gegriffen sein, daß das damalige Deutschland, Oberbaiern und Oberöstreich ausgenommen, weit über 60 Procent seiner Bewohner (in den Dörfern über 70 Procent) verloren habe, an seinem Viehinvcntarium aber sicher nicht weniger als 80 Procent, und daß diese Verluste durch die Vernichtung und Verwüstung alles übrigen Besitzthums und durch die Demoralisation der Ueberlebenden noch gesteigert wurden. Hier nun soll an einzelnen Beispielen die Zerstörung der Dorf¬ gemeinden verständlich gemacht und dabei gezeigt werden, welche Kräfte neben den verderbenden thätig waren, das Übrigbleibende zusammenzuhalten und die letzte Vernichtung der Nation- abzuwehren. Die Verhältnisse sind einer bestimmten Landschaft entnommen, welche durch das Kriegsunglück zwar hart getroffen^ wurde, aber nicht mehr als die meisten andern Länder Deutschlands, ja nicht so sehr als z. B. die Mark Brandenburg und mehre Territorien des niedersächsischen und schwäbischen Kreises. Es ist die thüringische und fränkische Seite des Waldgebirges, welches in der Mitte Deutschlands als uralte Grenzscheide zwischen dem Norden und Süden gilt; vorzugsweise die jetzigen Herzogthümer Gotha und Meiningen. Die folgenden Einzelheiten sind aus Kirchenbüchern, Gemeindeacten, mehres aus den voluminösen Kirchen und Schulgcschichtcn, welche geistliche Sammler im vorigen Jahr¬ hundert Herausgaben, entnommen.'' ' 1*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/11>, abgerufen am 28.04.2024.