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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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aber in diesem Genre hat die Combination zuletzt eine Grenze: am meisten
empfinden wir das in den narkotischen Nachbildungen des Persischen, die uns
mit ihrem intensiven gleichförmigen Geruch mehr betäuben als erfrischen.

Mit großem Vergnügen haben wir die 4. Auflage der Gedichte von Wil¬
helm Müller (2 Bände, Leipzig. Brockhaus) durchblättert. Einzelne von
diesen, namentlich die schöne Müllerin und die Winterreise, sind durch Schubert
unsterblich gemacht, an die Griechenlieder heftet sich noch ein anderes Inter¬
esse, aber auch in allen übrigen, selbst den unbedeutenden Liedern spricht sich
der echte Dichter und was uns ebenso lieb ist, der deutsche Dichter aus.

Noch möge hier die vorläufige Anzeige zweier Werfe einen Platz finden,
auf die wir uns vorbehalten, nach ihrer Vollendung näher einzugehn. Goe¬
thes Leben von Heinrich Biehof, 3. Auflage (bis jetzt in Lieferungen.
Stuttgart, Becher) und die Geschichte der Architektur von Wilhelm
Lübke (Köln, Seemann). Hier machen wir nur darauf aufmerksam, daß
Viehofs Schrift durch Lewes keineswegs überflüssig gemacht wird, da sie viel
reichhaltigere Notizen und Nachweisungen gibt, und daß Lübke sein für das
praktische Bedürfniß mit großem Verstand eingerichtetes ^Handbuch durch zahl¬
reiche Zusätze und namentlich auch durch zahlreiche neue Holzschnitte erwei¬
tert hat.




Literatur.

Neidhart von Reuenthal, herausgegeben von Moritz Haupt. Leipzig,
Hirzel 1858. 8. -- Neidhart ist unter den ritterlichen Dichter" im Anfang des
13. Jahrhunderts sowol durch seine eigenthümliche Dichterkraft als durch die Schwie¬
rigkeiten, welche seine Poesie darbietet, merkwürdig. Bis vor wenig Jahren war
er das große Räthsel unserer Literaturgeschichten. Seine Person sogar war sagen¬
haft geworden. Als die Gedichte der übrigen Minnesänger, auch die Walthers von
der Vogelweide lange vergessen waren, wurde" noch Lieder von Neidhnrt für die
Trinkstuben der Zünfte gedruckt und gesungen, und 3W Jahre nach seinem Tode
wurden Anekdoten von ihm erzählt, in denen der graziöse Hofmann vom Jahr 1210
als Eulenspiegel erscheint, der die Erdbeeren unter dem Hute seines Fürsten mit
etwas Anderem vertauscht. Daß er so lange in der Seele des Volkes haftete und
daß sein Bild so wunderlich durch die dert,c Laune späterer Zeiten verzogen wurde,
ist an sich auffallend genug. Aber die Gedichte, welche unter seinem Namen uns geblie¬
ben sind, haben noch mehr Befremdliches, Sie unterscheiden sich auffallend von den
Poesien andrer Minnesänger, Neben zahlreichen Strophen, in denen nach der conventio-
nellen Weise der höfischen Dichter die Ankunft des Frühlings begrüßt, die des Herbstes
beklagt und die Sehnsucht nach der Geliebten ausgesprochen ist, stehen in denselben
Gedichten andere von durchaus abweichenden Inhalt, Scenen aus dem Leben der


aber in diesem Genre hat die Combination zuletzt eine Grenze: am meisten
empfinden wir das in den narkotischen Nachbildungen des Persischen, die uns
mit ihrem intensiven gleichförmigen Geruch mehr betäuben als erfrischen.

Mit großem Vergnügen haben wir die 4. Auflage der Gedichte von Wil¬
helm Müller (2 Bände, Leipzig. Brockhaus) durchblättert. Einzelne von
diesen, namentlich die schöne Müllerin und die Winterreise, sind durch Schubert
unsterblich gemacht, an die Griechenlieder heftet sich noch ein anderes Inter¬
esse, aber auch in allen übrigen, selbst den unbedeutenden Liedern spricht sich
der echte Dichter und was uns ebenso lieb ist, der deutsche Dichter aus.

Noch möge hier die vorläufige Anzeige zweier Werfe einen Platz finden,
auf die wir uns vorbehalten, nach ihrer Vollendung näher einzugehn. Goe¬
thes Leben von Heinrich Biehof, 3. Auflage (bis jetzt in Lieferungen.
Stuttgart, Becher) und die Geschichte der Architektur von Wilhelm
Lübke (Köln, Seemann). Hier machen wir nur darauf aufmerksam, daß
Viehofs Schrift durch Lewes keineswegs überflüssig gemacht wird, da sie viel
reichhaltigere Notizen und Nachweisungen gibt, und daß Lübke sein für das
praktische Bedürfniß mit großem Verstand eingerichtetes ^Handbuch durch zahl¬
reiche Zusätze und namentlich auch durch zahlreiche neue Holzschnitte erwei¬
tert hat.




Literatur.

Neidhart von Reuenthal, herausgegeben von Moritz Haupt. Leipzig,
Hirzel 1858. 8. — Neidhart ist unter den ritterlichen Dichter» im Anfang des
13. Jahrhunderts sowol durch seine eigenthümliche Dichterkraft als durch die Schwie¬
rigkeiten, welche seine Poesie darbietet, merkwürdig. Bis vor wenig Jahren war
er das große Räthsel unserer Literaturgeschichten. Seine Person sogar war sagen¬
haft geworden. Als die Gedichte der übrigen Minnesänger, auch die Walthers von
der Vogelweide lange vergessen waren, wurde» noch Lieder von Neidhnrt für die
Trinkstuben der Zünfte gedruckt und gesungen, und 3W Jahre nach seinem Tode
wurden Anekdoten von ihm erzählt, in denen der graziöse Hofmann vom Jahr 1210
als Eulenspiegel erscheint, der die Erdbeeren unter dem Hute seines Fürsten mit
etwas Anderem vertauscht. Daß er so lange in der Seele des Volkes haftete und
daß sein Bild so wunderlich durch die dert,c Laune späterer Zeiten verzogen wurde,
ist an sich auffallend genug. Aber die Gedichte, welche unter seinem Namen uns geblie¬
ben sind, haben noch mehr Befremdliches, Sie unterscheiden sich auffallend von den
Poesien andrer Minnesänger, Neben zahlreichen Strophen, in denen nach der conventio-
nellen Weise der höfischen Dichter die Ankunft des Frühlings begrüßt, die des Herbstes
beklagt und die Sehnsucht nach der Geliebten ausgesprochen ist, stehen in denselben
Gedichten andere von durchaus abweichenden Inhalt, Scenen aus dem Leben der


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[0484] aber in diesem Genre hat die Combination zuletzt eine Grenze: am meisten empfinden wir das in den narkotischen Nachbildungen des Persischen, die uns mit ihrem intensiven gleichförmigen Geruch mehr betäuben als erfrischen. Mit großem Vergnügen haben wir die 4. Auflage der Gedichte von Wil¬ helm Müller (2 Bände, Leipzig. Brockhaus) durchblättert. Einzelne von diesen, namentlich die schöne Müllerin und die Winterreise, sind durch Schubert unsterblich gemacht, an die Griechenlieder heftet sich noch ein anderes Inter¬ esse, aber auch in allen übrigen, selbst den unbedeutenden Liedern spricht sich der echte Dichter und was uns ebenso lieb ist, der deutsche Dichter aus. Noch möge hier die vorläufige Anzeige zweier Werfe einen Platz finden, auf die wir uns vorbehalten, nach ihrer Vollendung näher einzugehn. Goe¬ thes Leben von Heinrich Biehof, 3. Auflage (bis jetzt in Lieferungen. Stuttgart, Becher) und die Geschichte der Architektur von Wilhelm Lübke (Köln, Seemann). Hier machen wir nur darauf aufmerksam, daß Viehofs Schrift durch Lewes keineswegs überflüssig gemacht wird, da sie viel reichhaltigere Notizen und Nachweisungen gibt, und daß Lübke sein für das praktische Bedürfniß mit großem Verstand eingerichtetes ^Handbuch durch zahl¬ reiche Zusätze und namentlich auch durch zahlreiche neue Holzschnitte erwei¬ tert hat. Literatur. Neidhart von Reuenthal, herausgegeben von Moritz Haupt. Leipzig, Hirzel 1858. 8. — Neidhart ist unter den ritterlichen Dichter» im Anfang des 13. Jahrhunderts sowol durch seine eigenthümliche Dichterkraft als durch die Schwie¬ rigkeiten, welche seine Poesie darbietet, merkwürdig. Bis vor wenig Jahren war er das große Räthsel unserer Literaturgeschichten. Seine Person sogar war sagen¬ haft geworden. Als die Gedichte der übrigen Minnesänger, auch die Walthers von der Vogelweide lange vergessen waren, wurde» noch Lieder von Neidhnrt für die Trinkstuben der Zünfte gedruckt und gesungen, und 3W Jahre nach seinem Tode wurden Anekdoten von ihm erzählt, in denen der graziöse Hofmann vom Jahr 1210 als Eulenspiegel erscheint, der die Erdbeeren unter dem Hute seines Fürsten mit etwas Anderem vertauscht. Daß er so lange in der Seele des Volkes haftete und daß sein Bild so wunderlich durch die dert,c Laune späterer Zeiten verzogen wurde, ist an sich auffallend genug. Aber die Gedichte, welche unter seinem Namen uns geblie¬ ben sind, haben noch mehr Befremdliches, Sie unterscheiden sich auffallend von den Poesien andrer Minnesänger, Neben zahlreichen Strophen, in denen nach der conventio- nellen Weise der höfischen Dichter die Ankunft des Frühlings begrüßt, die des Herbstes beklagt und die Sehnsucht nach der Geliebten ausgesprochen ist, stehen in denselben Gedichten andere von durchaus abweichenden Inhalt, Scenen aus dem Leben der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/484>, abgerufen am 29.04.2024.