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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Ulrich von Hütten.

Von David Friedrich Strauß. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus, 1857.

Ueber Hütten Geschriebenes und Gedrucktes hatten wir schon sehr viel:
einen Hütten bisher nicht, weder eine Lebensbeschreibung, die desselben
würdig wäre, noch eine irgend genügende Ausgabe seiner Werke. Und daß
doch Herde Leistungen von unsrer Zeit, will diese sich nicht zu ihrer eignen
Schande verkennen, nicht geweigert werden dürfen, bedarf für den, der ihn
verstünde, des Beweises nicht. Jene erste Schuld unsrer Zeit an Hütten ist
nun abgetragen: wir haben dafür einem Manne zu danken, der sich, seiner
theologischen und kritischen Werte zu geschweige", durch seine Schilderungen
Schubarts, Marklins, Frischlins als klaren Historiker und gründlichen Anthro¬
pologen überhaupt und als fähigsten Erforscher und Darsteller hervorragender
Individualitäten insbesondere bewährt hatte, der aber uns in diesem seinein
neuesten Werke ebensosehr jene früheren übertroffen zu haben scheint, als
uns Huttens'Persönlichkeit selbst als eine eminentere Verkörperung deutscher
Nationalität erscheint, mag sie nun geliebt oder gehaßt werden; denn zum
Verachten bringt es. so oft es versucht wordeu ist, keiner. Das aber bewährt
den Beruf unsres Biographen, daß er ohne die mindeste Verläugnung oder
Verhehlung seiner eigenen scharf ausgeprägten Persönlichkeit in die seines Hel¬
den mit liebenswürdigster Receptivität einzudringen und mit liebevoller Hin¬
gebung darzustellen und zu preisen verstanden hat. Daß er dieses gewollt,
gekonnt und wirklich geleistet hat. davon ist das ganze Werk selbst bleibender
Beweis; als Beweisstelle mag hier der Schluß der Vorrede stehen, wo es von
Hütten heißt: "seine Pfeile sind unsterblich, und wo immer in deutschen Landen
gegen Verfinsterung und Geistesdruck, gegen Pfaffen- und Despotenthum eine
Schlacht gewonnen wird, da ist Huttens Geschoß dabei gewesen." Der Bio¬
graph ist selbst ein Mann, der. wenn er auch nicht vieler Menschen Städte
gesehen, doch trefflich der Menschen Geist sich gemerkt hat, auch im eignen
Gemüth des Leidens vieles erfahren.

Doch ich will ja nicht, was mir etwa leichter würde, einen panegyrischen
Aufsah über den Biographen Strauß, sondern einen berichtenden und. gelingts,
auch berichtigenden über seine Biographie Huttens dem Leser vorlegen. Diese


Grenzdvte" 1. 1858. , 11
Ulrich von Hütten.

Von David Friedrich Strauß. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus, 1857.

Ueber Hütten Geschriebenes und Gedrucktes hatten wir schon sehr viel:
einen Hütten bisher nicht, weder eine Lebensbeschreibung, die desselben
würdig wäre, noch eine irgend genügende Ausgabe seiner Werke. Und daß
doch Herde Leistungen von unsrer Zeit, will diese sich nicht zu ihrer eignen
Schande verkennen, nicht geweigert werden dürfen, bedarf für den, der ihn
verstünde, des Beweises nicht. Jene erste Schuld unsrer Zeit an Hütten ist
nun abgetragen: wir haben dafür einem Manne zu danken, der sich, seiner
theologischen und kritischen Werte zu geschweige», durch seine Schilderungen
Schubarts, Marklins, Frischlins als klaren Historiker und gründlichen Anthro¬
pologen überhaupt und als fähigsten Erforscher und Darsteller hervorragender
Individualitäten insbesondere bewährt hatte, der aber uns in diesem seinein
neuesten Werke ebensosehr jene früheren übertroffen zu haben scheint, als
uns Huttens'Persönlichkeit selbst als eine eminentere Verkörperung deutscher
Nationalität erscheint, mag sie nun geliebt oder gehaßt werden; denn zum
Verachten bringt es. so oft es versucht wordeu ist, keiner. Das aber bewährt
den Beruf unsres Biographen, daß er ohne die mindeste Verläugnung oder
Verhehlung seiner eigenen scharf ausgeprägten Persönlichkeit in die seines Hel¬
den mit liebenswürdigster Receptivität einzudringen und mit liebevoller Hin¬
gebung darzustellen und zu preisen verstanden hat. Daß er dieses gewollt,
gekonnt und wirklich geleistet hat. davon ist das ganze Werk selbst bleibender
Beweis; als Beweisstelle mag hier der Schluß der Vorrede stehen, wo es von
Hütten heißt: „seine Pfeile sind unsterblich, und wo immer in deutschen Landen
gegen Verfinsterung und Geistesdruck, gegen Pfaffen- und Despotenthum eine
Schlacht gewonnen wird, da ist Huttens Geschoß dabei gewesen." Der Bio¬
graph ist selbst ein Mann, der. wenn er auch nicht vieler Menschen Städte
gesehen, doch trefflich der Menschen Geist sich gemerkt hat, auch im eignen
Gemüth des Leidens vieles erfahren.

Doch ich will ja nicht, was mir etwa leichter würde, einen panegyrischen
Aufsah über den Biographen Strauß, sondern einen berichtenden und. gelingts,
auch berichtigenden über seine Biographie Huttens dem Leser vorlegen. Diese


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[0089] Ulrich von Hütten. Von David Friedrich Strauß. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus, 1857. Ueber Hütten Geschriebenes und Gedrucktes hatten wir schon sehr viel: einen Hütten bisher nicht, weder eine Lebensbeschreibung, die desselben würdig wäre, noch eine irgend genügende Ausgabe seiner Werke. Und daß doch Herde Leistungen von unsrer Zeit, will diese sich nicht zu ihrer eignen Schande verkennen, nicht geweigert werden dürfen, bedarf für den, der ihn verstünde, des Beweises nicht. Jene erste Schuld unsrer Zeit an Hütten ist nun abgetragen: wir haben dafür einem Manne zu danken, der sich, seiner theologischen und kritischen Werte zu geschweige», durch seine Schilderungen Schubarts, Marklins, Frischlins als klaren Historiker und gründlichen Anthro¬ pologen überhaupt und als fähigsten Erforscher und Darsteller hervorragender Individualitäten insbesondere bewährt hatte, der aber uns in diesem seinein neuesten Werke ebensosehr jene früheren übertroffen zu haben scheint, als uns Huttens'Persönlichkeit selbst als eine eminentere Verkörperung deutscher Nationalität erscheint, mag sie nun geliebt oder gehaßt werden; denn zum Verachten bringt es. so oft es versucht wordeu ist, keiner. Das aber bewährt den Beruf unsres Biographen, daß er ohne die mindeste Verläugnung oder Verhehlung seiner eigenen scharf ausgeprägten Persönlichkeit in die seines Hel¬ den mit liebenswürdigster Receptivität einzudringen und mit liebevoller Hin¬ gebung darzustellen und zu preisen verstanden hat. Daß er dieses gewollt, gekonnt und wirklich geleistet hat. davon ist das ganze Werk selbst bleibender Beweis; als Beweisstelle mag hier der Schluß der Vorrede stehen, wo es von Hütten heißt: „seine Pfeile sind unsterblich, und wo immer in deutschen Landen gegen Verfinsterung und Geistesdruck, gegen Pfaffen- und Despotenthum eine Schlacht gewonnen wird, da ist Huttens Geschoß dabei gewesen." Der Bio¬ graph ist selbst ein Mann, der. wenn er auch nicht vieler Menschen Städte gesehen, doch trefflich der Menschen Geist sich gemerkt hat, auch im eignen Gemüth des Leidens vieles erfahren. Doch ich will ja nicht, was mir etwa leichter würde, einen panegyrischen Aufsah über den Biographen Strauß, sondern einen berichtenden und. gelingts, auch berichtigenden über seine Biographie Huttens dem Leser vorlegen. Diese Grenzdvte» 1. 1858. , 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/89>, abgerufen am 28.04.2024.