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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Bilder aus Griechenland.
2.
Die Fahrt nach dem Piräus. -- Der erste Abend in Athen.

Wenn in Romanen oft seltsame Dinge geschehen, so hat das Leben bis¬
weilen noch seltsamere aufzuweisen. Bedurfte es dafür noch der Beispiele, so
könnte die Art. wie ich zu einem Reisegefährten nach Griechenland kam, dazu
dienen. In Dresden hatte mich der Zufall in Gestalt eines Eisenbahnschaff¬
ners einem Herrn und einer Dame gegenübergesetzt, aus die ich dadurch, daß
sie sich, obwol augenscheinlich Deutsche, italienisch unterhielten, aufmerksamer
wurde, als dies sonst der Fall gewesen sein würde. Daß sie wirklich Deutsche
Waren, zeigte sich bald. Die Dame fragte nach dem Städtchen, das kurz
vor den Steinbrüchen unter der Bastei mit seinem weißen blechgedeckten Kirch-
thurm sich in der Elbe spiegelt, und ich nannte ihr den Namen Wehten; der
Herr hielt den Lilienstein für den Pfaffenstein, und ich nahm mir die Freiheit,
ihn eines Bessern zu belehren. Im Uebrigen fanden wir keine Ursache, uns
jener edlen Zugeknöpftheit zu entäußern, die es in Norddeutschland nicht leich
zu Eisenbahnbekanntschaften kommen läßt, und am wenigsten hätte meine
Philosophie sich träumen lassen, daß mein vis a vis mit nach Athen zu fahren
und die Mühen und Genüsse eines Rittes durch den Peloponnes mit mir zu
theilen bestimmt sei.

Und doch wollte es mein und sein Stern so. Schon hatte ich beim
Wagenwechsel in Bodenbach mein Handgepäck in einem andern Coup6 unter¬
gebracht, als der blonde Italiener und seine Begleiterin, und beide waren
über Gedanken an die Weiterreise und ihr Ziel schon halb vergessen, als
jener, augenscheinlich blos, um sich die Zeit während der Untersuchung der
Koffer zu vertreiben, von neuem ein Gespräch anknüpfte.

"Werden Sie noch weit reisen?" fragte er. -- "Je nun, ich denke ziem¬
lich weit, nach Griechenland," antwortete ich. -- "Beneidenswerthe Tour! Sie
waren schon im Orient?" -- "Ich war vergangenes Jahr in Aegypten." --
"Darf man fragen, ob in Geschäften?" -- "Wenn Sie wollen, ja; ich hatte
ein Buch vor." -- "Ah in der That! Da hat (hier nannte der Blonde meinen
Namen) uns neulich in den Grenzboten Verschiedenes vom Nil erzählt. Haben
Sie es vielleicht gelesen? -- "Gelesen und auch geschrieben." sagte ich lachend
und gab ihm meinen Namen. -- "Nun, das ist wirklich ein eignes Zusammen¬
treffen. Und ich heiße" -- hier überraschte er mich zum Entgeld mit der
Adresse eines geschätzten, aber mir bis dahin persönlich unbekannten Mitar-


Grenzbotm III. 18S8. 29
Bilder aus Griechenland.
2.
Die Fahrt nach dem Piräus. — Der erste Abend in Athen.

Wenn in Romanen oft seltsame Dinge geschehen, so hat das Leben bis¬
weilen noch seltsamere aufzuweisen. Bedurfte es dafür noch der Beispiele, so
könnte die Art. wie ich zu einem Reisegefährten nach Griechenland kam, dazu
dienen. In Dresden hatte mich der Zufall in Gestalt eines Eisenbahnschaff¬
ners einem Herrn und einer Dame gegenübergesetzt, aus die ich dadurch, daß
sie sich, obwol augenscheinlich Deutsche, italienisch unterhielten, aufmerksamer
wurde, als dies sonst der Fall gewesen sein würde. Daß sie wirklich Deutsche
Waren, zeigte sich bald. Die Dame fragte nach dem Städtchen, das kurz
vor den Steinbrüchen unter der Bastei mit seinem weißen blechgedeckten Kirch-
thurm sich in der Elbe spiegelt, und ich nannte ihr den Namen Wehten; der
Herr hielt den Lilienstein für den Pfaffenstein, und ich nahm mir die Freiheit,
ihn eines Bessern zu belehren. Im Uebrigen fanden wir keine Ursache, uns
jener edlen Zugeknöpftheit zu entäußern, die es in Norddeutschland nicht leich
zu Eisenbahnbekanntschaften kommen läßt, und am wenigsten hätte meine
Philosophie sich träumen lassen, daß mein vis a vis mit nach Athen zu fahren
und die Mühen und Genüsse eines Rittes durch den Peloponnes mit mir zu
theilen bestimmt sei.

Und doch wollte es mein und sein Stern so. Schon hatte ich beim
Wagenwechsel in Bodenbach mein Handgepäck in einem andern Coup6 unter¬
gebracht, als der blonde Italiener und seine Begleiterin, und beide waren
über Gedanken an die Weiterreise und ihr Ziel schon halb vergessen, als
jener, augenscheinlich blos, um sich die Zeit während der Untersuchung der
Koffer zu vertreiben, von neuem ein Gespräch anknüpfte.

„Werden Sie noch weit reisen?" fragte er. — „Je nun, ich denke ziem¬
lich weit, nach Griechenland," antwortete ich. — „Beneidenswerthe Tour! Sie
waren schon im Orient?" — „Ich war vergangenes Jahr in Aegypten." —
„Darf man fragen, ob in Geschäften?" — „Wenn Sie wollen, ja; ich hatte
ein Buch vor." — „Ah in der That! Da hat (hier nannte der Blonde meinen
Namen) uns neulich in den Grenzboten Verschiedenes vom Nil erzählt. Haben
Sie es vielleicht gelesen? — „Gelesen und auch geschrieben." sagte ich lachend
und gab ihm meinen Namen. — „Nun, das ist wirklich ein eignes Zusammen¬
treffen. Und ich heiße" — hier überraschte er mich zum Entgeld mit der
Adresse eines geschätzten, aber mir bis dahin persönlich unbekannten Mitar-


Grenzbotm III. 18S8. 29
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[0233] Bilder aus Griechenland. 2. Die Fahrt nach dem Piräus. — Der erste Abend in Athen. Wenn in Romanen oft seltsame Dinge geschehen, so hat das Leben bis¬ weilen noch seltsamere aufzuweisen. Bedurfte es dafür noch der Beispiele, so könnte die Art. wie ich zu einem Reisegefährten nach Griechenland kam, dazu dienen. In Dresden hatte mich der Zufall in Gestalt eines Eisenbahnschaff¬ ners einem Herrn und einer Dame gegenübergesetzt, aus die ich dadurch, daß sie sich, obwol augenscheinlich Deutsche, italienisch unterhielten, aufmerksamer wurde, als dies sonst der Fall gewesen sein würde. Daß sie wirklich Deutsche Waren, zeigte sich bald. Die Dame fragte nach dem Städtchen, das kurz vor den Steinbrüchen unter der Bastei mit seinem weißen blechgedeckten Kirch- thurm sich in der Elbe spiegelt, und ich nannte ihr den Namen Wehten; der Herr hielt den Lilienstein für den Pfaffenstein, und ich nahm mir die Freiheit, ihn eines Bessern zu belehren. Im Uebrigen fanden wir keine Ursache, uns jener edlen Zugeknöpftheit zu entäußern, die es in Norddeutschland nicht leich zu Eisenbahnbekanntschaften kommen läßt, und am wenigsten hätte meine Philosophie sich träumen lassen, daß mein vis a vis mit nach Athen zu fahren und die Mühen und Genüsse eines Rittes durch den Peloponnes mit mir zu theilen bestimmt sei. Und doch wollte es mein und sein Stern so. Schon hatte ich beim Wagenwechsel in Bodenbach mein Handgepäck in einem andern Coup6 unter¬ gebracht, als der blonde Italiener und seine Begleiterin, und beide waren über Gedanken an die Weiterreise und ihr Ziel schon halb vergessen, als jener, augenscheinlich blos, um sich die Zeit während der Untersuchung der Koffer zu vertreiben, von neuem ein Gespräch anknüpfte. „Werden Sie noch weit reisen?" fragte er. — „Je nun, ich denke ziem¬ lich weit, nach Griechenland," antwortete ich. — „Beneidenswerthe Tour! Sie waren schon im Orient?" — „Ich war vergangenes Jahr in Aegypten." — „Darf man fragen, ob in Geschäften?" — „Wenn Sie wollen, ja; ich hatte ein Buch vor." — „Ah in der That! Da hat (hier nannte der Blonde meinen Namen) uns neulich in den Grenzboten Verschiedenes vom Nil erzählt. Haben Sie es vielleicht gelesen? — „Gelesen und auch geschrieben." sagte ich lachend und gab ihm meinen Namen. — „Nun, das ist wirklich ein eignes Zusammen¬ treffen. Und ich heiße" — hier überraschte er mich zum Entgeld mit der Adresse eines geschätzten, aber mir bis dahin persönlich unbekannten Mitar- Grenzbotm III. 18S8. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/233>, abgerufen am 06.05.2024.