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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Friedrich Creuzer.

Aus dem Leben eines alten Professors. Von Dr. F. Creuzer in Heidelberg. Mit
literarischen Beilagen und dem Porträt des Verfassers. Leipzig, Leske. 1848. --

Der am le. Febr. d. I. in Heidelberg verstorbene berühmte Symboliker
hat in der Geschichte unserer Literatur eine zu ansehnliche Rolle gespielt, als
daß wir nicht jede authentische Notiz über seine innere Entwicklungsgeschichte
sorgfältig aufheben sollten. Leider gibt die obige Selbstbiographie im Ganzen
wenig Ausbeute. Sie war zuerst in den "Zeitgenossen" 1822 abgedruckt,
dann 1844 von Dittenberger neu herausgegeben: die Ausgabe von 1848
besorgte Creuzer selbst. Aber was er neu hinzugethan, ist nicht von Erheblich¬
keit; der alte Herr hat die vielen Freundschaftsbezeugungen, die ihm zu Theil
wurden, sorgfältig aufgezeichnet; über sein inneres Leben erhält man wenig
Aufschluß, und selbst die Bestimmtheit der äußern Data läßt viel zu wünschen
übrig.

Friedrich Creuzer wurde am 10. März 1771 zu Marburg geboren. Bald
darauf starb sein Vater, der erst Buchbinder, dann Steuereinnehmer gewesen
war. Im Uebrigen gehörte die Familie meist zum geistlichen Stande und
auch den Knaben hatte man dazu bestimmt. Wie er erzählt, interessirte ihn
aber hauptsächlich der katholische Gottesdienst in der schönen Se. Elisabeth¬
kirche: "auf solchem Boden konnte der mir angeborene mystische Keim nicht
anders als fröhlich gedeihen, und wer weiß, ob nicht jetzt schon das Luther-
thum, worin ich geboren, einen kleinen Stoß erlitt." Sein Vater, ein religiöser
Mann, hatte ihm alte kirchliche Kernlieder in Abschrift hinterlassen, die ihm
schon damals weit besser gefielen als die üblichen Gellertschen. "Sehr zu¬
wider waren mir gewisse geistliche Gespräche, die ich zuweilen mit anhörte,
wenn einige fromme Frauen bei meiner Mutter waren. Dann wurden auch
wol das Paradiesgärtlein und ähnliche Bücher im Kreise herumgereicht und
mit einer Stecknadel im Schnitte geöffnet, um in Bibelsprüchen und andern
Sentenzen ",ä axerwram Winke und Weisungen für die individuellen Seelen¬
zustände zu gewähren. Die Barometerscala der dabei gepredigten Bußtheorien


Grenzboten III. 1853. 31
Friedrich Creuzer.

Aus dem Leben eines alten Professors. Von Dr. F. Creuzer in Heidelberg. Mit
literarischen Beilagen und dem Porträt des Verfassers. Leipzig, Leske. 1848. —

Der am le. Febr. d. I. in Heidelberg verstorbene berühmte Symboliker
hat in der Geschichte unserer Literatur eine zu ansehnliche Rolle gespielt, als
daß wir nicht jede authentische Notiz über seine innere Entwicklungsgeschichte
sorgfältig aufheben sollten. Leider gibt die obige Selbstbiographie im Ganzen
wenig Ausbeute. Sie war zuerst in den „Zeitgenossen" 1822 abgedruckt,
dann 1844 von Dittenberger neu herausgegeben: die Ausgabe von 1848
besorgte Creuzer selbst. Aber was er neu hinzugethan, ist nicht von Erheblich¬
keit; der alte Herr hat die vielen Freundschaftsbezeugungen, die ihm zu Theil
wurden, sorgfältig aufgezeichnet; über sein inneres Leben erhält man wenig
Aufschluß, und selbst die Bestimmtheit der äußern Data läßt viel zu wünschen
übrig.

Friedrich Creuzer wurde am 10. März 1771 zu Marburg geboren. Bald
darauf starb sein Vater, der erst Buchbinder, dann Steuereinnehmer gewesen
war. Im Uebrigen gehörte die Familie meist zum geistlichen Stande und
auch den Knaben hatte man dazu bestimmt. Wie er erzählt, interessirte ihn
aber hauptsächlich der katholische Gottesdienst in der schönen Se. Elisabeth¬
kirche: „auf solchem Boden konnte der mir angeborene mystische Keim nicht
anders als fröhlich gedeihen, und wer weiß, ob nicht jetzt schon das Luther-
thum, worin ich geboren, einen kleinen Stoß erlitt." Sein Vater, ein religiöser
Mann, hatte ihm alte kirchliche Kernlieder in Abschrift hinterlassen, die ihm
schon damals weit besser gefielen als die üblichen Gellertschen. „Sehr zu¬
wider waren mir gewisse geistliche Gespräche, die ich zuweilen mit anhörte,
wenn einige fromme Frauen bei meiner Mutter waren. Dann wurden auch
wol das Paradiesgärtlein und ähnliche Bücher im Kreise herumgereicht und
mit einer Stecknadel im Schnitte geöffnet, um in Bibelsprüchen und andern
Sentenzen «,ä axerwram Winke und Weisungen für die individuellen Seelen¬
zustände zu gewähren. Die Barometerscala der dabei gepredigten Bußtheorien


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[0249] Friedrich Creuzer. Aus dem Leben eines alten Professors. Von Dr. F. Creuzer in Heidelberg. Mit literarischen Beilagen und dem Porträt des Verfassers. Leipzig, Leske. 1848. — Der am le. Febr. d. I. in Heidelberg verstorbene berühmte Symboliker hat in der Geschichte unserer Literatur eine zu ansehnliche Rolle gespielt, als daß wir nicht jede authentische Notiz über seine innere Entwicklungsgeschichte sorgfältig aufheben sollten. Leider gibt die obige Selbstbiographie im Ganzen wenig Ausbeute. Sie war zuerst in den „Zeitgenossen" 1822 abgedruckt, dann 1844 von Dittenberger neu herausgegeben: die Ausgabe von 1848 besorgte Creuzer selbst. Aber was er neu hinzugethan, ist nicht von Erheblich¬ keit; der alte Herr hat die vielen Freundschaftsbezeugungen, die ihm zu Theil wurden, sorgfältig aufgezeichnet; über sein inneres Leben erhält man wenig Aufschluß, und selbst die Bestimmtheit der äußern Data läßt viel zu wünschen übrig. Friedrich Creuzer wurde am 10. März 1771 zu Marburg geboren. Bald darauf starb sein Vater, der erst Buchbinder, dann Steuereinnehmer gewesen war. Im Uebrigen gehörte die Familie meist zum geistlichen Stande und auch den Knaben hatte man dazu bestimmt. Wie er erzählt, interessirte ihn aber hauptsächlich der katholische Gottesdienst in der schönen Se. Elisabeth¬ kirche: „auf solchem Boden konnte der mir angeborene mystische Keim nicht anders als fröhlich gedeihen, und wer weiß, ob nicht jetzt schon das Luther- thum, worin ich geboren, einen kleinen Stoß erlitt." Sein Vater, ein religiöser Mann, hatte ihm alte kirchliche Kernlieder in Abschrift hinterlassen, die ihm schon damals weit besser gefielen als die üblichen Gellertschen. „Sehr zu¬ wider waren mir gewisse geistliche Gespräche, die ich zuweilen mit anhörte, wenn einige fromme Frauen bei meiner Mutter waren. Dann wurden auch wol das Paradiesgärtlein und ähnliche Bücher im Kreise herumgereicht und mit einer Stecknadel im Schnitte geöffnet, um in Bibelsprüchen und andern Sentenzen «,ä axerwram Winke und Weisungen für die individuellen Seelen¬ zustände zu gewähren. Die Barometerscala der dabei gepredigten Bußtheorien Grenzboten III. 1853. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/249>, abgerufen am 05.05.2024.