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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Die Karlsschnle und ihr Intendant von Seeger.

Geschichte der Hohen Karlsschule, von H. Wagner, Kanzlcirath u, s. w. Mit
Illustrationen von C. A. von Heideloff. Würzburg, 1857. --

So heißt der Titel eines Buchs, dessen letzte Bogen zu Ende des ver¬
gangnen Jahres ausgegeben wurden. Gewiß hat man es in manchen Kreisen
freudig begrüßt. Eine Geschichte der Karlsschule war, schon weil sie Schiller
erzogen, Bedürfniß, und Herr Wagner war nicht nur durch seine Stellung als
Vorstand des königlichen Archivs des Innern der rechte Mann zur Ausfüllung
der literarischen Lücke, sondern er hatte sich auch mit einer namhaften Zahl
von Karlsschülern in persönliche Verbindung gesetzt. Das Buch enthält
über 1100 Seiten. Dem ersten Bande (Annalen der H. K. sah.; Regierung
der Anstalt; Nationalverzeichniß der Zöglinge) sind 52 Beilagen angefügt; dem
Zweiten Bande, der die Geschichte der Schule erzählt, 29 Beilagen, zum Theil
neue, sehr interessante Fundgruben zur Beurtheilung des Charakters der be¬
rühmten Anstalt. Dem reiht sich eine Masse von einzelnen Citaten aus
herzoglichen Ordres, Tagesbefehlen des Intendanten :c. an, ein Reichthum an
Material, für dessen Herbeischaffung Herrn Wagner unser aufrichtiger Dank
gebührt.

Nicht dasselbe Lob läßt sich der Form ertheilen, in welche dieser Stoff
gebracht ist. Der Verfasser des Buchs scheint keinen Begriff von Komposition
in der Geschichtschreibung zu haben. Er erzählt uns das Letzte zuerst und das
Erste zuletzt, verweist unaufhörlich auf das, was noch kommen soll und peinigt
uns dadurch mit der Empfindung der Unsicherheit und Ungeordncthcit, so daß
wir floh sind, wenn wir über die Beschreibung endlich zu den Beilagen mit
ihrer Objectivität kommen. Wie oft haben wir die Geschichte vom Rock- und
Handküssen, von der Unsterblichkeit Herzog Karls, von der erträumten Voll¬
kommenheit der Akademie, von dem "philosophischen" Herzog Ludwig zu hören,
bis wir endlich Thatsachen erfahren, auf die sich das alles gründet. Auch an
stilistischen Wunderlichkeiten fehlt es nicht. Man höre, wie es wörtlich Seite 73
heißt: "Und wahrlich! der Oberthürhüter im Himmel und auf Erden, Janus,


Grenzboten III. 1356. 41
Die Karlsschnle und ihr Intendant von Seeger.

Geschichte der Hohen Karlsschule, von H. Wagner, Kanzlcirath u, s. w. Mit
Illustrationen von C. A. von Heideloff. Würzburg, 1857. —

So heißt der Titel eines Buchs, dessen letzte Bogen zu Ende des ver¬
gangnen Jahres ausgegeben wurden. Gewiß hat man es in manchen Kreisen
freudig begrüßt. Eine Geschichte der Karlsschule war, schon weil sie Schiller
erzogen, Bedürfniß, und Herr Wagner war nicht nur durch seine Stellung als
Vorstand des königlichen Archivs des Innern der rechte Mann zur Ausfüllung
der literarischen Lücke, sondern er hatte sich auch mit einer namhaften Zahl
von Karlsschülern in persönliche Verbindung gesetzt. Das Buch enthält
über 1100 Seiten. Dem ersten Bande (Annalen der H. K. sah.; Regierung
der Anstalt; Nationalverzeichniß der Zöglinge) sind 52 Beilagen angefügt; dem
Zweiten Bande, der die Geschichte der Schule erzählt, 29 Beilagen, zum Theil
neue, sehr interessante Fundgruben zur Beurtheilung des Charakters der be¬
rühmten Anstalt. Dem reiht sich eine Masse von einzelnen Citaten aus
herzoglichen Ordres, Tagesbefehlen des Intendanten :c. an, ein Reichthum an
Material, für dessen Herbeischaffung Herrn Wagner unser aufrichtiger Dank
gebührt.

Nicht dasselbe Lob läßt sich der Form ertheilen, in welche dieser Stoff
gebracht ist. Der Verfasser des Buchs scheint keinen Begriff von Komposition
in der Geschichtschreibung zu haben. Er erzählt uns das Letzte zuerst und das
Erste zuletzt, verweist unaufhörlich auf das, was noch kommen soll und peinigt
uns dadurch mit der Empfindung der Unsicherheit und Ungeordncthcit, so daß
wir floh sind, wenn wir über die Beschreibung endlich zu den Beilagen mit
ihrer Objectivität kommen. Wie oft haben wir die Geschichte vom Rock- und
Handküssen, von der Unsterblichkeit Herzog Karls, von der erträumten Voll¬
kommenheit der Akademie, von dem „philosophischen" Herzog Ludwig zu hören,
bis wir endlich Thatsachen erfahren, auf die sich das alles gründet. Auch an
stilistischen Wunderlichkeiten fehlt es nicht. Man höre, wie es wörtlich Seite 73
heißt: „Und wahrlich! der Oberthürhüter im Himmel und auf Erden, Janus,


Grenzboten III. 1356. 41
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[0329] Die Karlsschnle und ihr Intendant von Seeger. Geschichte der Hohen Karlsschule, von H. Wagner, Kanzlcirath u, s. w. Mit Illustrationen von C. A. von Heideloff. Würzburg, 1857. — So heißt der Titel eines Buchs, dessen letzte Bogen zu Ende des ver¬ gangnen Jahres ausgegeben wurden. Gewiß hat man es in manchen Kreisen freudig begrüßt. Eine Geschichte der Karlsschule war, schon weil sie Schiller erzogen, Bedürfniß, und Herr Wagner war nicht nur durch seine Stellung als Vorstand des königlichen Archivs des Innern der rechte Mann zur Ausfüllung der literarischen Lücke, sondern er hatte sich auch mit einer namhaften Zahl von Karlsschülern in persönliche Verbindung gesetzt. Das Buch enthält über 1100 Seiten. Dem ersten Bande (Annalen der H. K. sah.; Regierung der Anstalt; Nationalverzeichniß der Zöglinge) sind 52 Beilagen angefügt; dem Zweiten Bande, der die Geschichte der Schule erzählt, 29 Beilagen, zum Theil neue, sehr interessante Fundgruben zur Beurtheilung des Charakters der be¬ rühmten Anstalt. Dem reiht sich eine Masse von einzelnen Citaten aus herzoglichen Ordres, Tagesbefehlen des Intendanten :c. an, ein Reichthum an Material, für dessen Herbeischaffung Herrn Wagner unser aufrichtiger Dank gebührt. Nicht dasselbe Lob läßt sich der Form ertheilen, in welche dieser Stoff gebracht ist. Der Verfasser des Buchs scheint keinen Begriff von Komposition in der Geschichtschreibung zu haben. Er erzählt uns das Letzte zuerst und das Erste zuletzt, verweist unaufhörlich auf das, was noch kommen soll und peinigt uns dadurch mit der Empfindung der Unsicherheit und Ungeordncthcit, so daß wir floh sind, wenn wir über die Beschreibung endlich zu den Beilagen mit ihrer Objectivität kommen. Wie oft haben wir die Geschichte vom Rock- und Handküssen, von der Unsterblichkeit Herzog Karls, von der erträumten Voll¬ kommenheit der Akademie, von dem „philosophischen" Herzog Ludwig zu hören, bis wir endlich Thatsachen erfahren, auf die sich das alles gründet. Auch an stilistischen Wunderlichkeiten fehlt es nicht. Man höre, wie es wörtlich Seite 73 heißt: „Und wahrlich! der Oberthürhüter im Himmel und auf Erden, Janus, Grenzboten III. 1356. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/329>, abgerufen am 05.05.2024.