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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Schließen können wir indeß nicht, ohne noch einmal Männer der deutschen
Theorie und der deutschen Praxis aus die von uns oben geschilderten all¬
gemeinen Grundlagen des englischen Criminalverfahrens auftnerksam zu machen;
sie sind nicht, wie die französische Jury und das vor und in Verbindung mit
derselben geltende Herfahren das Erzeugnis; einer Abstraction und einer auf
ihre Rechte stets eifersüchtigen Staatsregierung, sondern die Frucht Jahrhunderte
langer Kämpfe und bitterer Erfahrungen erlittenen Unrechts. Aber was noch
mehr ist, sie entsprechen durch Raschheit, Sicherheit, innere Zweckmäßigkeit
und vor allein durch den Schuh der Person des noch nicht verurtheilten An¬
geklagten Anforderungen an eine gute Uebung der Justiz, die auch dem deut¬
schen Staatsleben namentlich bei sogenannten Staatsverbrechen immer noch
fremd genug siud. Der Ausgang des Bernardschen Processes allerdings wird
sür manche Theoretiker und für noch mehr Minister das englische Verfahren
nicht grade sehr empfehlenswert!) erscheinen lassen; es ist dies aber ihre eigne
Kurzsichtigkeit, wenn sie vorübergehende Zweckmäßigkeiten hoher stellen, als
dauernde Errungenschaften des Staatslebens. Leider haben die letzten zehn
Jahre auf dem Continent vielfach die Mißgeburt eines nach politischen oder
andern Zwecken absichtlich gemodelten Rechtsvrcchens hervorgerufen -- erst
G. Cil. die Folgezeit wird lehren, was man damit angerichtet hat!




Jchmmes wu Mütter und seine Zeit.
4.

Kaum war Müller in Kassel warm geworden, so fiel ihm ein, daß die
genfer Freunde sehnsüchtig auf ihn, warteten. Schliessen verschaffte ihm
20. Nov. >782 eine Zulage von 100 Thlr., den Nathstitel und eine Biblio-
thekarstelle, der Verpflichtung Eollegien zu lesen wurde er enthoben; aber
als Jan. 1783 ein Brief von Tronchin ankam, gerieth er wieder ins Schwan¬
ken; er nahm Urlaub und eilte April 1783 nach einem kurzen Besuch bei
Bonstetten und seiner Mutter zu Tronchin. Hier ließ er sich -- er war be¬
reits 31 Jahr eilt -- von dem alten Mann zu einem Bertrage verleiten, der
ihn noch als ein reines Kind darstellt. Tronchin, schreibt er an seine Mutter
>8. Juni, hat mir vorgeschlagen, die letzten Jahre seines Lebens bei ihm zu
sein. Hierfür soll ich von jetzt in 0 Jahren oder bei seinem Tod, wenn er
früher stirbt (er ist aber 73 Jahre alt), el" jährliches Einkommen von 800


Schließen können wir indeß nicht, ohne noch einmal Männer der deutschen
Theorie und der deutschen Praxis aus die von uns oben geschilderten all¬
gemeinen Grundlagen des englischen Criminalverfahrens auftnerksam zu machen;
sie sind nicht, wie die französische Jury und das vor und in Verbindung mit
derselben geltende Herfahren das Erzeugnis; einer Abstraction und einer auf
ihre Rechte stets eifersüchtigen Staatsregierung, sondern die Frucht Jahrhunderte
langer Kämpfe und bitterer Erfahrungen erlittenen Unrechts. Aber was noch
mehr ist, sie entsprechen durch Raschheit, Sicherheit, innere Zweckmäßigkeit
und vor allein durch den Schuh der Person des noch nicht verurtheilten An¬
geklagten Anforderungen an eine gute Uebung der Justiz, die auch dem deut¬
schen Staatsleben namentlich bei sogenannten Staatsverbrechen immer noch
fremd genug siud. Der Ausgang des Bernardschen Processes allerdings wird
sür manche Theoretiker und für noch mehr Minister das englische Verfahren
nicht grade sehr empfehlenswert!) erscheinen lassen; es ist dies aber ihre eigne
Kurzsichtigkeit, wenn sie vorübergehende Zweckmäßigkeiten hoher stellen, als
dauernde Errungenschaften des Staatslebens. Leider haben die letzten zehn
Jahre auf dem Continent vielfach die Mißgeburt eines nach politischen oder
andern Zwecken absichtlich gemodelten Rechtsvrcchens hervorgerufen — erst
G. Cil. die Folgezeit wird lehren, was man damit angerichtet hat!




Jchmmes wu Mütter und seine Zeit.
4.

Kaum war Müller in Kassel warm geworden, so fiel ihm ein, daß die
genfer Freunde sehnsüchtig auf ihn, warteten. Schliessen verschaffte ihm
20. Nov. >782 eine Zulage von 100 Thlr., den Nathstitel und eine Biblio-
thekarstelle, der Verpflichtung Eollegien zu lesen wurde er enthoben; aber
als Jan. 1783 ein Brief von Tronchin ankam, gerieth er wieder ins Schwan¬
ken; er nahm Urlaub und eilte April 1783 nach einem kurzen Besuch bei
Bonstetten und seiner Mutter zu Tronchin. Hier ließ er sich — er war be¬
reits 31 Jahr eilt — von dem alten Mann zu einem Bertrage verleiten, der
ihn noch als ein reines Kind darstellt. Tronchin, schreibt er an seine Mutter
>8. Juni, hat mir vorgeschlagen, die letzten Jahre seines Lebens bei ihm zu
sein. Hierfür soll ich von jetzt in 0 Jahren oder bei seinem Tod, wenn er
früher stirbt (er ist aber 73 Jahre alt), el» jährliches Einkommen von 800


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[0224] Schließen können wir indeß nicht, ohne noch einmal Männer der deutschen Theorie und der deutschen Praxis aus die von uns oben geschilderten all¬ gemeinen Grundlagen des englischen Criminalverfahrens auftnerksam zu machen; sie sind nicht, wie die französische Jury und das vor und in Verbindung mit derselben geltende Herfahren das Erzeugnis; einer Abstraction und einer auf ihre Rechte stets eifersüchtigen Staatsregierung, sondern die Frucht Jahrhunderte langer Kämpfe und bitterer Erfahrungen erlittenen Unrechts. Aber was noch mehr ist, sie entsprechen durch Raschheit, Sicherheit, innere Zweckmäßigkeit und vor allein durch den Schuh der Person des noch nicht verurtheilten An¬ geklagten Anforderungen an eine gute Uebung der Justiz, die auch dem deut¬ schen Staatsleben namentlich bei sogenannten Staatsverbrechen immer noch fremd genug siud. Der Ausgang des Bernardschen Processes allerdings wird sür manche Theoretiker und für noch mehr Minister das englische Verfahren nicht grade sehr empfehlenswert!) erscheinen lassen; es ist dies aber ihre eigne Kurzsichtigkeit, wenn sie vorübergehende Zweckmäßigkeiten hoher stellen, als dauernde Errungenschaften des Staatslebens. Leider haben die letzten zehn Jahre auf dem Continent vielfach die Mißgeburt eines nach politischen oder andern Zwecken absichtlich gemodelten Rechtsvrcchens hervorgerufen — erst G. Cil. die Folgezeit wird lehren, was man damit angerichtet hat! Jchmmes wu Mütter und seine Zeit. 4. Kaum war Müller in Kassel warm geworden, so fiel ihm ein, daß die genfer Freunde sehnsüchtig auf ihn, warteten. Schliessen verschaffte ihm 20. Nov. >782 eine Zulage von 100 Thlr., den Nathstitel und eine Biblio- thekarstelle, der Verpflichtung Eollegien zu lesen wurde er enthoben; aber als Jan. 1783 ein Brief von Tronchin ankam, gerieth er wieder ins Schwan¬ ken; er nahm Urlaub und eilte April 1783 nach einem kurzen Besuch bei Bonstetten und seiner Mutter zu Tronchin. Hier ließ er sich — er war be¬ reits 31 Jahr eilt — von dem alten Mann zu einem Bertrage verleiten, der ihn noch als ein reines Kind darstellt. Tronchin, schreibt er an seine Mutter >8. Juni, hat mir vorgeschlagen, die letzten Jahre seines Lebens bei ihm zu sein. Hierfür soll ich von jetzt in 0 Jahren oder bei seinem Tod, wenn er früher stirbt (er ist aber 73 Jahre alt), el» jährliches Einkommen von 800

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/224>, abgerufen am 03.05.2024.