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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Schneider, vom bloßen Geldverdienst absehend, mit schöner Beharrlichkeit dem Ziele
nachstrebten, ein wirkliches Kunstwerk zu schaffen. Daß ihnen dies bis zu einem
gewissen Grade gelungen ist, leidet keinen Zweifel; jedenfalls ist die Federzeichnung,
nach welcher der Holzschneider gearbeitet bat, in allen Stücken getreu und correct,
wird möchten sagen zu correct und getreu, wiedergegeben.

Das Werk stellt eine Felsschlucht dar, in welcher eine Löwin ihren vor ihr
hingestreckten, von einem Wurfspieß durchbohrten Gemahl betrauert, während oben
durch eine Oeffnung in der Steinwand Beduinenjäger sichtbar werden, die auch ihr
Leben zu bedrohen scheinen. Die Gruppirung dieser Figuren ist gut, die Bewegung
der Löwin ist -- in der Conception -- ebenfalls angemessen. Die Jäger hätten
füglich wegbleiben können, da sie, wofern sie den auch der Löwin drohenden Tod
andeuten sollen, die eigentliche Wirkung des Bildes der trauernden Löwin stören;
sollen sie aber sagen, daß der Löwe durch Jäger umgekommen ist, so sind sie über¬
flüssig, da die Ursache des Todes schon hinreichend durch den im Leibe des Thieres
steckenden abgebrochenen Spieß angegeben ist.

Das Bild würde ferner an Wirkung gewonnen haben durch eine feinere Beob¬
achtung des Stofflichen. Das Fell der Thiere. Sandboden mit HalfehgraS, Felswand,
Palmen und Aloe sind in der technischen Behandlung jedenfalls zu gleichmäßig. So
hätte beispielsweise die Schattenseite der Felswand, rechts wo die Jäger hcrablugcn,
ruhiger und in zurückweichenden Tönen behandelt werden sollen. Der Körper des lie¬
genden Löwen hätte sich mehr rund von der Fläche abheben müssen, wie auch die ganze
Muskulatur der Thiere noch präciser und energischer sein könnte. Endlich aber will
das Blut vor dem Maule des todten Löwen uns nicht recht wie Blut erscheinen.
Trotz dieser Ausstellungen an den Einzelnheiten verdient das Blatt als Ganzes --
namentlich als tüchtiger gesunder Holzschnitt -- den besten Leistungen der Gegen¬
wart auf diesem Gebiet bcigerechnct zu werden, und in dieser Eigenschaft empfehlen
wir es allen Freunden der Kunst angelegentlich.




Literatur.

Die Böhmifch e n Exulanten in S a et, her von Ch r. A. Peschcck. Leipzig,
S. Hirzel 1857. -- Es ist von mehrfachem Interesse zu ermitteln, wie die einzel¬
nen Völkerstämme des gegenwärtigen Deutschlands durch die Uebergänge der In¬
dividuen aus einem Stamme in den andern allmnlig zu einer deutschen Nation
gemischt worden sind. Das Ineinanderfließen der Stämme durch Ein- und Aus¬
wanderung war während fast zwei Jahrtausenden niemals ganz unterbrochen, hat
aber in verschiedenen Zeiträumen besondere Ausdehnung erreicht. Von der politischen
Geschichte wird das massenhafte Einströmen der Deutschen in das Slavenland zwischen
Elbe und Weichsel noch am ausführlichsten behandelt. Aber nicht weniger eigenthümlich
waren die Verhältnisse in Böhmen. Seit dem frühsten Mittelalter fand dorthin ein fried¬
liches Einziehen deutscher Bildung und deutscher Individuen statt. Doch die deutsche
Colonisation des Landes wurde mehr als einmal durch eine kräftige Gegenströmung


Schneider, vom bloßen Geldverdienst absehend, mit schöner Beharrlichkeit dem Ziele
nachstrebten, ein wirkliches Kunstwerk zu schaffen. Daß ihnen dies bis zu einem
gewissen Grade gelungen ist, leidet keinen Zweifel; jedenfalls ist die Federzeichnung,
nach welcher der Holzschneider gearbeitet bat, in allen Stücken getreu und correct,
wird möchten sagen zu correct und getreu, wiedergegeben.

Das Werk stellt eine Felsschlucht dar, in welcher eine Löwin ihren vor ihr
hingestreckten, von einem Wurfspieß durchbohrten Gemahl betrauert, während oben
durch eine Oeffnung in der Steinwand Beduinenjäger sichtbar werden, die auch ihr
Leben zu bedrohen scheinen. Die Gruppirung dieser Figuren ist gut, die Bewegung
der Löwin ist — in der Conception — ebenfalls angemessen. Die Jäger hätten
füglich wegbleiben können, da sie, wofern sie den auch der Löwin drohenden Tod
andeuten sollen, die eigentliche Wirkung des Bildes der trauernden Löwin stören;
sollen sie aber sagen, daß der Löwe durch Jäger umgekommen ist, so sind sie über¬
flüssig, da die Ursache des Todes schon hinreichend durch den im Leibe des Thieres
steckenden abgebrochenen Spieß angegeben ist.

Das Bild würde ferner an Wirkung gewonnen haben durch eine feinere Beob¬
achtung des Stofflichen. Das Fell der Thiere. Sandboden mit HalfehgraS, Felswand,
Palmen und Aloe sind in der technischen Behandlung jedenfalls zu gleichmäßig. So
hätte beispielsweise die Schattenseite der Felswand, rechts wo die Jäger hcrablugcn,
ruhiger und in zurückweichenden Tönen behandelt werden sollen. Der Körper des lie¬
genden Löwen hätte sich mehr rund von der Fläche abheben müssen, wie auch die ganze
Muskulatur der Thiere noch präciser und energischer sein könnte. Endlich aber will
das Blut vor dem Maule des todten Löwen uns nicht recht wie Blut erscheinen.
Trotz dieser Ausstellungen an den Einzelnheiten verdient das Blatt als Ganzes —
namentlich als tüchtiger gesunder Holzschnitt -- den besten Leistungen der Gegen¬
wart auf diesem Gebiet bcigerechnct zu werden, und in dieser Eigenschaft empfehlen
wir es allen Freunden der Kunst angelegentlich.




Literatur.

Die Böhmifch e n Exulanten in S a et, her von Ch r. A. Peschcck. Leipzig,
S. Hirzel 1857. — Es ist von mehrfachem Interesse zu ermitteln, wie die einzel¬
nen Völkerstämme des gegenwärtigen Deutschlands durch die Uebergänge der In¬
dividuen aus einem Stamme in den andern allmnlig zu einer deutschen Nation
gemischt worden sind. Das Ineinanderfließen der Stämme durch Ein- und Aus¬
wanderung war während fast zwei Jahrtausenden niemals ganz unterbrochen, hat
aber in verschiedenen Zeiträumen besondere Ausdehnung erreicht. Von der politischen
Geschichte wird das massenhafte Einströmen der Deutschen in das Slavenland zwischen
Elbe und Weichsel noch am ausführlichsten behandelt. Aber nicht weniger eigenthümlich
waren die Verhältnisse in Böhmen. Seit dem frühsten Mittelalter fand dorthin ein fried¬
liches Einziehen deutscher Bildung und deutscher Individuen statt. Doch die deutsche
Colonisation des Landes wurde mehr als einmal durch eine kräftige Gegenströmung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/86>, abgerufen am 02.05.2024.