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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Reisen in Italien.
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Jene Richtung auf ausschließlich ästhetischen Genuß Italiens hat ihren
letzten und reinsten Ausdruck durch einen der edelsten Vertreter des classischen
Idealismus, durch Wilhelm von Humboldt (preußischer Gesandter in Rom
1802--1808) gefunden. Sein Verhältniß zu der ewigen Stadt, die auch ihm
eine zweite Heimath wurde, in der er sein Leben zu beschließen wünschte, wo
auch seine Bildung sich vollendete und ihre schönsten Früchte zeitigte, hat er
besonders in dem bekannten Gedicht "Rom" und in einem Aufsatz "über
Goethes zweiten Aufenthalt in Rom" ausgesprochen.' Sein Biograph hat
auch diese Periode seines Lebens so klar zur Anschauung gebracht, daß wir
Humboldts Auffassung von Italien und Rom nicht besser als mit seinen
Worten charakterisieren zu können glauben. "Auf Humboldt," sagt Haym
(H. Leben S. 215) "wirkte Rom in allen Stücken so beruhigend und^
reinigend, so erhebend und befreiend, wie sonst nur Werke der Poesie und der
Kunst wirken. Es war eine stimmende, eine ästhetische, eine gleichsam musi¬
kalische Wirkung. -- Er sah und empfand Rom nicht wie der Maler, der
Dichter oder der Bildner; aber er faßte es auf wie diese alle zusammen; er
besaß ein universelles ästhetisches Sensorium; der Eindruck Roms auf ihn
war ein schlechthin ästhetischer." Sein ästhetischer Idealismus, der ihn der
Weltlichkeit feind, ungerecht gegen die Gegenwart und doch wieder durch die
Vermittelung der Phantasie empfänglich für alle Schönheit machte, spricht
sich am schroffsten in dem berufenen Wunsche aus, daß die Campagna nicht
angebaut und Rom selbst nicht in eine polizirte Stadt verwandelt werden möchte,
in der kein Mensch Messer trüge. "Denn -- so schreibt er an Goethe -- nur
wenn in Rom eine so göttliche Anarchie, und um Rom eine so himm¬
lische Wüstenei ist. bleibt für die Schatten Platz, deren einer mehr ist als dies
ganze Geschlecht." -- "Dieser Wunsch war freilich poetisch grausam. Das
Anstößige und Charakteristische besteht nur darin, daß diese poetische Ansicht
der römischen Dinge die prosaische, die natürlich-menschliche und praktische
gar nicht auskommen ließ. Es ging ihm wie dem Maler, den an dem zer¬
lumpten Bettler einzig das malerische Motiv erfreut. Aber er hatte zu dieser
ästhetischen Licenz der Anschauungsweise ein geringeres Recht als der Maler.
Er bezahlte dieselbe nicht wie dieser mit gelungenen Werken, welche die Freude
der?Welt werden: er bezahlte sie lediglich mit sich selbst. Nicht auf dem Wege
eines fruchtbaren Kunststudiums, sondern auf dem Wege des egoistischen Ge-


Reisen in Italien.
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Jene Richtung auf ausschließlich ästhetischen Genuß Italiens hat ihren
letzten und reinsten Ausdruck durch einen der edelsten Vertreter des classischen
Idealismus, durch Wilhelm von Humboldt (preußischer Gesandter in Rom
1802—1808) gefunden. Sein Verhältniß zu der ewigen Stadt, die auch ihm
eine zweite Heimath wurde, in der er sein Leben zu beschließen wünschte, wo
auch seine Bildung sich vollendete und ihre schönsten Früchte zeitigte, hat er
besonders in dem bekannten Gedicht „Rom" und in einem Aufsatz „über
Goethes zweiten Aufenthalt in Rom" ausgesprochen.' Sein Biograph hat
auch diese Periode seines Lebens so klar zur Anschauung gebracht, daß wir
Humboldts Auffassung von Italien und Rom nicht besser als mit seinen
Worten charakterisieren zu können glauben. „Auf Humboldt," sagt Haym
(H. Leben S. 215) „wirkte Rom in allen Stücken so beruhigend und^
reinigend, so erhebend und befreiend, wie sonst nur Werke der Poesie und der
Kunst wirken. Es war eine stimmende, eine ästhetische, eine gleichsam musi¬
kalische Wirkung. — Er sah und empfand Rom nicht wie der Maler, der
Dichter oder der Bildner; aber er faßte es auf wie diese alle zusammen; er
besaß ein universelles ästhetisches Sensorium; der Eindruck Roms auf ihn
war ein schlechthin ästhetischer." Sein ästhetischer Idealismus, der ihn der
Weltlichkeit feind, ungerecht gegen die Gegenwart und doch wieder durch die
Vermittelung der Phantasie empfänglich für alle Schönheit machte, spricht
sich am schroffsten in dem berufenen Wunsche aus, daß die Campagna nicht
angebaut und Rom selbst nicht in eine polizirte Stadt verwandelt werden möchte,
in der kein Mensch Messer trüge. „Denn — so schreibt er an Goethe — nur
wenn in Rom eine so göttliche Anarchie, und um Rom eine so himm¬
lische Wüstenei ist. bleibt für die Schatten Platz, deren einer mehr ist als dies
ganze Geschlecht." — „Dieser Wunsch war freilich poetisch grausam. Das
Anstößige und Charakteristische besteht nur darin, daß diese poetische Ansicht
der römischen Dinge die prosaische, die natürlich-menschliche und praktische
gar nicht auskommen ließ. Es ging ihm wie dem Maler, den an dem zer¬
lumpten Bettler einzig das malerische Motiv erfreut. Aber er hatte zu dieser
ästhetischen Licenz der Anschauungsweise ein geringeres Recht als der Maler.
Er bezahlte dieselbe nicht wie dieser mit gelungenen Werken, welche die Freude
der?Welt werden: er bezahlte sie lediglich mit sich selbst. Nicht auf dem Wege
eines fruchtbaren Kunststudiums, sondern auf dem Wege des egoistischen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/500>, abgerufen am 04.05.2024.