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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Chmlotte von KM.

Das Leben der Frau von Kalb ist in den letzten Jahren zweimal be¬
schrieben: von Köpke 1852, von Sauppe 1854. Der erste benutzte nußer
den allgemein zugänglichen Quellen (den Briefen Schillers. Hölderlins.
Jean Pauls und den Memoiren Charlottens) noch die persönlichen Mitthei¬
lungen ihrer Tochter: er spricht nicht als Erzähler, sondern als leidenschaftlich
Liebender; das Porträt der "hohen Frau" (so nennt er sie stets) hat ihn ent¬
flammt; alles was zu ihrem Nachtheil sprechen konnte, läßt er aus. das
ganze Buch ist ein Dithyrambus. Sauppe erzählt angenehm, unparteiisch,
aber sehr schonend, und nur aus diesem Umstand schöpfen wir die Berechtigung
unserer neuen Arbeit. Er hat in der Sammlung seiner Briefsteller einige
ausgelassen, die charakteristisch sind, und dadurch die Moral der Fabel ab¬
gestumpft: fast als wollte man bei einer Biographie der Frau von Stein den
letzten Kaffecbrief weglassen.

Im Wilhelm Meister erscheint diese bunte Societät, die von sich sagen
konnte: erlaubt ist, was gefällt! in äußerst anmuthigen Farben, die aber nur
der Darstellung des Dichters angehören; es versteckt sich hinter dieser schönen
Hülle ein ungesunder Keim. Die Verhältnisse der schönen Geister zu verhei-
ratheten Frauen waren sast die Regel; ein solches (freilich der edelsten eines!) hat
Goethe in den schönsten Jahren seiner Kraft auf jenen Abweg geleitet, dem er
dann in einem neuen Abweg entfloh; Schiller wußte das Band zur rechten
Zeit zu zerreißen, aber mit rauher Hand und nicht ohne Schmerzen. Man
hat in solchen Dingen nicht nöthig, den kategorischen Imperativ der Moral
heranzuziehen; die natürlichen Folgen sagen alles. -- Scribe hat in Huc
edawe Grund und Folge mit vollendeter Wahrheit und Deutlichkeit ausge¬
malt; das Leben der Frau von Kalb ist eine mehrfache Wiederholung dieses
wunderbaren Dramas.

Charlotte v. Ostheim, geb. 25. Juli i?6i (zwei Jahr nach Schiller)
in Waltershausen, aus einem angesehenen Geschlecht, ein schönes, hochbegabtes
Kind, hatte früh das Leiden gekannt. In erster Jugend verlor sie die Eltern;
die jüngere Schwester Wilhelmine, die einen Bürgerlichen liebte, gab (Nov.


Grenzboten II. 1359. 41
Chmlotte von KM.

Das Leben der Frau von Kalb ist in den letzten Jahren zweimal be¬
schrieben: von Köpke 1852, von Sauppe 1854. Der erste benutzte nußer
den allgemein zugänglichen Quellen (den Briefen Schillers. Hölderlins.
Jean Pauls und den Memoiren Charlottens) noch die persönlichen Mitthei¬
lungen ihrer Tochter: er spricht nicht als Erzähler, sondern als leidenschaftlich
Liebender; das Porträt der „hohen Frau" (so nennt er sie stets) hat ihn ent¬
flammt; alles was zu ihrem Nachtheil sprechen konnte, läßt er aus. das
ganze Buch ist ein Dithyrambus. Sauppe erzählt angenehm, unparteiisch,
aber sehr schonend, und nur aus diesem Umstand schöpfen wir die Berechtigung
unserer neuen Arbeit. Er hat in der Sammlung seiner Briefsteller einige
ausgelassen, die charakteristisch sind, und dadurch die Moral der Fabel ab¬
gestumpft: fast als wollte man bei einer Biographie der Frau von Stein den
letzten Kaffecbrief weglassen.

Im Wilhelm Meister erscheint diese bunte Societät, die von sich sagen
konnte: erlaubt ist, was gefällt! in äußerst anmuthigen Farben, die aber nur
der Darstellung des Dichters angehören; es versteckt sich hinter dieser schönen
Hülle ein ungesunder Keim. Die Verhältnisse der schönen Geister zu verhei-
ratheten Frauen waren sast die Regel; ein solches (freilich der edelsten eines!) hat
Goethe in den schönsten Jahren seiner Kraft auf jenen Abweg geleitet, dem er
dann in einem neuen Abweg entfloh; Schiller wußte das Band zur rechten
Zeit zu zerreißen, aber mit rauher Hand und nicht ohne Schmerzen. Man
hat in solchen Dingen nicht nöthig, den kategorischen Imperativ der Moral
heranzuziehen; die natürlichen Folgen sagen alles. — Scribe hat in Huc
edawe Grund und Folge mit vollendeter Wahrheit und Deutlichkeit ausge¬
malt; das Leben der Frau von Kalb ist eine mehrfache Wiederholung dieses
wunderbaren Dramas.

Charlotte v. Ostheim, geb. 25. Juli i?6i (zwei Jahr nach Schiller)
in Waltershausen, aus einem angesehenen Geschlecht, ein schönes, hochbegabtes
Kind, hatte früh das Leiden gekannt. In erster Jugend verlor sie die Eltern;
die jüngere Schwester Wilhelmine, die einen Bürgerlichen liebte, gab (Nov.


Grenzboten II. 1359. 41
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[0331] Chmlotte von KM. Das Leben der Frau von Kalb ist in den letzten Jahren zweimal be¬ schrieben: von Köpke 1852, von Sauppe 1854. Der erste benutzte nußer den allgemein zugänglichen Quellen (den Briefen Schillers. Hölderlins. Jean Pauls und den Memoiren Charlottens) noch die persönlichen Mitthei¬ lungen ihrer Tochter: er spricht nicht als Erzähler, sondern als leidenschaftlich Liebender; das Porträt der „hohen Frau" (so nennt er sie stets) hat ihn ent¬ flammt; alles was zu ihrem Nachtheil sprechen konnte, läßt er aus. das ganze Buch ist ein Dithyrambus. Sauppe erzählt angenehm, unparteiisch, aber sehr schonend, und nur aus diesem Umstand schöpfen wir die Berechtigung unserer neuen Arbeit. Er hat in der Sammlung seiner Briefsteller einige ausgelassen, die charakteristisch sind, und dadurch die Moral der Fabel ab¬ gestumpft: fast als wollte man bei einer Biographie der Frau von Stein den letzten Kaffecbrief weglassen. Im Wilhelm Meister erscheint diese bunte Societät, die von sich sagen konnte: erlaubt ist, was gefällt! in äußerst anmuthigen Farben, die aber nur der Darstellung des Dichters angehören; es versteckt sich hinter dieser schönen Hülle ein ungesunder Keim. Die Verhältnisse der schönen Geister zu verhei- ratheten Frauen waren sast die Regel; ein solches (freilich der edelsten eines!) hat Goethe in den schönsten Jahren seiner Kraft auf jenen Abweg geleitet, dem er dann in einem neuen Abweg entfloh; Schiller wußte das Band zur rechten Zeit zu zerreißen, aber mit rauher Hand und nicht ohne Schmerzen. Man hat in solchen Dingen nicht nöthig, den kategorischen Imperativ der Moral heranzuziehen; die natürlichen Folgen sagen alles. — Scribe hat in Huc edawe Grund und Folge mit vollendeter Wahrheit und Deutlichkeit ausge¬ malt; das Leben der Frau von Kalb ist eine mehrfache Wiederholung dieses wunderbaren Dramas. Charlotte v. Ostheim, geb. 25. Juli i?6i (zwei Jahr nach Schiller) in Waltershausen, aus einem angesehenen Geschlecht, ein schönes, hochbegabtes Kind, hatte früh das Leiden gekannt. In erster Jugend verlor sie die Eltern; die jüngere Schwester Wilhelmine, die einen Bürgerlichen liebte, gab (Nov. Grenzboten II. 1359. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/331>, abgerufen am 02.05.2024.