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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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doch die menschliche Freiheit, um ihrer Bestimmung zu genügen, einen unbe¬
dingten Spielraum haben muß.

Wenn nun Schiller als dramatischer Dichter auf die psychologische Ent¬
wickelung und das planmäßige Wirken in der Geschichte zu viel Gewicht legte,
so hat uns die Hegelsche Philosophie und die historische Kritik nicht selten
zu dem entgegengesehen Extrem verleitet und es sieht jetzt mitunter so aus,
als ob die Ereignisse und die Thaten, die Gesetze und die Dichtungen gleich
den Blättern auf den Bäumen wachsen umd als ob die Individualität, selbst
die größte, sich von einem wohlgeformten Polypcnarm nicht wesentlich unter¬
scheide. Was sich Schiller aus der Geschichte für seine Vorlesungen zusammen¬
suchte, hat die Kenntniß seiner Zuhörer wol nicht gefördert, seiner eigenen
Poetischen Entwickelung aber brachte es Segen, denn es vertiefte seine Ideen
und verschaffte ihm jene Fülle von Anschauungen, an der es seiner bisherigen
Bildung nur zu sehr gefehlt hatte.

<Schluß im nächsten Heft.)




Keine Garantie.

Die preußische Politik wird in den nächsten Tagen ihre Bemühungen zur
Wiederherstellung des europäischen Friedens beginnen. Eine feierliche Sitzung
des Staatsministeriums, die Berufung der vornehmsten Gesandten nach Ber¬
lin, die Vorbereitungen für den Transport der Truppen lassen schließen, daß
der Regent Preußens entschlossen ist, mit schlagfertigen Heer die kriegführen¬
den Mächte zum Frieden zu mahnen. Noch sind nicht alle Schwierigkeiten
beseitigt, welche die Prätension Oestreichs, der Wunsch der kleineren Staa¬
ten, eine selbstständige Rolle zu spielen, in den Weg geworfen haben, doch
ist es jetzt nicht mehr undenkbar, daß es der preußischen Regierung gelingen
wird, den stillen Widerstand und die locale Abneigung ihrer Bundesgenossen
zu bewältigen.

Welche Lage für Preußen! Es ist bereit, den größten Gefahren entgegen-
zugehn, die schwersten Opfer zu bringen, es will den Wohlstand seiner Bür¬
ger, das Blut seiner Männer, die volle Kraft seiner Provinzen daransetzen,
um Deutschland aus einer Lebensgefahr herauszuheben, in welche die Nation
durch Oestreichs außerdeutsche Interessen geworfen worden ist, es will dies
alles thun, ohne irgend eine egoistische Gegenforderung an Oestreich und den
deutschen Bund, und es muß um Erlaubniß bitten, die hilflosen deutschen Staaten
Zu erhalten, den unbehilflichen Bund zu schützen, den vereinsamten Oestreichern


Grenzboten II. 18S9. 59

doch die menschliche Freiheit, um ihrer Bestimmung zu genügen, einen unbe¬
dingten Spielraum haben muß.

Wenn nun Schiller als dramatischer Dichter auf die psychologische Ent¬
wickelung und das planmäßige Wirken in der Geschichte zu viel Gewicht legte,
so hat uns die Hegelsche Philosophie und die historische Kritik nicht selten
zu dem entgegengesehen Extrem verleitet und es sieht jetzt mitunter so aus,
als ob die Ereignisse und die Thaten, die Gesetze und die Dichtungen gleich
den Blättern auf den Bäumen wachsen umd als ob die Individualität, selbst
die größte, sich von einem wohlgeformten Polypcnarm nicht wesentlich unter¬
scheide. Was sich Schiller aus der Geschichte für seine Vorlesungen zusammen¬
suchte, hat die Kenntniß seiner Zuhörer wol nicht gefördert, seiner eigenen
Poetischen Entwickelung aber brachte es Segen, denn es vertiefte seine Ideen
und verschaffte ihm jene Fülle von Anschauungen, an der es seiner bisherigen
Bildung nur zu sehr gefehlt hatte.

<Schluß im nächsten Heft.)




Keine Garantie.

Die preußische Politik wird in den nächsten Tagen ihre Bemühungen zur
Wiederherstellung des europäischen Friedens beginnen. Eine feierliche Sitzung
des Staatsministeriums, die Berufung der vornehmsten Gesandten nach Ber¬
lin, die Vorbereitungen für den Transport der Truppen lassen schließen, daß
der Regent Preußens entschlossen ist, mit schlagfertigen Heer die kriegführen¬
den Mächte zum Frieden zu mahnen. Noch sind nicht alle Schwierigkeiten
beseitigt, welche die Prätension Oestreichs, der Wunsch der kleineren Staa¬
ten, eine selbstständige Rolle zu spielen, in den Weg geworfen haben, doch
ist es jetzt nicht mehr undenkbar, daß es der preußischen Regierung gelingen
wird, den stillen Widerstand und die locale Abneigung ihrer Bundesgenossen
zu bewältigen.

Welche Lage für Preußen! Es ist bereit, den größten Gefahren entgegen-
zugehn, die schwersten Opfer zu bringen, es will den Wohlstand seiner Bür¬
ger, das Blut seiner Männer, die volle Kraft seiner Provinzen daransetzen,
um Deutschland aus einer Lebensgefahr herauszuheben, in welche die Nation
durch Oestreichs außerdeutsche Interessen geworfen worden ist, es will dies
alles thun, ohne irgend eine egoistische Gegenforderung an Oestreich und den
deutschen Bund, und es muß um Erlaubniß bitten, die hilflosen deutschen Staaten
Zu erhalten, den unbehilflichen Bund zu schützen, den vereinsamten Oestreichern


Grenzboten II. 18S9. 59
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[0475] doch die menschliche Freiheit, um ihrer Bestimmung zu genügen, einen unbe¬ dingten Spielraum haben muß. Wenn nun Schiller als dramatischer Dichter auf die psychologische Ent¬ wickelung und das planmäßige Wirken in der Geschichte zu viel Gewicht legte, so hat uns die Hegelsche Philosophie und die historische Kritik nicht selten zu dem entgegengesehen Extrem verleitet und es sieht jetzt mitunter so aus, als ob die Ereignisse und die Thaten, die Gesetze und die Dichtungen gleich den Blättern auf den Bäumen wachsen umd als ob die Individualität, selbst die größte, sich von einem wohlgeformten Polypcnarm nicht wesentlich unter¬ scheide. Was sich Schiller aus der Geschichte für seine Vorlesungen zusammen¬ suchte, hat die Kenntniß seiner Zuhörer wol nicht gefördert, seiner eigenen Poetischen Entwickelung aber brachte es Segen, denn es vertiefte seine Ideen und verschaffte ihm jene Fülle von Anschauungen, an der es seiner bisherigen Bildung nur zu sehr gefehlt hatte. <Schluß im nächsten Heft.) Keine Garantie. Die preußische Politik wird in den nächsten Tagen ihre Bemühungen zur Wiederherstellung des europäischen Friedens beginnen. Eine feierliche Sitzung des Staatsministeriums, die Berufung der vornehmsten Gesandten nach Ber¬ lin, die Vorbereitungen für den Transport der Truppen lassen schließen, daß der Regent Preußens entschlossen ist, mit schlagfertigen Heer die kriegführen¬ den Mächte zum Frieden zu mahnen. Noch sind nicht alle Schwierigkeiten beseitigt, welche die Prätension Oestreichs, der Wunsch der kleineren Staa¬ ten, eine selbstständige Rolle zu spielen, in den Weg geworfen haben, doch ist es jetzt nicht mehr undenkbar, daß es der preußischen Regierung gelingen wird, den stillen Widerstand und die locale Abneigung ihrer Bundesgenossen zu bewältigen. Welche Lage für Preußen! Es ist bereit, den größten Gefahren entgegen- zugehn, die schwersten Opfer zu bringen, es will den Wohlstand seiner Bür¬ ger, das Blut seiner Männer, die volle Kraft seiner Provinzen daransetzen, um Deutschland aus einer Lebensgefahr herauszuheben, in welche die Nation durch Oestreichs außerdeutsche Interessen geworfen worden ist, es will dies alles thun, ohne irgend eine egoistische Gegenforderung an Oestreich und den deutschen Bund, und es muß um Erlaubniß bitten, die hilflosen deutschen Staaten Zu erhalten, den unbehilflichen Bund zu schützen, den vereinsamten Oestreichern Grenzboten II. 18S9. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/475>, abgerufen am 02.05.2024.