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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Eine Wallfahrt nach Jerusalem.
i.
Meerfahrt. -- Smyrna. -- Alexandrien. -- Jaffa.

Wenn ein Reisehandbuch des sechzehnten Jahrhunderts Pilgern nach dem
Eiligen Land unter den Dingen, mit denen sie sich auszurüsten haben, vor
allem einen großen Sack voll Geduld ans Herz legt, so gilt das in gewissem
Maß noch heute, und zwar zunächst von der Meerfahrt. Es ist wahr, einst
bedürfte man mindestens zwei, oft vier, bisweilen sechs Monate, um von
Venedig, dem damaligen Einschiffungsort der deutschen Wallfahrer, nach dem
Gestade von Jaffa oder Akka zu gelangen, und jetzt legen wir die Strecke in
einem Zeitraum zurück, mit dem sich selbst die schnellsten Fahrten der Pilger-
galeercn von ehedem kaum vergleichen lassen. Allein in demselben Grade, in
welchem der Dampf die Seereise verkürzt hat. ist unser Anspruch auf rasche
Beförderung gestiegen, und wenn in andern Fallen der Art Wünsche, die
weiter gehen als die Wirklichkeit, Tadel verdienen, so sind sie indem erwähn¬
en Fall vollkommen berechtigt.

Wir glauben daheim nach einem Vergleich der Landkarte- mit der Tabelle
der Llvydfahrten, nach welcher Alexandrien in weniger als fünf Tagen erreicht
^ird. spätestens in zwei weiteren Tagen die Küste Palästinas begrüßen zu
'suum, und siehe da, in Trieft sagt man uns. daß die Reise nicht direct über
^exandrien, sondern zunächst auf Syra und Smyrna führt, und daß wir zu.
^r Reise volle zwei Wochen bedürfen. Der schlichte Verstand meint, das sei
ä^abe so viel Zeit, als ein Dampfer braucht, um von Bremen nach Neuyork
gelangen, und eine Wallfahrt von Triest nach Jerusalem über das cigäische
^'ud jonische Meer möchte ungefähr ebenso genau den geradesten Weg bezeich¬
nn, als eine Reise von Berlin nach Paris über Sanct Petersburg. Der
^erstand der türkischen Regierung aber folgt einmal -- wofür wäre sie auch
°^ kranke Mann? -- andern Regeln als gesunder Menschenverstand. Die
^Mschen Hasengesetze legen allen Schiffen, die von Aegypten kommen, eine
l^ustügige Quarantäne auf, gleichviel, ob die Pest dort herrscht oder nicht,
und die europäischen Dampfer könnten sich dem begreiflicherweise nicht unter-


Grenzboten III. 1LS9. 26
Eine Wallfahrt nach Jerusalem.
i.
Meerfahrt. — Smyrna. — Alexandrien. — Jaffa.

Wenn ein Reisehandbuch des sechzehnten Jahrhunderts Pilgern nach dem
Eiligen Land unter den Dingen, mit denen sie sich auszurüsten haben, vor
allem einen großen Sack voll Geduld ans Herz legt, so gilt das in gewissem
Maß noch heute, und zwar zunächst von der Meerfahrt. Es ist wahr, einst
bedürfte man mindestens zwei, oft vier, bisweilen sechs Monate, um von
Venedig, dem damaligen Einschiffungsort der deutschen Wallfahrer, nach dem
Gestade von Jaffa oder Akka zu gelangen, und jetzt legen wir die Strecke in
einem Zeitraum zurück, mit dem sich selbst die schnellsten Fahrten der Pilger-
galeercn von ehedem kaum vergleichen lassen. Allein in demselben Grade, in
welchem der Dampf die Seereise verkürzt hat. ist unser Anspruch auf rasche
Beförderung gestiegen, und wenn in andern Fallen der Art Wünsche, die
weiter gehen als die Wirklichkeit, Tadel verdienen, so sind sie indem erwähn¬
en Fall vollkommen berechtigt.

Wir glauben daheim nach einem Vergleich der Landkarte- mit der Tabelle
der Llvydfahrten, nach welcher Alexandrien in weniger als fünf Tagen erreicht
^ird. spätestens in zwei weiteren Tagen die Küste Palästinas begrüßen zu
'suum, und siehe da, in Trieft sagt man uns. daß die Reise nicht direct über
^exandrien, sondern zunächst auf Syra und Smyrna führt, und daß wir zu.
^r Reise volle zwei Wochen bedürfen. Der schlichte Verstand meint, das sei
ä^abe so viel Zeit, als ein Dampfer braucht, um von Bremen nach Neuyork
gelangen, und eine Wallfahrt von Triest nach Jerusalem über das cigäische
^'ud jonische Meer möchte ungefähr ebenso genau den geradesten Weg bezeich¬
nn, als eine Reise von Berlin nach Paris über Sanct Petersburg. Der
^erstand der türkischen Regierung aber folgt einmal — wofür wäre sie auch
°^ kranke Mann? — andern Regeln als gesunder Menschenverstand. Die
^Mschen Hasengesetze legen allen Schiffen, die von Aegypten kommen, eine
l^ustügige Quarantäne auf, gleichviel, ob die Pest dort herrscht oder nicht,
und die europäischen Dampfer könnten sich dem begreiflicherweise nicht unter-


Grenzboten III. 1LS9. 26
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[0215] Eine Wallfahrt nach Jerusalem. i. Meerfahrt. — Smyrna. — Alexandrien. — Jaffa. Wenn ein Reisehandbuch des sechzehnten Jahrhunderts Pilgern nach dem Eiligen Land unter den Dingen, mit denen sie sich auszurüsten haben, vor allem einen großen Sack voll Geduld ans Herz legt, so gilt das in gewissem Maß noch heute, und zwar zunächst von der Meerfahrt. Es ist wahr, einst bedürfte man mindestens zwei, oft vier, bisweilen sechs Monate, um von Venedig, dem damaligen Einschiffungsort der deutschen Wallfahrer, nach dem Gestade von Jaffa oder Akka zu gelangen, und jetzt legen wir die Strecke in einem Zeitraum zurück, mit dem sich selbst die schnellsten Fahrten der Pilger- galeercn von ehedem kaum vergleichen lassen. Allein in demselben Grade, in welchem der Dampf die Seereise verkürzt hat. ist unser Anspruch auf rasche Beförderung gestiegen, und wenn in andern Fallen der Art Wünsche, die weiter gehen als die Wirklichkeit, Tadel verdienen, so sind sie indem erwähn¬ en Fall vollkommen berechtigt. Wir glauben daheim nach einem Vergleich der Landkarte- mit der Tabelle der Llvydfahrten, nach welcher Alexandrien in weniger als fünf Tagen erreicht ^ird. spätestens in zwei weiteren Tagen die Küste Palästinas begrüßen zu 'suum, und siehe da, in Trieft sagt man uns. daß die Reise nicht direct über ^exandrien, sondern zunächst auf Syra und Smyrna führt, und daß wir zu. ^r Reise volle zwei Wochen bedürfen. Der schlichte Verstand meint, das sei ä^abe so viel Zeit, als ein Dampfer braucht, um von Bremen nach Neuyork gelangen, und eine Wallfahrt von Triest nach Jerusalem über das cigäische ^'ud jonische Meer möchte ungefähr ebenso genau den geradesten Weg bezeich¬ nn, als eine Reise von Berlin nach Paris über Sanct Petersburg. Der ^erstand der türkischen Regierung aber folgt einmal — wofür wäre sie auch °^ kranke Mann? — andern Regeln als gesunder Menschenverstand. Die ^Mschen Hasengesetze legen allen Schiffen, die von Aegypten kommen, eine l^ustügige Quarantäne auf, gleichviel, ob die Pest dort herrscht oder nicht, und die europäischen Dampfer könnten sich dem begreiflicherweise nicht unter- Grenzboten III. 1LS9. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/215>, abgerufen am 28.04.2024.