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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Eine Wttllsnhit meh Jerusalem.
Sitten und Zustände Jerusalems. -- Die Religi o nsparteiem

Wie viel Einwohner Jerusalem hat. läßt sich des Harcmsgeheimnisses
wegen nicht genau feststellen. Man weis, nur. daß die Zahl derselben nicht
unter 24,000 betragen kann, und darunter etwa 4000 Christen verschieden"'
Bekenntnisse und ungefähr 5500 Juden sind. Die übrigen gehören dem Is¬
lam an. Die Hauptsprache ist die arabische. Nächst dieser hart man
häufigsten italienisch und neugriechisch sprechen, außerdem englisch, französisch-
russisch und deutsch, so wie türkisch, letzteres vorzüglich von der Umgebung
des Pascha und den Armeniern. Die lateinischen Mönche gehören fast ohne
Ausnahme den romanischen Nationen an. Ich traf unter ihnen nur zwei
Deutsche. Die Zahl der Einwohner, welche nicht Unterthanen des Sultans
sind, sondern unter dem Schutz der Consulate leben, beläuft sich auf circa 20l'0>
Die große Mehrzahl derselben besteht aus östreichischen und russischen Jude"-

Die Sitten der Eingeborne" sind im Allgemeinen denen in den übrigen
arabische" Städten gleich, nur scheint hier weniger Liederlichkeit zu herrsche"-
als in Aegypten. dem Lande der Gawaßi, ein Verhältniß, welches sich de>"
mittelalterlichen Jerusalem eben nicht nachsagen ließ. Auch Betrunkene trifft
man selten, und dann sind es deutsche Handwerksbursche. Im Uebrigen stehe"
die Jerusalemer in keinen, vorzüglich guten Ruf; denn sie gelten für lüge"'
haft, träge und feig. Als Bewohner der heiligen Stadt halten die Bekenne
aller Religionen strenger als ihre Glaubensgenossen in andern Ländern ""f
die Beobachtung der kirchlichen Gebräuche. Ein Mohammedaner, der Mi"
trinkt, ein Jude, der sich nicht genau an die Vorschriften des Talmud hält,
ein Katholik, der nur gelegentlich die Messe besucht, ein Protestant, der sich
blos zum Vormittagsgottesdienst, nicht auch Nachmittags in der Kirche ein¬
stellt, gilt hier schon für einen halben Ungläubigen. Die junge Türkei >"it
ihrem fränkischen Nock. ihrer Cravatte, ihren Hvsenstegen und' Lackstiefelche"
ist in El Koth nicht vertreten, und ebenso wenig haben Refvrmjuden sich lM
zur Geltung zu bringe" vermocht. Es darf hier nichts geändert werden, bis
Meschiach kommt, war die Antwort, die ihnen das alte Jeruschalnjim auch
auf verständige und heilsame Anträge gab.t

Schlimmer als die obengenannten Fehler der Bewohner Jerusalems is
der Geist der Streitsucht und das bis zur Wuth ausartende Streben, s'^
einander den Rang abzulaufen, welches die einzelnen Sekten, mit Ausnahme
der Mohammedaner, erfüllt, und die Sekten wieder nach Nationen, ja


Eine Wttllsnhit meh Jerusalem.
Sitten und Zustände Jerusalems. — Die Religi o nsparteiem

Wie viel Einwohner Jerusalem hat. läßt sich des Harcmsgeheimnisses
wegen nicht genau feststellen. Man weis, nur. daß die Zahl derselben nicht
unter 24,000 betragen kann, und darunter etwa 4000 Christen verschieden"'
Bekenntnisse und ungefähr 5500 Juden sind. Die übrigen gehören dem Is¬
lam an. Die Hauptsprache ist die arabische. Nächst dieser hart man
häufigsten italienisch und neugriechisch sprechen, außerdem englisch, französisch-
russisch und deutsch, so wie türkisch, letzteres vorzüglich von der Umgebung
des Pascha und den Armeniern. Die lateinischen Mönche gehören fast ohne
Ausnahme den romanischen Nationen an. Ich traf unter ihnen nur zwei
Deutsche. Die Zahl der Einwohner, welche nicht Unterthanen des Sultans
sind, sondern unter dem Schutz der Consulate leben, beläuft sich auf circa 20l'0>
Die große Mehrzahl derselben besteht aus östreichischen und russischen Jude»-

Die Sitten der Eingeborne» sind im Allgemeinen denen in den übrigen
arabische» Städten gleich, nur scheint hier weniger Liederlichkeit zu herrsche»-
als in Aegypten. dem Lande der Gawaßi, ein Verhältniß, welches sich de>"
mittelalterlichen Jerusalem eben nicht nachsagen ließ. Auch Betrunkene trifft
man selten, und dann sind es deutsche Handwerksbursche. Im Uebrigen stehe"
die Jerusalemer in keinen, vorzüglich guten Ruf; denn sie gelten für lüge»'
haft, träge und feig. Als Bewohner der heiligen Stadt halten die Bekenne
aller Religionen strenger als ihre Glaubensgenossen in andern Ländern ""f
die Beobachtung der kirchlichen Gebräuche. Ein Mohammedaner, der Mi»
trinkt, ein Jude, der sich nicht genau an die Vorschriften des Talmud hält,
ein Katholik, der nur gelegentlich die Messe besucht, ein Protestant, der sich
blos zum Vormittagsgottesdienst, nicht auch Nachmittags in der Kirche ein¬
stellt, gilt hier schon für einen halben Ungläubigen. Die junge Türkei >»it
ihrem fränkischen Nock. ihrer Cravatte, ihren Hvsenstegen und' Lackstiefelche»
ist in El Koth nicht vertreten, und ebenso wenig haben Refvrmjuden sich lM
zur Geltung zu bringe» vermocht. Es darf hier nichts geändert werden, bis
Meschiach kommt, war die Antwort, die ihnen das alte Jeruschalnjim auch
auf verständige und heilsame Anträge gab.t

Schlimmer als die obengenannten Fehler der Bewohner Jerusalems is
der Geist der Streitsucht und das bis zur Wuth ausartende Streben, s'^
einander den Rang abzulaufen, welches die einzelnen Sekten, mit Ausnahme
der Mohammedaner, erfüllt, und die Sekten wieder nach Nationen, ja


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[0340] Eine Wttllsnhit meh Jerusalem. Sitten und Zustände Jerusalems. — Die Religi o nsparteiem Wie viel Einwohner Jerusalem hat. läßt sich des Harcmsgeheimnisses wegen nicht genau feststellen. Man weis, nur. daß die Zahl derselben nicht unter 24,000 betragen kann, und darunter etwa 4000 Christen verschieden"' Bekenntnisse und ungefähr 5500 Juden sind. Die übrigen gehören dem Is¬ lam an. Die Hauptsprache ist die arabische. Nächst dieser hart man häufigsten italienisch und neugriechisch sprechen, außerdem englisch, französisch- russisch und deutsch, so wie türkisch, letzteres vorzüglich von der Umgebung des Pascha und den Armeniern. Die lateinischen Mönche gehören fast ohne Ausnahme den romanischen Nationen an. Ich traf unter ihnen nur zwei Deutsche. Die Zahl der Einwohner, welche nicht Unterthanen des Sultans sind, sondern unter dem Schutz der Consulate leben, beläuft sich auf circa 20l'0> Die große Mehrzahl derselben besteht aus östreichischen und russischen Jude»- Die Sitten der Eingeborne» sind im Allgemeinen denen in den übrigen arabische» Städten gleich, nur scheint hier weniger Liederlichkeit zu herrsche»- als in Aegypten. dem Lande der Gawaßi, ein Verhältniß, welches sich de>" mittelalterlichen Jerusalem eben nicht nachsagen ließ. Auch Betrunkene trifft man selten, und dann sind es deutsche Handwerksbursche. Im Uebrigen stehe" die Jerusalemer in keinen, vorzüglich guten Ruf; denn sie gelten für lüge»' haft, träge und feig. Als Bewohner der heiligen Stadt halten die Bekenne aller Religionen strenger als ihre Glaubensgenossen in andern Ländern ""f die Beobachtung der kirchlichen Gebräuche. Ein Mohammedaner, der Mi» trinkt, ein Jude, der sich nicht genau an die Vorschriften des Talmud hält, ein Katholik, der nur gelegentlich die Messe besucht, ein Protestant, der sich blos zum Vormittagsgottesdienst, nicht auch Nachmittags in der Kirche ein¬ stellt, gilt hier schon für einen halben Ungläubigen. Die junge Türkei >»it ihrem fränkischen Nock. ihrer Cravatte, ihren Hvsenstegen und' Lackstiefelche» ist in El Koth nicht vertreten, und ebenso wenig haben Refvrmjuden sich lM zur Geltung zu bringe» vermocht. Es darf hier nichts geändert werden, bis Meschiach kommt, war die Antwort, die ihnen das alte Jeruschalnjim auch auf verständige und heilsame Anträge gab.t Schlimmer als die obengenannten Fehler der Bewohner Jerusalems is der Geist der Streitsucht und das bis zur Wuth ausartende Streben, s'^ einander den Rang abzulaufen, welches die einzelnen Sekten, mit Ausnahme der Mohammedaner, erfüllt, und die Sekten wieder nach Nationen, ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/340>, abgerufen am 28.04.2024.