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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Das deutsche Verfassungswerk nach dem Kriege.

Unter diesem Titel ist soeben (Leipzig, Verlag von S. Hirzel) eine Schrift von
W, Baseler erschienen, die wir als sehr beachtenswert!) empfehlen. Der Verfasser
betrachtet zunächst in einer Weise, welche den Anschauungen d, Bl. nahe ver¬
wandt ist, den Krieg, den Frieden, dessen Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft
Preußens und Deutschlands, und beantwortet dann die Frage, wie den schwere"
Bedenken, welche die Lage Deutschlands einflöße, aus die geeignetste Weise abzuhelfen
sei. Wir geben im Nachstehenden die Hauptpunkte seiner Erörterungen und seiner
Wünsche, indem wir bemerken, daß wir, die Wünsche als "fromme" aufgefaßt, in
allem Wesentlichen damit übereinstimmen.

Die Lage Deutschlands ist gefahrdrohender als jemals früher. Der italienische
Krieg hat Veranlassung gegeben, den Antagonismus Oestreichs und Preußens in
der ganzen Unerbittlichkeit der wirklichen Verhältnisse hervortreten zu lassen. Die
Situation war so gespannt, daß höfische Courtoisie, diplomatischer Anstand, bundcs-
freundliche Rücksicht, um nicht von werthvolleren Motiven zu reden, nicht mehr den
Ausschlag gaben. Oestreich hatte beim Beginn des Kriegs, gestützt auf seine Er¬
fahrungen einerseits aus der Metternichschcn und andrerseits aus der Mantcuffelschen
Periode geglaubt, in Preußen ein Werkzeug seiner Nestaurationsplänc zu finden,
welches, wenn auch nach einigem Widerstreben, sich schließlich doch in die alte Ab¬
hängigkeit werde zwängen lassen. Auf die guten Dienste des Bundestags ward na¬
türlich gerechnet. Oestreich verrechnete sich und seine leidenschaftliche Verstimmung
kannte jetzt keine Grenzen mehr.

So tief ist Deutschland als zum Kriegführen fähige und bereite Macht se't
den letzten großen Kriegen niemals in den Augen des Auslandes gesunken. Selbst
viele Deutsche waren bisher der Meinung gewesen, daß, wenn gleich der Bund im
Ganzen mit dem Entwicklungsgange der Nation in schneidendem Widerspruch stehe,
seine Verfassung doch in ein er Rücksicht Anerkennung verdiene, insofern diese nämlich
dafür gesorgt habe. Deutschland wehrhaft genug zu erhalten, um durch sein Heer
ein entscheidendes Gewicht in die europäische Wagschale zu legen. Jetzt werden
auch die Starkgläubigstcn sich davon überzeugt haben, daß, so reich unser Vorrath
an dem allerbesten Material für den Krieg ist. so vortrefflich auch nicht allein die
preußische Armee, sondern auch die andern deutschen Contingente gerüstet und ge¬
schult sein mögen, die Führung eines großen deutschen Kriegs mit den vorhandenen
Einrichtungen unmöglich ist.¬

Preußens Kraft ist durch die Consolidirung seines innern Staatslebens aller
dings außerordentlich gesteigert. Aber es ist erst ein werdender Großstaat, sein-
materiellen Mittel sind im Verhältniß zu den übrigen Mächten nicht nachhaltig genug!
bei der größten Achtung vor der verhältnißmäßig überaus großen Fähigkeit desselben
zu einer Machte ntwicklung nach außen, würde es Gefahr laufen, in einem Kampf,
den es als Großmacht ohne den Beistand des übrigen Deutschlands vielleicht Jahre
lang zu führen hätte, zu verbluten oder doch in seinen volkswirthschaftlichen ZU'
ständen so schwer getroffen zu werden, daß ihm für längere Zeit die Fähigkeit z"
größeren Actionen geraubt würde.


Das deutsche Verfassungswerk nach dem Kriege.

Unter diesem Titel ist soeben (Leipzig, Verlag von S. Hirzel) eine Schrift von
W, Baseler erschienen, die wir als sehr beachtenswert!) empfehlen. Der Verfasser
betrachtet zunächst in einer Weise, welche den Anschauungen d, Bl. nahe ver¬
wandt ist, den Krieg, den Frieden, dessen Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft
Preußens und Deutschlands, und beantwortet dann die Frage, wie den schwere»
Bedenken, welche die Lage Deutschlands einflöße, aus die geeignetste Weise abzuhelfen
sei. Wir geben im Nachstehenden die Hauptpunkte seiner Erörterungen und seiner
Wünsche, indem wir bemerken, daß wir, die Wünsche als „fromme" aufgefaßt, in
allem Wesentlichen damit übereinstimmen.

Die Lage Deutschlands ist gefahrdrohender als jemals früher. Der italienische
Krieg hat Veranlassung gegeben, den Antagonismus Oestreichs und Preußens in
der ganzen Unerbittlichkeit der wirklichen Verhältnisse hervortreten zu lassen. Die
Situation war so gespannt, daß höfische Courtoisie, diplomatischer Anstand, bundcs-
freundliche Rücksicht, um nicht von werthvolleren Motiven zu reden, nicht mehr den
Ausschlag gaben. Oestreich hatte beim Beginn des Kriegs, gestützt auf seine Er¬
fahrungen einerseits aus der Metternichschcn und andrerseits aus der Mantcuffelschen
Periode geglaubt, in Preußen ein Werkzeug seiner Nestaurationsplänc zu finden,
welches, wenn auch nach einigem Widerstreben, sich schließlich doch in die alte Ab¬
hängigkeit werde zwängen lassen. Auf die guten Dienste des Bundestags ward na¬
türlich gerechnet. Oestreich verrechnete sich und seine leidenschaftliche Verstimmung
kannte jetzt keine Grenzen mehr.

So tief ist Deutschland als zum Kriegführen fähige und bereite Macht se't
den letzten großen Kriegen niemals in den Augen des Auslandes gesunken. Selbst
viele Deutsche waren bisher der Meinung gewesen, daß, wenn gleich der Bund im
Ganzen mit dem Entwicklungsgange der Nation in schneidendem Widerspruch stehe,
seine Verfassung doch in ein er Rücksicht Anerkennung verdiene, insofern diese nämlich
dafür gesorgt habe. Deutschland wehrhaft genug zu erhalten, um durch sein Heer
ein entscheidendes Gewicht in die europäische Wagschale zu legen. Jetzt werden
auch die Starkgläubigstcn sich davon überzeugt haben, daß, so reich unser Vorrath
an dem allerbesten Material für den Krieg ist. so vortrefflich auch nicht allein die
preußische Armee, sondern auch die andern deutschen Contingente gerüstet und ge¬
schult sein mögen, die Führung eines großen deutschen Kriegs mit den vorhandenen
Einrichtungen unmöglich ist.¬

Preußens Kraft ist durch die Consolidirung seines innern Staatslebens aller
dings außerordentlich gesteigert. Aber es ist erst ein werdender Großstaat, sein-
materiellen Mittel sind im Verhältniß zu den übrigen Mächten nicht nachhaltig genug!
bei der größten Achtung vor der verhältnißmäßig überaus großen Fähigkeit desselben
zu einer Machte ntwicklung nach außen, würde es Gefahr laufen, in einem Kampf,
den es als Großmacht ohne den Beistand des übrigen Deutschlands vielleicht Jahre
lang zu führen hätte, zu verbluten oder doch in seinen volkswirthschaftlichen ZU'
ständen so schwer getroffen zu werden, daß ihm für längere Zeit die Fähigkeit z»
größeren Actionen geraubt würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/410>, abgerufen am 28.04.2024.