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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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in den letzten Jahrzehnten genommen hat, ist nicht ganz der Natur der
Sache angemessen, er ist schon über die Grenzen hinausgegangen, welche
der Nation durch die Gestalt ihres Wohnsitzes gesteckt sind. Frankreich ist
eine große festländische Macht, der eine entsprechende Seemacht zur Seite stehen
muß; es hat einen beschränkten Seeberuf. England dagegen hat einen ab¬
soluten: es besitzt alle Erfordernisse, um auf den Meeren des Erdkreises die
erste Rolle zu spielen, im reichsten Maße. Seine geographische Lage, die
Großartigkeit seines Gewerbfleißes und Handels, sein Reichthum an Capital,
die Ausbreitung seiner Nationalität über alle fünf Welttheile berechtigen es
zur Meeresherrschaft. Angefochten aber kann diese Stellung allerdings werden.
die britische Nation könnte auf einige Zeit Kanada und das Kap, Australien
und selbst Indien verlieren, und so wird die Regierung der Königin Victoria
ernstlich auf Fortentwickelung ihrer Seemacht, zugleich aber auf eine Politik
bedacht sein müssen, welche eine Invasion Frankreichs unmöglich macht. Daß
die bisher innegehaltne -- ganz abgesehen davon, daß sie uns mit der
Ehre Englands nicht vollkommen verträglich zu sein scheint -- gegen Angriffe
Napoleons nicht sür immer sichert, wird zugegeben werden müssen, und so
wird sich England gern oder ungern trotz Palmerston und seinem Anhang be¬
quemen müssen, andere Wege einzuschlagen, d. h. sich zu erinnern, daß nur
die Bundesgenossenschaft mit Preußen und Deutschland ihm das Hilfshecr
bieten kann, welches ihm die Franzosen von den Küsten zu halten im Stande
ist, und diese Bundesgenossenschaft durch Gegenanerbietungen zu erkaufen.




Eine Wallfahrt nach Jerusalem.
7.
Bethlehem. Nebbi Samwil. Der Einzug des Großfürsten
Konstantin. Im Haram Esch Scherif.

Auch in Bethlehem hat die Mönchsphantasie der Hauptsache eine große Menge
von Nebendingen angeklebt. Um die Geburtsgrotte herum liegen vier kleinere
Höhlen: eine, in welcher die Gebeine der heiligen Paula ruhen, die von Rom
hierher pilgerte, um ihre Tage als Siedlerin neben der Wiege Christi z" be¬
schließen, eine zweite, in die man Se. Eusebius von Cremona begrub,
eine dritte, in welcher der Kirchenvater Hieronymus das alte Testament über¬
trug, endlich eine vierte, in welche die Legende die ganze Schar der unschul¬
digen Kindlein beisetzte, die Herodes ermorden ließ. Grausamer als der böse


in den letzten Jahrzehnten genommen hat, ist nicht ganz der Natur der
Sache angemessen, er ist schon über die Grenzen hinausgegangen, welche
der Nation durch die Gestalt ihres Wohnsitzes gesteckt sind. Frankreich ist
eine große festländische Macht, der eine entsprechende Seemacht zur Seite stehen
muß; es hat einen beschränkten Seeberuf. England dagegen hat einen ab¬
soluten: es besitzt alle Erfordernisse, um auf den Meeren des Erdkreises die
erste Rolle zu spielen, im reichsten Maße. Seine geographische Lage, die
Großartigkeit seines Gewerbfleißes und Handels, sein Reichthum an Capital,
die Ausbreitung seiner Nationalität über alle fünf Welttheile berechtigen es
zur Meeresherrschaft. Angefochten aber kann diese Stellung allerdings werden.
die britische Nation könnte auf einige Zeit Kanada und das Kap, Australien
und selbst Indien verlieren, und so wird die Regierung der Königin Victoria
ernstlich auf Fortentwickelung ihrer Seemacht, zugleich aber auf eine Politik
bedacht sein müssen, welche eine Invasion Frankreichs unmöglich macht. Daß
die bisher innegehaltne — ganz abgesehen davon, daß sie uns mit der
Ehre Englands nicht vollkommen verträglich zu sein scheint — gegen Angriffe
Napoleons nicht sür immer sichert, wird zugegeben werden müssen, und so
wird sich England gern oder ungern trotz Palmerston und seinem Anhang be¬
quemen müssen, andere Wege einzuschlagen, d. h. sich zu erinnern, daß nur
die Bundesgenossenschaft mit Preußen und Deutschland ihm das Hilfshecr
bieten kann, welches ihm die Franzosen von den Küsten zu halten im Stande
ist, und diese Bundesgenossenschaft durch Gegenanerbietungen zu erkaufen.




Eine Wallfahrt nach Jerusalem.
7.
Bethlehem. Nebbi Samwil. Der Einzug des Großfürsten
Konstantin. Im Haram Esch Scherif.

Auch in Bethlehem hat die Mönchsphantasie der Hauptsache eine große Menge
von Nebendingen angeklebt. Um die Geburtsgrotte herum liegen vier kleinere
Höhlen: eine, in welcher die Gebeine der heiligen Paula ruhen, die von Rom
hierher pilgerte, um ihre Tage als Siedlerin neben der Wiege Christi z» be¬
schließen, eine zweite, in die man Se. Eusebius von Cremona begrub,
eine dritte, in welcher der Kirchenvater Hieronymus das alte Testament über¬
trug, endlich eine vierte, in welche die Legende die ganze Schar der unschul¬
digen Kindlein beisetzte, die Herodes ermorden ließ. Grausamer als der böse


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[0474] in den letzten Jahrzehnten genommen hat, ist nicht ganz der Natur der Sache angemessen, er ist schon über die Grenzen hinausgegangen, welche der Nation durch die Gestalt ihres Wohnsitzes gesteckt sind. Frankreich ist eine große festländische Macht, der eine entsprechende Seemacht zur Seite stehen muß; es hat einen beschränkten Seeberuf. England dagegen hat einen ab¬ soluten: es besitzt alle Erfordernisse, um auf den Meeren des Erdkreises die erste Rolle zu spielen, im reichsten Maße. Seine geographische Lage, die Großartigkeit seines Gewerbfleißes und Handels, sein Reichthum an Capital, die Ausbreitung seiner Nationalität über alle fünf Welttheile berechtigen es zur Meeresherrschaft. Angefochten aber kann diese Stellung allerdings werden. die britische Nation könnte auf einige Zeit Kanada und das Kap, Australien und selbst Indien verlieren, und so wird die Regierung der Königin Victoria ernstlich auf Fortentwickelung ihrer Seemacht, zugleich aber auf eine Politik bedacht sein müssen, welche eine Invasion Frankreichs unmöglich macht. Daß die bisher innegehaltne — ganz abgesehen davon, daß sie uns mit der Ehre Englands nicht vollkommen verträglich zu sein scheint — gegen Angriffe Napoleons nicht sür immer sichert, wird zugegeben werden müssen, und so wird sich England gern oder ungern trotz Palmerston und seinem Anhang be¬ quemen müssen, andere Wege einzuschlagen, d. h. sich zu erinnern, daß nur die Bundesgenossenschaft mit Preußen und Deutschland ihm das Hilfshecr bieten kann, welches ihm die Franzosen von den Küsten zu halten im Stande ist, und diese Bundesgenossenschaft durch Gegenanerbietungen zu erkaufen. Eine Wallfahrt nach Jerusalem. 7. Bethlehem. Nebbi Samwil. Der Einzug des Großfürsten Konstantin. Im Haram Esch Scherif. Auch in Bethlehem hat die Mönchsphantasie der Hauptsache eine große Menge von Nebendingen angeklebt. Um die Geburtsgrotte herum liegen vier kleinere Höhlen: eine, in welcher die Gebeine der heiligen Paula ruhen, die von Rom hierher pilgerte, um ihre Tage als Siedlerin neben der Wiege Christi z» be¬ schließen, eine zweite, in die man Se. Eusebius von Cremona begrub, eine dritte, in welcher der Kirchenvater Hieronymus das alte Testament über¬ trug, endlich eine vierte, in welche die Legende die ganze Schar der unschul¬ digen Kindlein beisetzte, die Herodes ermorden ließ. Grausamer als der böse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/474>, abgerufen am 28.04.2024.