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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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einzige Scene vor, die man bedauern dürste, in dieser Umgebung zu finden.
Nur noch eine Bemerkung.

Der Verfasser, bekanntlich Begründer einer neuen Aesthetik, die er als
"theistisch" bezeichnet im Gegensatz zu der bisherigen "pantheistischen", ist
zugleich Schillers Kommentator; er bemüht sich in diesen Commentaren jedes
Wort, das Schiller geschrieben, jedes Wort in den Räubern, im Fiesco u. s. w
als classisch darzustellen. Mit diesem Versuch steht er keineswegs allein; das
Schillerfest, das doch von Manchen mitgefeiert ward, die von Schiller nichts
anderes kennen als das Lied an die Freude und etwa das Räuberlied, hat
denen, die dem Publikum zu Gefallen schreiben, einen Maaßstab für Schillers
Größe an die Hand gegeben, der, wie wir fürchten, in kurzer Zeit eine sehr
bedenkliche Reaction hervorrufen wird. Unwillkührlich. wenn wir uns Schillers
großen Schatten denken, legen wir ihm den Gedanken unter: Herr bewahre
mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich schon selbst
bewahren. Diese Worte wären nicht das schlechteste Motto unter manche
Z. S. Schillerstatue.




Das Schillerfest mit seinen unmittelbaren Nachwirkungen ist nun vorüber. Es
hat eine nicht unbedeutende Literatur zurückgelassen; die Spalten fast sämmtlicher
Zeitungen sind seit einem Monat mit Berichten darüber ausgefüllt, und nun theilt
noch fast jede Stadt, was an jenem denkwürdigen Tage gesprochen und gethan ist,
den deutschen Brüdern mit. Soviel wir Gelegenheit hatten, diese Reden zu ver¬
gleichen und ihre politischen Beziehungen zu erwägen, die freilich nicht ausbleiben
konnten, so athmet in ihnen der Geist großer Mäßigung, und so warm sich überall
die deutsche Gesinnung ausspricht, wird sie fast nirgend durch excentrische Träu¬
mereien entstellt. Wir heben nur zwei Proben hervor: ein Gedicht von Georg
Herweg", der nun seit zehn Jahren geschwiegen, zur Festfeier in Zürich und eine
von Johann Jakobi im Königsberger Handwerkerverein gehaltene Rede; in bei¬
den ist die allgemeine Stimmung der Art. daß wir ihr nur beipflichten können.
Dem letztern ist freilich ein Mißverständnis? begegnet, das wohl noch öfters vorkommen
mag: er führt die bekannte Stelle, wo Schiller 1793 an Körner schreibt, die Liebe
zum Vaterlande sei sehr lebhaft in ihm geworden, als Beleg für den deutschen Pa¬
triotismus des Dichters an. Allein das Vaterland, von welchem Schiller hier redet,
ist nicht das große Deutschland, sondern das kleine Württemberg; Schiller sehnt sich
aus dem Auslande, d. h, aus Weimar, einmal nach seinem Vaterlande, d. h. nack
Stuttgart und Ludwigsburg zurück, was ihn denn auch wirklich zu einer länger"


einzige Scene vor, die man bedauern dürste, in dieser Umgebung zu finden.
Nur noch eine Bemerkung.

Der Verfasser, bekanntlich Begründer einer neuen Aesthetik, die er als
„theistisch" bezeichnet im Gegensatz zu der bisherigen „pantheistischen", ist
zugleich Schillers Kommentator; er bemüht sich in diesen Commentaren jedes
Wort, das Schiller geschrieben, jedes Wort in den Räubern, im Fiesco u. s. w
als classisch darzustellen. Mit diesem Versuch steht er keineswegs allein; das
Schillerfest, das doch von Manchen mitgefeiert ward, die von Schiller nichts
anderes kennen als das Lied an die Freude und etwa das Räuberlied, hat
denen, die dem Publikum zu Gefallen schreiben, einen Maaßstab für Schillers
Größe an die Hand gegeben, der, wie wir fürchten, in kurzer Zeit eine sehr
bedenkliche Reaction hervorrufen wird. Unwillkührlich. wenn wir uns Schillers
großen Schatten denken, legen wir ihm den Gedanken unter: Herr bewahre
mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich schon selbst
bewahren. Diese Worte wären nicht das schlechteste Motto unter manche
Z. S. Schillerstatue.




Das Schillerfest mit seinen unmittelbaren Nachwirkungen ist nun vorüber. Es
hat eine nicht unbedeutende Literatur zurückgelassen; die Spalten fast sämmtlicher
Zeitungen sind seit einem Monat mit Berichten darüber ausgefüllt, und nun theilt
noch fast jede Stadt, was an jenem denkwürdigen Tage gesprochen und gethan ist,
den deutschen Brüdern mit. Soviel wir Gelegenheit hatten, diese Reden zu ver¬
gleichen und ihre politischen Beziehungen zu erwägen, die freilich nicht ausbleiben
konnten, so athmet in ihnen der Geist großer Mäßigung, und so warm sich überall
die deutsche Gesinnung ausspricht, wird sie fast nirgend durch excentrische Träu¬
mereien entstellt. Wir heben nur zwei Proben hervor: ein Gedicht von Georg
Herweg», der nun seit zehn Jahren geschwiegen, zur Festfeier in Zürich und eine
von Johann Jakobi im Königsberger Handwerkerverein gehaltene Rede; in bei¬
den ist die allgemeine Stimmung der Art. daß wir ihr nur beipflichten können.
Dem letztern ist freilich ein Mißverständnis? begegnet, das wohl noch öfters vorkommen
mag: er führt die bekannte Stelle, wo Schiller 1793 an Körner schreibt, die Liebe
zum Vaterlande sei sehr lebhaft in ihm geworden, als Beleg für den deutschen Pa¬
triotismus des Dichters an. Allein das Vaterland, von welchem Schiller hier redet,
ist nicht das große Deutschland, sondern das kleine Württemberg; Schiller sehnt sich
aus dem Auslande, d. h, aus Weimar, einmal nach seinem Vaterlande, d. h. nack
Stuttgart und Ludwigsburg zurück, was ihn denn auch wirklich zu einer länger»


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[0368] einzige Scene vor, die man bedauern dürste, in dieser Umgebung zu finden. Nur noch eine Bemerkung. Der Verfasser, bekanntlich Begründer einer neuen Aesthetik, die er als „theistisch" bezeichnet im Gegensatz zu der bisherigen „pantheistischen", ist zugleich Schillers Kommentator; er bemüht sich in diesen Commentaren jedes Wort, das Schiller geschrieben, jedes Wort in den Räubern, im Fiesco u. s. w als classisch darzustellen. Mit diesem Versuch steht er keineswegs allein; das Schillerfest, das doch von Manchen mitgefeiert ward, die von Schiller nichts anderes kennen als das Lied an die Freude und etwa das Räuberlied, hat denen, die dem Publikum zu Gefallen schreiben, einen Maaßstab für Schillers Größe an die Hand gegeben, der, wie wir fürchten, in kurzer Zeit eine sehr bedenkliche Reaction hervorrufen wird. Unwillkührlich. wenn wir uns Schillers großen Schatten denken, legen wir ihm den Gedanken unter: Herr bewahre mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich schon selbst bewahren. Diese Worte wären nicht das schlechteste Motto unter manche Z. S. Schillerstatue. Das Schillerfest mit seinen unmittelbaren Nachwirkungen ist nun vorüber. Es hat eine nicht unbedeutende Literatur zurückgelassen; die Spalten fast sämmtlicher Zeitungen sind seit einem Monat mit Berichten darüber ausgefüllt, und nun theilt noch fast jede Stadt, was an jenem denkwürdigen Tage gesprochen und gethan ist, den deutschen Brüdern mit. Soviel wir Gelegenheit hatten, diese Reden zu ver¬ gleichen und ihre politischen Beziehungen zu erwägen, die freilich nicht ausbleiben konnten, so athmet in ihnen der Geist großer Mäßigung, und so warm sich überall die deutsche Gesinnung ausspricht, wird sie fast nirgend durch excentrische Träu¬ mereien entstellt. Wir heben nur zwei Proben hervor: ein Gedicht von Georg Herweg», der nun seit zehn Jahren geschwiegen, zur Festfeier in Zürich und eine von Johann Jakobi im Königsberger Handwerkerverein gehaltene Rede; in bei¬ den ist die allgemeine Stimmung der Art. daß wir ihr nur beipflichten können. Dem letztern ist freilich ein Mißverständnis? begegnet, das wohl noch öfters vorkommen mag: er führt die bekannte Stelle, wo Schiller 1793 an Körner schreibt, die Liebe zum Vaterlande sei sehr lebhaft in ihm geworden, als Beleg für den deutschen Pa¬ triotismus des Dichters an. Allein das Vaterland, von welchem Schiller hier redet, ist nicht das große Deutschland, sondern das kleine Württemberg; Schiller sehnt sich aus dem Auslande, d. h, aus Weimar, einmal nach seinem Vaterlande, d. h. nack Stuttgart und Ludwigsburg zurück, was ihn denn auch wirklich zu einer länger»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/368>, abgerufen am 04.05.2024.