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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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garde). -- Luthers Reife nach Rom, oder ist es wahr, daß derselbe knieend
die Stufen der Peterskirche erstiegen hat? von H, K. Brandes (Lemgo, Meyer):
es wird nachgewiesen, daß diese Annahme falsch ist. -- Ferdinand der Zweite
und die Juden. Nach Ackerstücken in den Archiven der k. k. Ministerien von
G. Wolf (Wien, Brcmmüllcr), "Kein strenggläubiger Katholik, fagt der Verfasser,
hat Ferdinand einen Vorwurf wegen seiner Gesinnungen zu Gunsten der Juden ge¬
macht. Dies beweist, daß Strenggläubigkeit um Katholicismus nicht Hand in Hand
mit Judenhaß und Verfolgung geht, denn Humanität ist das oberste Gesetz aller
Religionen!" -- Der Kaiser begnügte sich damit, die Protestanten zu köpfen. --
Ueber die neuern Darstellungen der deutschen Kaiserzeit, Festrede zum
28. Nov. 1859 von Prof. Heinrich von Sybel -- München. --




Parlamentarisch schicklich.

"Der Präsident erkannte als gebieterische Pflicht, den ehrenwerthen Herrn
zu. fragen. ob er sich des ihm entschlüpften Ausdrucks im gewöhnlichen Sinne be¬
dient habe.

Mr. Blotton zögerte nicht, die Frage zu verneinen. Er habe das Wort im
Pickwickier Sinne gebraucht. (Hört! hört!) Er stehe nicht an, zu erklären, daß er
Persönlich die größte Hochachtung gegen den ehrenwerthen Herrn hege, und ihn nur
im pickwickischcn Gesichtspunkt für einen Windbeutel ansehe. (Hört! hört!)

Herr Pickwick fühlte sich durch die offene, aufrichtige und genügende Erklärung
seines ehrenwerthen Freundes vollkommen zufrieden gestellt" u. f. w. --

Es klingt närrisch genug, aber es ist ganz in der Ordnung. Wenn die De¬
batten eines Landtags nicht ledern und pedantisch werden sollen, so muß zuweilen
in denselben eine Gemüthsstimmung herrschen, welche "nur im pickwickischen Sinne"
gemeinte Ausdrücke entschuldigt. Wir vom Festland werden uns zwar nicht leicht
die britische Gemüthsruhe aneignen, es für pickwickisch zu finden, wenn man uns
zuruft: der ehrenwerthe Gentleman, dessen schäbige Gesinnungen ich öffentlich brand¬
marken würde, wenn ich es der Mühe werth hielt u. s. w. -- aber das entgegen-^
gesetzte Extrem der Franzosen, sofort mit dem Nousisur suis s, Vos orärssl
bei der Hand zu sein, will doch sür Deutschland auch nicht passen.

Am allerwenigsten aber will es passen, wenn der Präsident, dessen Gewalt
nothwendig eine sehr discretionäre sein muß, sich alle Augenblicke genöthigt glaubt,
den Schulmeister zu spielen, um unter den Jungen Ordnung zu halten. Wollte er
bei jeder Gelegenheit, wo er die Aeußerung eines Abgeordneten, die nur im Pick¬
wickischcn Sinn gemeint war, mißbilligt, mit seinem Ordnungsruf einschreiten, so
würde er damit mehr Unordnung als Ordnung hervorbringen.


garde). — Luthers Reife nach Rom, oder ist es wahr, daß derselbe knieend
die Stufen der Peterskirche erstiegen hat? von H, K. Brandes (Lemgo, Meyer):
es wird nachgewiesen, daß diese Annahme falsch ist. — Ferdinand der Zweite
und die Juden. Nach Ackerstücken in den Archiven der k. k. Ministerien von
G. Wolf (Wien, Brcmmüllcr), „Kein strenggläubiger Katholik, fagt der Verfasser,
hat Ferdinand einen Vorwurf wegen seiner Gesinnungen zu Gunsten der Juden ge¬
macht. Dies beweist, daß Strenggläubigkeit um Katholicismus nicht Hand in Hand
mit Judenhaß und Verfolgung geht, denn Humanität ist das oberste Gesetz aller
Religionen!" — Der Kaiser begnügte sich damit, die Protestanten zu köpfen. —
Ueber die neuern Darstellungen der deutschen Kaiserzeit, Festrede zum
28. Nov. 1859 von Prof. Heinrich von Sybel — München. —




Parlamentarisch schicklich.

„Der Präsident erkannte als gebieterische Pflicht, den ehrenwerthen Herrn
zu. fragen. ob er sich des ihm entschlüpften Ausdrucks im gewöhnlichen Sinne be¬
dient habe.

Mr. Blotton zögerte nicht, die Frage zu verneinen. Er habe das Wort im
Pickwickier Sinne gebraucht. (Hört! hört!) Er stehe nicht an, zu erklären, daß er
Persönlich die größte Hochachtung gegen den ehrenwerthen Herrn hege, und ihn nur
im pickwickischcn Gesichtspunkt für einen Windbeutel ansehe. (Hört! hört!)

Herr Pickwick fühlte sich durch die offene, aufrichtige und genügende Erklärung
seines ehrenwerthen Freundes vollkommen zufrieden gestellt" u. f. w. —

Es klingt närrisch genug, aber es ist ganz in der Ordnung. Wenn die De¬
batten eines Landtags nicht ledern und pedantisch werden sollen, so muß zuweilen
in denselben eine Gemüthsstimmung herrschen, welche „nur im pickwickischen Sinne"
gemeinte Ausdrücke entschuldigt. Wir vom Festland werden uns zwar nicht leicht
die britische Gemüthsruhe aneignen, es für pickwickisch zu finden, wenn man uns
zuruft: der ehrenwerthe Gentleman, dessen schäbige Gesinnungen ich öffentlich brand¬
marken würde, wenn ich es der Mühe werth hielt u. s. w. — aber das entgegen-^
gesetzte Extrem der Franzosen, sofort mit dem Nousisur suis s, Vos orärssl
bei der Hand zu sein, will doch sür Deutschland auch nicht passen.

Am allerwenigsten aber will es passen, wenn der Präsident, dessen Gewalt
nothwendig eine sehr discretionäre sein muß, sich alle Augenblicke genöthigt glaubt,
den Schulmeister zu spielen, um unter den Jungen Ordnung zu halten. Wollte er
bei jeder Gelegenheit, wo er die Aeußerung eines Abgeordneten, die nur im Pick¬
wickischcn Sinn gemeint war, mißbilligt, mit seinem Ordnungsruf einschreiten, so
würde er damit mehr Unordnung als Ordnung hervorbringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/531>, abgerufen am 29.04.2024.