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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band.

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halten wir die obige Geschichte -- subjectiv betrachtet -- für vollkommen wahr¬
heitsgetreu ; die Dichter der Lucinde, der Lelia, der Wally -- kurz alle, die
mit schwacher Productionskrcift ungeheure Conceptionen durchzuführen unter¬
nehmen, könnten etwas Aehnliches von sich aussagen; nur daß sie selten so
stech sein werden, einen Namen unnützlich zu führen, von dem gesagt ist: wer
ih I. S. n mißbraucht, den wird der Herr nicht ungestraft lassen!




Giuseppe Garibaldi.

Der Mann, dessen Zug nach Sicilien gegenwärtig aller Augen auf sich
lenkt, ist auch an sich eine der eigensten Erscheinungen des verjüngten Italien.
Wenige haben einen solchen Wechsel der Geschicke, wenige auch einen solchen
Wechsel der Urtheile über sich erfahren. Wenige vereinigen in ihrem Charakter
solche Widersprüche, wie er, der Erbe des politisch todten Mazzini, das aner¬
kannte Haupt der aus nationalen Rücksichten zur Fahne der Monarchie über¬
getretenen demokratischen Partei Italiens.

Schon als Knabe von der Lust an Abenteuern ins Weite getrieben, als
Jüngling in phantastische Verschwörungspläne eingeweiht, dann in fernen Lan¬
den bald als Kaufmann, bald als Führer von Geschwadern wilder Pampas¬
hirten thätig, hier General, da Viehhändler, jetzt Kapitän einer Schaar, die
sich nicht sehr wesentlich von Walkers Flibustiern unterschieden zu haben scheint,
jetzt wieder als friedlicher Kauffahrer die Meere der Gegenfüßler mit seinem
Kiel durchfurchend, mit einem kriegerischen Mannweib wie mit der Romantik
selbst vermählt, heute die alte Noma gegen Oudinots Franzosen vertheidigend,
morgen in Neuymk Kerzen ziehend, zuletzt königlich Sardinischer Generalleutnant,
hat er ein Leben geführt, welches in ungewöhnlichem Grade die Erfindung
der Romandichter überbietet, und von dem es schwer ist, den rothen Faden
zu verfolgen, der die Kette der Details zusammenfaßt.

Schönhals, freilich keine besonders zuverlässige Quelle, bezeichnet seine
Thaten in Südamerika einfach als Piraterie. Das neapolitanische Kabinet
nennt seine jetzige Expedition kurz und bündig einen Zug von Räubern.
Der Timescorrespondent dagegen, der ihn voriges Jahr in Oberitalien auf¬
suchte, weiß nicht genug zu seinem Lobe zu sagen, und sieht in ihm nicht
blos einen redlichen Charakter und einen vortrefflichen Soldaten, sondern auch
einen seinen staatsmännischen Kopf, von dem noch große Dinge zu erwarten.


halten wir die obige Geschichte — subjectiv betrachtet — für vollkommen wahr¬
heitsgetreu ; die Dichter der Lucinde, der Lelia, der Wally — kurz alle, die
mit schwacher Productionskrcift ungeheure Conceptionen durchzuführen unter¬
nehmen, könnten etwas Aehnliches von sich aussagen; nur daß sie selten so
stech sein werden, einen Namen unnützlich zu führen, von dem gesagt ist: wer
ih I. S. n mißbraucht, den wird der Herr nicht ungestraft lassen!




Giuseppe Garibaldi.

Der Mann, dessen Zug nach Sicilien gegenwärtig aller Augen auf sich
lenkt, ist auch an sich eine der eigensten Erscheinungen des verjüngten Italien.
Wenige haben einen solchen Wechsel der Geschicke, wenige auch einen solchen
Wechsel der Urtheile über sich erfahren. Wenige vereinigen in ihrem Charakter
solche Widersprüche, wie er, der Erbe des politisch todten Mazzini, das aner¬
kannte Haupt der aus nationalen Rücksichten zur Fahne der Monarchie über¬
getretenen demokratischen Partei Italiens.

Schon als Knabe von der Lust an Abenteuern ins Weite getrieben, als
Jüngling in phantastische Verschwörungspläne eingeweiht, dann in fernen Lan¬
den bald als Kaufmann, bald als Führer von Geschwadern wilder Pampas¬
hirten thätig, hier General, da Viehhändler, jetzt Kapitän einer Schaar, die
sich nicht sehr wesentlich von Walkers Flibustiern unterschieden zu haben scheint,
jetzt wieder als friedlicher Kauffahrer die Meere der Gegenfüßler mit seinem
Kiel durchfurchend, mit einem kriegerischen Mannweib wie mit der Romantik
selbst vermählt, heute die alte Noma gegen Oudinots Franzosen vertheidigend,
morgen in Neuymk Kerzen ziehend, zuletzt königlich Sardinischer Generalleutnant,
hat er ein Leben geführt, welches in ungewöhnlichem Grade die Erfindung
der Romandichter überbietet, und von dem es schwer ist, den rothen Faden
zu verfolgen, der die Kette der Details zusammenfaßt.

Schönhals, freilich keine besonders zuverlässige Quelle, bezeichnet seine
Thaten in Südamerika einfach als Piraterie. Das neapolitanische Kabinet
nennt seine jetzige Expedition kurz und bündig einen Zug von Räubern.
Der Timescorrespondent dagegen, der ihn voriges Jahr in Oberitalien auf¬
suchte, weiß nicht genug zu seinem Lobe zu sagen, und sieht in ihm nicht
blos einen redlichen Charakter und einen vortrefflichen Soldaten, sondern auch
einen seinen staatsmännischen Kopf, von dem noch große Dinge zu erwarten.


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[0386] halten wir die obige Geschichte — subjectiv betrachtet — für vollkommen wahr¬ heitsgetreu ; die Dichter der Lucinde, der Lelia, der Wally — kurz alle, die mit schwacher Productionskrcift ungeheure Conceptionen durchzuführen unter¬ nehmen, könnten etwas Aehnliches von sich aussagen; nur daß sie selten so stech sein werden, einen Namen unnützlich zu führen, von dem gesagt ist: wer ih I. S. n mißbraucht, den wird der Herr nicht ungestraft lassen! Giuseppe Garibaldi. Der Mann, dessen Zug nach Sicilien gegenwärtig aller Augen auf sich lenkt, ist auch an sich eine der eigensten Erscheinungen des verjüngten Italien. Wenige haben einen solchen Wechsel der Geschicke, wenige auch einen solchen Wechsel der Urtheile über sich erfahren. Wenige vereinigen in ihrem Charakter solche Widersprüche, wie er, der Erbe des politisch todten Mazzini, das aner¬ kannte Haupt der aus nationalen Rücksichten zur Fahne der Monarchie über¬ getretenen demokratischen Partei Italiens. Schon als Knabe von der Lust an Abenteuern ins Weite getrieben, als Jüngling in phantastische Verschwörungspläne eingeweiht, dann in fernen Lan¬ den bald als Kaufmann, bald als Führer von Geschwadern wilder Pampas¬ hirten thätig, hier General, da Viehhändler, jetzt Kapitän einer Schaar, die sich nicht sehr wesentlich von Walkers Flibustiern unterschieden zu haben scheint, jetzt wieder als friedlicher Kauffahrer die Meere der Gegenfüßler mit seinem Kiel durchfurchend, mit einem kriegerischen Mannweib wie mit der Romantik selbst vermählt, heute die alte Noma gegen Oudinots Franzosen vertheidigend, morgen in Neuymk Kerzen ziehend, zuletzt königlich Sardinischer Generalleutnant, hat er ein Leben geführt, welches in ungewöhnlichem Grade die Erfindung der Romandichter überbietet, und von dem es schwer ist, den rothen Faden zu verfolgen, der die Kette der Details zusammenfaßt. Schönhals, freilich keine besonders zuverlässige Quelle, bezeichnet seine Thaten in Südamerika einfach als Piraterie. Das neapolitanische Kabinet nennt seine jetzige Expedition kurz und bündig einen Zug von Räubern. Der Timescorrespondent dagegen, der ihn voriges Jahr in Oberitalien auf¬ suchte, weiß nicht genug zu seinem Lobe zu sagen, und sieht in ihm nicht blos einen redlichen Charakter und einen vortrefflichen Soldaten, sondern auch einen seinen staatsmännischen Kopf, von dem noch große Dinge zu erwarten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109263/386>, abgerufen am 30.05.2024.