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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band.

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Untergänge? Und hat nicht einzig und allein das demokratische Princip die
Throne Napoleon's gestürzt?

I'unitis irigeniis ^liseit g.utvritg.8, sagt Tacitus schon.

In der Staatszeitung haben Sie einen Aufsatz über Posthörner in Frans¬
reich gelesen, dessen Verfasser mir unbekannt ist. Doch glaube ich, daß Herr
von scholl ihn geschrieben, da der Herr Fürst Staatskanzler ihn mir zur
Ausnahme mitgetheilt hat. Ihr Aufsatz' war schon halb gedruckt und hat
deshalb zurückbleiben müssen. Den Aufsatz über die Preßfreiheit suche ich
noch einzuschmuggeln. Doch schwerlich! Am liebsten läse ich jetzt eine Spe-
nersche Zeitung vom Jahre 1919, Schade, daß der Satyrikus Friedrich sich
ersäuft hat. Er würde sie schlecht schreiben, aber gewiß nicht satyrisch.

Herr von Gentz hat schulhafterwcisc sein berühmtes Sendschreiben an den
König bei der Thronbesteigung Sr. Majestät wieder abdrucken lassen. Ein
Anonymus hat ein Vor- und Nachwort dazu geschrieben.

Buchholtz läßt sich noch immer daraus spießen, daß es mit England
nächstens aus sein werde. Das scheint freilich noch nicht so nahe, aber in
Frankreich könnten leicht bedenkliche Währungen entstehen, wenn das Mini¬
sterium uicht weise zu Werke geht. Aber was ist weise?

Man sagt, Herr v. Hake werde Kriegsminister, (ich glaube es) Herr Ge¬
neral v. Thiele erhalte das Gen. Kommando am Rhein und Herr v. Müff-
ling von Westphaleu. Heute muß ich mein Schreiben endigen, um die Post
nicht zu versäumen. Ich empfehle mich Ihrem freundschaftlichen Wohlwollen
und wünsche Ihnen die erfreulichsten Feiertage.


v. Stägemann.
9.

Berlin, den 15. Januar 1820.

Ein heftiges Augenübel hat mich abgehalten, verehrtester Freund,
Ihnen an den vorigen Posttagen zu schreiben. Es war ein rheumatischer
Schmerz, der mir den Gebrauch des rechten Auges ganz entzog und jetzt erst
auf eine Art von Flucht sich begeben hat.

Inzwischen haben Sie erfahren, was sich bei uns zugetragen. Verände¬
rungen dieser Art sind niemals wünschenswert!). Man findet die Veranlassung
in einer Opposition, welche die drei entlassenen Minister im Staatsministerium
gebildet, ein Zustand, der einem Ministerium allerdings fremd bleiben muß.
Es war daher nichts übrig; entweder es mußte nach ihren Ansichten gehen
und die Andern mußte" vom Schauplatz abtreten oder sie mußten unterliegen,
und die Sachen nach den Ansichten der Anderen gehen. Was das Bessere,
das ist die Gunst! Wir Uebrigen truZes eonsumsre rrati müssen das Gegen¬
wärtige schon für das Bessere halten. Auf alle Fälle muß man von dem
Zustand der Dinge vollkommen gründlich unterrichtet sein, wenn man gehörig


Untergänge? Und hat nicht einzig und allein das demokratische Princip die
Throne Napoleon's gestürzt?

I'unitis irigeniis ^liseit g.utvritg.8, sagt Tacitus schon.

In der Staatszeitung haben Sie einen Aufsatz über Posthörner in Frans¬
reich gelesen, dessen Verfasser mir unbekannt ist. Doch glaube ich, daß Herr
von scholl ihn geschrieben, da der Herr Fürst Staatskanzler ihn mir zur
Ausnahme mitgetheilt hat. Ihr Aufsatz' war schon halb gedruckt und hat
deshalb zurückbleiben müssen. Den Aufsatz über die Preßfreiheit suche ich
noch einzuschmuggeln. Doch schwerlich! Am liebsten läse ich jetzt eine Spe-
nersche Zeitung vom Jahre 1919, Schade, daß der Satyrikus Friedrich sich
ersäuft hat. Er würde sie schlecht schreiben, aber gewiß nicht satyrisch.

Herr von Gentz hat schulhafterwcisc sein berühmtes Sendschreiben an den
König bei der Thronbesteigung Sr. Majestät wieder abdrucken lassen. Ein
Anonymus hat ein Vor- und Nachwort dazu geschrieben.

Buchholtz läßt sich noch immer daraus spießen, daß es mit England
nächstens aus sein werde. Das scheint freilich noch nicht so nahe, aber in
Frankreich könnten leicht bedenkliche Währungen entstehen, wenn das Mini¬
sterium uicht weise zu Werke geht. Aber was ist weise?

Man sagt, Herr v. Hake werde Kriegsminister, (ich glaube es) Herr Ge¬
neral v. Thiele erhalte das Gen. Kommando am Rhein und Herr v. Müff-
ling von Westphaleu. Heute muß ich mein Schreiben endigen, um die Post
nicht zu versäumen. Ich empfehle mich Ihrem freundschaftlichen Wohlwollen
und wünsche Ihnen die erfreulichsten Feiertage.


v. Stägemann.
9.

Berlin, den 15. Januar 1820.

Ein heftiges Augenübel hat mich abgehalten, verehrtester Freund,
Ihnen an den vorigen Posttagen zu schreiben. Es war ein rheumatischer
Schmerz, der mir den Gebrauch des rechten Auges ganz entzog und jetzt erst
auf eine Art von Flucht sich begeben hat.

Inzwischen haben Sie erfahren, was sich bei uns zugetragen. Verände¬
rungen dieser Art sind niemals wünschenswert!). Man findet die Veranlassung
in einer Opposition, welche die drei entlassenen Minister im Staatsministerium
gebildet, ein Zustand, der einem Ministerium allerdings fremd bleiben muß.
Es war daher nichts übrig; entweder es mußte nach ihren Ansichten gehen
und die Andern mußte» vom Schauplatz abtreten oder sie mußten unterliegen,
und die Sachen nach den Ansichten der Anderen gehen. Was das Bessere,
das ist die Gunst! Wir Uebrigen truZes eonsumsre rrati müssen das Gegen¬
wärtige schon für das Bessere halten. Auf alle Fälle muß man von dem
Zustand der Dinge vollkommen gründlich unterrichtet sein, wenn man gehörig


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[0408] Untergänge? Und hat nicht einzig und allein das demokratische Princip die Throne Napoleon's gestürzt? I'unitis irigeniis ^liseit g.utvritg.8, sagt Tacitus schon. In der Staatszeitung haben Sie einen Aufsatz über Posthörner in Frans¬ reich gelesen, dessen Verfasser mir unbekannt ist. Doch glaube ich, daß Herr von scholl ihn geschrieben, da der Herr Fürst Staatskanzler ihn mir zur Ausnahme mitgetheilt hat. Ihr Aufsatz' war schon halb gedruckt und hat deshalb zurückbleiben müssen. Den Aufsatz über die Preßfreiheit suche ich noch einzuschmuggeln. Doch schwerlich! Am liebsten läse ich jetzt eine Spe- nersche Zeitung vom Jahre 1919, Schade, daß der Satyrikus Friedrich sich ersäuft hat. Er würde sie schlecht schreiben, aber gewiß nicht satyrisch. Herr von Gentz hat schulhafterwcisc sein berühmtes Sendschreiben an den König bei der Thronbesteigung Sr. Majestät wieder abdrucken lassen. Ein Anonymus hat ein Vor- und Nachwort dazu geschrieben. Buchholtz läßt sich noch immer daraus spießen, daß es mit England nächstens aus sein werde. Das scheint freilich noch nicht so nahe, aber in Frankreich könnten leicht bedenkliche Währungen entstehen, wenn das Mini¬ sterium uicht weise zu Werke geht. Aber was ist weise? Man sagt, Herr v. Hake werde Kriegsminister, (ich glaube es) Herr Ge¬ neral v. Thiele erhalte das Gen. Kommando am Rhein und Herr v. Müff- ling von Westphaleu. Heute muß ich mein Schreiben endigen, um die Post nicht zu versäumen. Ich empfehle mich Ihrem freundschaftlichen Wohlwollen und wünsche Ihnen die erfreulichsten Feiertage. v. Stägemann. 9. Berlin, den 15. Januar 1820. Ein heftiges Augenübel hat mich abgehalten, verehrtester Freund, Ihnen an den vorigen Posttagen zu schreiben. Es war ein rheumatischer Schmerz, der mir den Gebrauch des rechten Auges ganz entzog und jetzt erst auf eine Art von Flucht sich begeben hat. Inzwischen haben Sie erfahren, was sich bei uns zugetragen. Verände¬ rungen dieser Art sind niemals wünschenswert!). Man findet die Veranlassung in einer Opposition, welche die drei entlassenen Minister im Staatsministerium gebildet, ein Zustand, der einem Ministerium allerdings fremd bleiben muß. Es war daher nichts übrig; entweder es mußte nach ihren Ansichten gehen und die Andern mußte» vom Schauplatz abtreten oder sie mußten unterliegen, und die Sachen nach den Ansichten der Anderen gehen. Was das Bessere, das ist die Gunst! Wir Uebrigen truZes eonsumsre rrati müssen das Gegen¬ wärtige schon für das Bessere halten. Auf alle Fälle muß man von dem Zustand der Dinge vollkommen gründlich unterrichtet sein, wenn man gehörig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109263/408>, abgerufen am 19.05.2024.