Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band.Eine Zuschrift in Sachen des Schillervereins.*) Endlich ist in Sachen des Schillcrvcreins (Grenzboten Ur. 20.) ein vernünf¬ Ich habe einen Roman geschrieben: "der Amerika-Müde." Die Arbeit erfor- *) A n in. der Red. -- Wir theilen diese uns eingesandte Zustimmung mit, da sie den
Gegenstand von einer neuen Seite beleuchtet. Eine Zuschrift in Sachen des Schillervereins.*) Endlich ist in Sachen des Schillcrvcreins (Grenzboten Ur. 20.) ein vernünf¬ Ich habe einen Roman geschrieben: „der Amerika-Müde." Die Arbeit erfor- *) A n in. der Red. — Wir theilen diese uns eingesandte Zustimmung mit, da sie den
Gegenstand von einer neuen Seite beleuchtet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109714"/> </div> <div n="1"> <head> Eine Zuschrift in Sachen des Schillervereins.*)</head><lb/> <p xml:id="ID_1519"> Endlich ist in Sachen des Schillcrvcreins (Grenzboten Ur. 20.) ein vernünf¬<lb/> tiges Wort gesprochen worde. Öffentlichkeit, unbedingte Öffentlichkeit<lb/> — das ist die richtige Auskunft zu Gutzkows richtigem Bedenken. Gleichzeitig aber<lb/> wundere ich mich, daß ein anderes praktisches Schlagwort noch immer nicht genannt<lb/> worden ist. Man spricht fortwährend nur von „Unterstützung", umschreibt es höch¬<lb/> stens durch das euphemistische „Ehrensold", während doch der Begriff selbst zu be¬<lb/> seitigen ist. Warum statuirt man den Schillerverein nicht kurzweg als V orschuß-<lb/> bank und als P en sionssond? °Vorschußbank für aktive, Pensionssond für<lb/> quiescirte Schriftsteller. Was mich betrifft, ich hätte als Gründer des Vereins nicht<lb/> das Herz der Nation zu rühren gesucht, nicht, wie es allerdings geschehen ist, an<lb/> die Sentimentalität appellirt, überhaupt den Charakter der Privat-Wohlthätigkeit<lb/> mir gar nicht einfallen lassen, sondern kühl und trocken also gesprochen: der Hand¬<lb/> werksmeister, welcher für euch arbeitet, thut es mit Hilfe von Lehrlingen und Ge¬<lb/> sellen, wenn er stirbt, erbt sein Geschäft die Witwe. Der Beamte, welcher für euch<lb/> arbeitet, thut es unter Beihilfe von Praktikanten, wenn er krank und alt wird,<lb/> pensionirt ihn der Staat, wenn er stirbt, pensionirt der Staat seine Familie. Eine<lb/> dritte Kategorie von Arbeitern aber, und — wie euch Schillers Vorgang zeigt —<lb/> just die edelste, nämlich der geistige Arbeiter, der Schriftsteller ist nicht so<lb/> günstig gestellt. Der Schriftsteller kann nicht wie der Handwerksmeister eine glück¬<lb/> liche Geschäftsconjunktur mittels Gesellen ausbeuten, er kann seine Witwe nicht<lb/> durch Vererbung des Geschäfts versorgen, er genießt auch nicht, wie der Beamte,<lb/> weder für sich noch die Seinigen eine Staatspension. Also u. s. w. Ich denke<lb/> das wäre für den reellen deutschen Geschäftsmann verständlich gewesen. Da er selber<lb/> ein Arbeiter ist, so hätte diese Analogie mit andern Arbeitsverhältnissen seinen Ver¬<lb/> stand getroffen, und er hätte erkannt, was hier seine Pflicht ist. Statt dessen<lb/> hat man es vorgezogen, nach Reminiscenzen von Lorenz Kindlein und Lorbeerbaum<lb/> und Bettelstab das Gefühl zu erregen und der Pflicht den guten Willen zu<lb/> substituiren. Dadurch wurde der Charakter des Schillervereins, wie mir dünkt,<lb/> schon von vornherein verrückt. Allerdings contribuirte jetzt auch noch die Nation;<lb/> aber man hatte die ganze Nation gewissermaßen in eine almoscngcbende Privat¬<lb/> person verwandelt, den Privatcharakter betont, die Öffentlichkeit, das noth¬<lb/> wendige und legitime Attribut einer solchen Anstalt verdunkelt. Natürlich mußte<lb/> man aus diesem falschen Wege mit Konsequenz fortfahren, und so hat mau denn<lb/> auch gegenüber dem empfangenden Schriftsteller, der aus einem Nationalpensio¬<lb/> när ein verschämter Hausarmer geworden war, die strengste Discretion<lb/> zum Prinzip erhoben. Discretion! Aber hat man je eine Regierung gesehen,<lb/> welche ihre Beamte unter dem Siegel der Discretion pensionirte? Ist es je ein<lb/> Gegenstand der Discretion gewesen, die nationale Arbeit durch Gewerbebanken,<lb/> Creditkasscn, Schutzzölle und all jene tausend „wohlthätigen" Institutionen, deren sie<lb/> faktisch genießt, zu ermuntern und zu befördern?</p><lb/> <p xml:id="ID_1520" next="#ID_1521"> Ich habe einen Roman geschrieben: „der Amerika-Müde." Die Arbeit erfor-</p><lb/> <note xml:id="FID_18" place="foot"> *) A n in. der Red. — Wir theilen diese uns eingesandte Zustimmung mit, da sie den<lb/> Gegenstand von einer neuen Seite beleuchtet.</note><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
Eine Zuschrift in Sachen des Schillervereins.*)
Endlich ist in Sachen des Schillcrvcreins (Grenzboten Ur. 20.) ein vernünf¬
tiges Wort gesprochen worde. Öffentlichkeit, unbedingte Öffentlichkeit
— das ist die richtige Auskunft zu Gutzkows richtigem Bedenken. Gleichzeitig aber
wundere ich mich, daß ein anderes praktisches Schlagwort noch immer nicht genannt
worden ist. Man spricht fortwährend nur von „Unterstützung", umschreibt es höch¬
stens durch das euphemistische „Ehrensold", während doch der Begriff selbst zu be¬
seitigen ist. Warum statuirt man den Schillerverein nicht kurzweg als V orschuß-
bank und als P en sionssond? °Vorschußbank für aktive, Pensionssond für
quiescirte Schriftsteller. Was mich betrifft, ich hätte als Gründer des Vereins nicht
das Herz der Nation zu rühren gesucht, nicht, wie es allerdings geschehen ist, an
die Sentimentalität appellirt, überhaupt den Charakter der Privat-Wohlthätigkeit
mir gar nicht einfallen lassen, sondern kühl und trocken also gesprochen: der Hand¬
werksmeister, welcher für euch arbeitet, thut es mit Hilfe von Lehrlingen und Ge¬
sellen, wenn er stirbt, erbt sein Geschäft die Witwe. Der Beamte, welcher für euch
arbeitet, thut es unter Beihilfe von Praktikanten, wenn er krank und alt wird,
pensionirt ihn der Staat, wenn er stirbt, pensionirt der Staat seine Familie. Eine
dritte Kategorie von Arbeitern aber, und — wie euch Schillers Vorgang zeigt —
just die edelste, nämlich der geistige Arbeiter, der Schriftsteller ist nicht so
günstig gestellt. Der Schriftsteller kann nicht wie der Handwerksmeister eine glück¬
liche Geschäftsconjunktur mittels Gesellen ausbeuten, er kann seine Witwe nicht
durch Vererbung des Geschäfts versorgen, er genießt auch nicht, wie der Beamte,
weder für sich noch die Seinigen eine Staatspension. Also u. s. w. Ich denke
das wäre für den reellen deutschen Geschäftsmann verständlich gewesen. Da er selber
ein Arbeiter ist, so hätte diese Analogie mit andern Arbeitsverhältnissen seinen Ver¬
stand getroffen, und er hätte erkannt, was hier seine Pflicht ist. Statt dessen
hat man es vorgezogen, nach Reminiscenzen von Lorenz Kindlein und Lorbeerbaum
und Bettelstab das Gefühl zu erregen und der Pflicht den guten Willen zu
substituiren. Dadurch wurde der Charakter des Schillervereins, wie mir dünkt,
schon von vornherein verrückt. Allerdings contribuirte jetzt auch noch die Nation;
aber man hatte die ganze Nation gewissermaßen in eine almoscngcbende Privat¬
person verwandelt, den Privatcharakter betont, die Öffentlichkeit, das noth¬
wendige und legitime Attribut einer solchen Anstalt verdunkelt. Natürlich mußte
man aus diesem falschen Wege mit Konsequenz fortfahren, und so hat mau denn
auch gegenüber dem empfangenden Schriftsteller, der aus einem Nationalpensio¬
när ein verschämter Hausarmer geworden war, die strengste Discretion
zum Prinzip erhoben. Discretion! Aber hat man je eine Regierung gesehen,
welche ihre Beamte unter dem Siegel der Discretion pensionirte? Ist es je ein
Gegenstand der Discretion gewesen, die nationale Arbeit durch Gewerbebanken,
Creditkasscn, Schutzzölle und all jene tausend „wohlthätigen" Institutionen, deren sie
faktisch genießt, zu ermuntern und zu befördern?
Ich habe einen Roman geschrieben: „der Amerika-Müde." Die Arbeit erfor-
*) A n in. der Red. — Wir theilen diese uns eingesandte Zustimmung mit, da sie den
Gegenstand von einer neuen Seite beleuchtet.
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