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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band.

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stimmen; jene kämen in die Versammlung auf Grund ihres größern Besitzes,
mit dem sich größere Bildung verbinden würde, diese Vertreter von Gemeinden
erschienen auf Grund des Vertrauens ihrer Mitbürger, um das Interesse der
Massen zu repräsentiren. Jede Kreisversammlung würde aller drei Jahre einen
Districtsmarschall und einen Jspravnik oder Vorstand der Localpolizei, sowie
einen aus zehn bis zwölf Mitgliedern bestehenden Kreisrath wählen, dem die
Controle über den Marschall und den Jspravnik und die Initiative in allem,
was die Interessen des Kreises beträfe, zustehen müßte. Die Provinzialver-
sammlung, bestehend aus allen mit Virilstimme begabten Grundbesitzern und
einem Drittel der Abgeordneten der Gemeinden in den Kreisversammlungen,
wählte ihrerseits einen Provinzialrath. welcher die Verwaltung controlirte und
der Negierung gegenüber die Initiative in allen die Interessen der Provinz
berührenden Dingen hätte.




Der Aberglaube vom Ailgenzauber.

Unter den vielen Geboten und Verboten des Aberglaubens, in welchen
die Weltanschauung vergangener Zeiten in der Gegenwart fortlebt, gehören
die. welche die Vorstellung von einer schädlichen Wirkung des menschlichen
Blicks zur Voraussetzung haben, zu den verbreitetsten und interessantesten. Wir
finden ihre Wurzeln in den ältesten Urkunden unsers Geschlechts, und wir be¬
gegnen ihnen selbst in wenig von einander verschiedenen Formeln unter allen
Völkern Europas und Westasiens, soweit die Züge der arischen und semitischen
Völkerwanderungen sich erstreckten. Unter den altgriechischen Dichtern wie unter
den heutigen deutschen Bauern, in den Gassen des auferstandenen Pompeji,
in den Budenreihen der Bazare von Stambul und an den Bauten des mit¬
telalterlichen Germanenthums, hoch oben in der Blockhütte des Leibeignen am
Ural, wie tief unten in den schwarzen Zelten der Beduinenstümme, die zwischen
Nil und Euphrat wandern, spukt, mehr oder minder deutlich erkennbar, die
Furcht vor dem bösen Auge.

Hier wie dort glaubt man zunächst, daß der Neid über das Glück eines
Andern im Stande ist, nachtheilig auf die Person oder Sache einzuwirken,
welche beneidet wird, und daß es vorzüglich der Blick ist, welcher die vergif'


stimmen; jene kämen in die Versammlung auf Grund ihres größern Besitzes,
mit dem sich größere Bildung verbinden würde, diese Vertreter von Gemeinden
erschienen auf Grund des Vertrauens ihrer Mitbürger, um das Interesse der
Massen zu repräsentiren. Jede Kreisversammlung würde aller drei Jahre einen
Districtsmarschall und einen Jspravnik oder Vorstand der Localpolizei, sowie
einen aus zehn bis zwölf Mitgliedern bestehenden Kreisrath wählen, dem die
Controle über den Marschall und den Jspravnik und die Initiative in allem,
was die Interessen des Kreises beträfe, zustehen müßte. Die Provinzialver-
sammlung, bestehend aus allen mit Virilstimme begabten Grundbesitzern und
einem Drittel der Abgeordneten der Gemeinden in den Kreisversammlungen,
wählte ihrerseits einen Provinzialrath. welcher die Verwaltung controlirte und
der Negierung gegenüber die Initiative in allen die Interessen der Provinz
berührenden Dingen hätte.




Der Aberglaube vom Ailgenzauber.

Unter den vielen Geboten und Verboten des Aberglaubens, in welchen
die Weltanschauung vergangener Zeiten in der Gegenwart fortlebt, gehören
die. welche die Vorstellung von einer schädlichen Wirkung des menschlichen
Blicks zur Voraussetzung haben, zu den verbreitetsten und interessantesten. Wir
finden ihre Wurzeln in den ältesten Urkunden unsers Geschlechts, und wir be¬
gegnen ihnen selbst in wenig von einander verschiedenen Formeln unter allen
Völkern Europas und Westasiens, soweit die Züge der arischen und semitischen
Völkerwanderungen sich erstreckten. Unter den altgriechischen Dichtern wie unter
den heutigen deutschen Bauern, in den Gassen des auferstandenen Pompeji,
in den Budenreihen der Bazare von Stambul und an den Bauten des mit¬
telalterlichen Germanenthums, hoch oben in der Blockhütte des Leibeignen am
Ural, wie tief unten in den schwarzen Zelten der Beduinenstümme, die zwischen
Nil und Euphrat wandern, spukt, mehr oder minder deutlich erkennbar, die
Furcht vor dem bösen Auge.

Hier wie dort glaubt man zunächst, daß der Neid über das Glück eines
Andern im Stande ist, nachtheilig auf die Person oder Sache einzuwirken,
welche beneidet wird, und daß es vorzüglich der Blick ist, welcher die vergif'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109263/508>, abgerufen am 30.05.2024.