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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ernsten Seiten. Im positivsten Ton von der Welt erklärt der Kaiser, daß in Be¬
zug auf Italien ihn nichts hindre, weder ein Veitrag noch sonst etwas, die Auf¬
fassung Englands zu theilen: daß nämlich Italien mit Ausschluß jeder fremden Na¬
tion sich selbst den Frieden zu erkämpfen habe. Sofort erklärt Lord Russell im
Parlament, England und Frankreich würden in Italien nicht intervenircn, d. h.
mit andern Worten, sie würden jede Intervention ausschließen. Unmittelbar darauf
werden die neapolitanischen Abgeordneten, die eine Einigung Piemonts mit ihrem
Hof anzubahnen suchten, mit offenbar abschlägiger Antwort entlassen, und Garibaldi
schickt sich an, auf das Festland überzugehn, wenn es nicht in diesem Augenblick be¬
reits geschehn sein sollte.

Dafür gesteht England seinem Verbündeten die Ausführung des syrischen Kreuz-
zuges zu, ohne daß die eine oder die andre der Mächte auch nur einen Wider¬
spruch versuchte. Im Parlament selbst wird die Aufrechthaltung des ottomanischen
Reichs nicht' mehr als ein unanfechtbarer Glaubensartikel aufgestellt. Nicht blos Bright
spricht sich für die Theilung desselben aus, sondern der Mann, der am besten unter¬
richtet ist, am entschiedensten den französischen Einfluß bekämpft hat, Lord Red-
cliffc macht Andeutungen, wonach der kranke Mann fast ebenso hoffnungslos dar¬
nieder liegt, als ihn vor einigen Jahren Kaiser Nikolaus zu finden glaubte.

So stehn die Verhältnisse und die Parteien, wir wollen hoffen, daß in den bevor¬
stehenden Zusammenkünften Preußen die Ueberzeugung gewinnen werde, daß das
Princip der Legitimität nicht ausreichend sei, die Politik einer Großmacht zu be¬
5 5 stimmen.




Politische Literatur.
,
Die Juden frage i

n ihrer wahren Bedeutung für Preußen von Dr. M.
Kalisch. -- Leipzig, Veit und Comp. -- Mit Recht legt der Verfasser das Haupt¬
gewicht bei seiner Untersuchung auf die Ansicht des preußischen Unterrichtsministers,
die Schulen und Universitäten hätten einen confessionellen Charakter. Indem er
die sämmtlichen Actenstücke beibringt, zeigt er das Unhaltbare dieser Behauptung,
und entwickelt zugleich die Consequenzen. die sich aus derselben ergeben müssen. In
letzterer Beziehung weist er auf den alten kölner Kirchcnstrcit und die Schriften des
verstorbenen Erzbischofs v. Droste-Vischering zurück, dessen Ideal es war, die Schulen
nach östreichischen Muster einzurichten, d. h. sie den Jesuiten und andern geistlichen Kon¬
gregationen in die Hände zu geben. Was die Folgen davon find, zeigt Oestreich.
Wir kommen noch einmal auf das schon mehrfach ausgesprochene Wort zurück- von
allen Paragraphen unserer Verfassung ist der, welcher die Kirche für frei erklärt,


ernsten Seiten. Im positivsten Ton von der Welt erklärt der Kaiser, daß in Be¬
zug auf Italien ihn nichts hindre, weder ein Veitrag noch sonst etwas, die Auf¬
fassung Englands zu theilen: daß nämlich Italien mit Ausschluß jeder fremden Na¬
tion sich selbst den Frieden zu erkämpfen habe. Sofort erklärt Lord Russell im
Parlament, England und Frankreich würden in Italien nicht intervenircn, d. h.
mit andern Worten, sie würden jede Intervention ausschließen. Unmittelbar darauf
werden die neapolitanischen Abgeordneten, die eine Einigung Piemonts mit ihrem
Hof anzubahnen suchten, mit offenbar abschlägiger Antwort entlassen, und Garibaldi
schickt sich an, auf das Festland überzugehn, wenn es nicht in diesem Augenblick be¬
reits geschehn sein sollte.

Dafür gesteht England seinem Verbündeten die Ausführung des syrischen Kreuz-
zuges zu, ohne daß die eine oder die andre der Mächte auch nur einen Wider¬
spruch versuchte. Im Parlament selbst wird die Aufrechthaltung des ottomanischen
Reichs nicht' mehr als ein unanfechtbarer Glaubensartikel aufgestellt. Nicht blos Bright
spricht sich für die Theilung desselben aus, sondern der Mann, der am besten unter¬
richtet ist, am entschiedensten den französischen Einfluß bekämpft hat, Lord Red-
cliffc macht Andeutungen, wonach der kranke Mann fast ebenso hoffnungslos dar¬
nieder liegt, als ihn vor einigen Jahren Kaiser Nikolaus zu finden glaubte.

So stehn die Verhältnisse und die Parteien, wir wollen hoffen, daß in den bevor¬
stehenden Zusammenkünften Preußen die Ueberzeugung gewinnen werde, daß das
Princip der Legitimität nicht ausreichend sei, die Politik einer Großmacht zu be¬
5 5 stimmen.




Politische Literatur.
,
Die Juden frage i

n ihrer wahren Bedeutung für Preußen von Dr. M.
Kalisch. — Leipzig, Veit und Comp. — Mit Recht legt der Verfasser das Haupt¬
gewicht bei seiner Untersuchung auf die Ansicht des preußischen Unterrichtsministers,
die Schulen und Universitäten hätten einen confessionellen Charakter. Indem er
die sämmtlichen Actenstücke beibringt, zeigt er das Unhaltbare dieser Behauptung,
und entwickelt zugleich die Consequenzen. die sich aus derselben ergeben müssen. In
letzterer Beziehung weist er auf den alten kölner Kirchcnstrcit und die Schriften des
verstorbenen Erzbischofs v. Droste-Vischering zurück, dessen Ideal es war, die Schulen
nach östreichischen Muster einzurichten, d. h. sie den Jesuiten und andern geistlichen Kon¬
gregationen in die Hände zu geben. Was die Folgen davon find, zeigt Oestreich.
Wir kommen noch einmal auf das schon mehrfach ausgesprochene Wort zurück- von
allen Paragraphen unserer Verfassung ist der, welcher die Kirche für frei erklärt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/290>, abgerufen am 01.05.2024.